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"Politisches Interesse beim Umgang mit Blatter"

Der Schatzmeister des lateinamerikanischen Fußballverbandes Conmebol über den Fifa-Skandal, seine Rolle dabei und mögliche Hintergründe

Der Bolivianer Carlos Chávez, Schatzmeister des lateinamerikanischen Fußballverbandes Conmebol, hat den scheidenden Fifa-Chef Joseph Blatter darin bestärkt, seinen Rücktritt als Fifa-Präsident zu überdenken. "Er sollte seine Handlungen nochmals prüfen. Wenn er glaubt, dass er unschuldig ist, ein ruhiges Gewissen hat und meint, sein Ruf sei beschädigt worden, dann muss er die Lage analysieren", sagte der Präsident des bolivianischen Fußballverbandes in einem Interview mit der dpa. Auf dem Fifa-Kongress im Mai stimmte Chávez für Blatters Wiederwahl. In Bolivien wurde er deswegen harsch kritisiert. Der bolivianische Funktionär verneint, je Schmiergeld im Skandal der Conmebol erhalten zu haben.


Ist bei der Copa América in Chile das Bild der Conmebol durch den Korruptionsskandal beschädigt?

Die Lage ist heikel, aber das bedeutet nicht, dass man in Deckung geht. Bei der Eröffnung waren (Sergio) Jadue (Präsident des chilenischen Fußballverbandes) und Carlos Chávez präsent. Anwesend waren auch der Präsident des ecuadorianischen Fußballverbandes, Don Luis Chiriboga, und der Präsident der AFA, Luis Segura. 40 Prozent der Conmebol-Spitze waren also da. Zudem haben drei weitere Präsidenten ihre Nationalmannschaften begleitet. Sieben von zehn Präsidenten (der Conmebol) waren also in Chile.

Aber bei anderen Copas hat man mehr gesehen.

Sicher, es lässt sich nicht verbergen, dass wir eine schwierige Phase durchmachen, aber ich versichere Ihnen, dass die Conmebol hier zeigt, dass Themen wie der Schmiergeldskandal für uns keinesfalls normal sind.

Sie verneinen, Unregelmäßigkeiten begangen zu haben?

Natürlich. Jeder Verbandspräsident ist in sein Land zurückgekehrt und hat sich dem Justizministerium gestellt, damit eine Untersuchung eingeleitet werden kann, wenn es denn nötig ist. Aber man muss abwarten.

Boliviens Präsident Evo Morales hat Sie kritisiert und Ihren Rücktritt gefordert. 

Die Ironie ist, dass man mich in meinem Land für etwas ganz anderes belangen will, etwas, das mit der Anklage der ermittelnden US-Staatsanwältin Lynch nichts zu tun hat. Auf mich macht das einen sehr seltsamen Eindruck.

Evo Morales hat andere Interessen?

Ich sage, dass Don Evo Morales durch Einflüsterungen gewisser Leute aus dem bolivianischen Fußball, die ihre Interessen verfolgen, beeinflusst wird. Diese Funktionäre haben den Fifa-Skandal, der uns alle sehr schmerzt, benutzt, um dem Präsidenten glauben zu machen, dass Carlos Chávez etwas damit zu tun hat.

Wen meinen Sie?

Den Präsidenten des Clubs Bolívar (Marcelo Claure), jemand aus dem professionellen Fußballbereich, der andere Interessen im Verband verfolgt. Das schmerzt einen. Da trifft man zuvor eine falsche Entscheidung, und eine Untersuchung wirft die Frage auf, ob Carlos Chávez bestechlich ist oder nicht. Es geht um Bestechungsgelder und nicht um Einlagen beim bolivianischen Fußballverband. Die Bestechungsgelder wandern auf Privatkonten. Wir sollten vorsichtig sein. Ich sage es ihnen geradeheraus: Carlos Chávez hat nichts mit Bestechungsgeldern zu tun.

Aber man hat Sie am Flughafen zurückgehalten. Was ist da passiert?

Ich wollte als Schatzmeister zu einer Conmebol-Sitzung reisen. Es gab in Bolivien eine Vorladung gegen mich, um die ich gebeten hatte. Aber ich musste zu dieser Conmebol-Sitzung nach Paraguay. Mein Flug war bereits gebucht, zwei Tage früher als der Vorladungstermin. Und so kam es, dass jemand am Flughafen mich darum bat, meinen Flug nach Paraguay nicht wahrzunehmen. Aber es hat sich alles aufgeklärt. Der Flug war bereits sehr viel früher gebucht worden, und ich hatte nicht vor, die Vorladung zu ignorieren.

Werden sie mit der Mannschaft zurück nach Bolivien kommen?

Natürlich komme ich zurück, aber ich kann nicht sagen, wann, denn wir wissen es noch nicht.

Sie haben für Blatter gestimmt. Gibt es Uneinigkeit in der Conmebol?

Nein, es gibt keine Uneinigkeit. Zum ersten Mal in vielen Jahren hat unser Präsident, Juan Ángel Napout, den Verbandspräsidenten die freie Wahl gestattet. Einige Präsidenten haben für Prinz Ali gestimmt. Unser Präsident, Evo Morales, den ich sehr schätze, sagte später, dass zurücktreten solle, wer für Blatter gestimmt hat. Also müssten fast 140 Länder zurücktreten, die für Blatter gestimmt haben. Es scheint so, als ob Blatter verloren hat. Dabei hat er gewonnen. Es ist doch vollkommen eindeutig, dass beim Umgang mit Herrn Blatter auch ein politisches Interesse mitspielt. Warum wartete man, bis sich alle in Zürich versammelt hatten, um dann Menschen zu verhaften, die in den USA strafrechtlich verfolgt werden?

Warum?

Weil es für Aufsehen sorgte. Das war es, was sie wollten, es war ein strategisches Thema. Die Schuldigen müssen in Gefangenschaft, aber warum nimmt man Jeffrey Webb nicht fest, der in den USA weilte, oder Eugenio Figueredo, der mehr in den USA ist als anderswo? Warum nach Zürich gehen? Man muss nicht sehr helle sein, um die Intentionen dahinter zu verstehen. Da gibt es die Russland-WM 2018, die den USA zuwider ist, da ist die WM in Katar 2022, die England querliegt.

Hat Blatter gut daran getan zurückzutreten?

Glauben sie etwa, dass Blatter unwiderruflich zurückgetreten ist?

Glauben Sie, er könnte es sich anders überlegen?

Blatter sollte die beste Wahl für sich und den Fußball treffen. Er sollte seine Handlungen überdenken. Und wenn er glaubt, dass er unschuldig ist, wenn er ein ruhiges Gewissen hat, und wenn er meint, sein Ruf sei beschädigt worden, dann muss er die Lage analysieren. Das verfassungsmäßige Recht der Unschuldsvermutung gilt auch für ihn.

Finden sie es gut, das die Immunität der Conmebol-Zentrale in Asunción aufgehoben werden soll?

Das erscheint mir außergewöhnlich. Diese Immunität ist bisher nie angewandt worden. Wir haben uns nie darauf gestützt. Wenn die Immunität aufgehoben wird, werde ich der Erste sein, der dem freudig zustimmt.