Venezuela / Wirtschaft

Wohin geht Venezuelas Wirtschaft?

Was sagen uns die Ankündigungen von Präsident Nicolás Maduro in seiner Ansprache zur Lage der Nation über die wirtschaftspolitischen Pläne für 2014?

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Präsident Nicolás Maduro bei seiner Ansprache vor dem Parlament im Januar
Präsident Nicolás Maduro bei seiner Ansprache vor dem Parlament im Januar

2013 war ein wirtschaftlich schwieriges Jahr für Venezuela. Das Währungskontrollsystem kam schwer unter Druck als der Schwarzmarktdollar auf das Zehnfache des offiziellen Werts von 6,3 Bolívares (BsF) für einen US-Dollar emporschoss, was eine Reihe von Verwerfungen für die Wirtschaft bedeutete. Gleichzeitig entstanden Verknappungen einiger Grundnahrungsmittel und weiterer Güter und die jährliche Inflation erreichte 56,2 Prozent, eine Höchstmarke in der bolivarischen Ära. Während die Regierung dies mit einer Steigerung des Mindestlohns um 59 Prozent zwischen Mai 2013 und Januar 2014 ausglich, mussten sogar regierungstreu verfasste Statistiken zugeben, dass die Preissteigerungen die Kaufkraft der Verbraucher während des vergangenen Jahres schwächten.

Präsident Nicolás Maduros Verwaltung gab die Schuld an der Situation einem "Wirtschaftskrieg", der nach ihrer Ansicht von geschäftlichen Interessensgruppen im Bund mit der konservativen Opposition geschürt wird. Gemäß dieser Behauptung sind diese Gruppen in einen zentral gesteuerten Versuch zur Verschärfung der wirtschaftlichen Probleme verwickelt, indem sie mit der venezolanischen Währung spekulieren und Waren horten oder abzweigen, um Knappheit und Geldentwertung zu schaffen.

Regierungskritische Politiker und Wirtschaftswissenschaftler erklärten dagegen, dass die Regierungspolitik für die wirtschaftliche Situation verantwortlich sei und vermuten, dass privaten Importeuren zu wenig Devisen bewilligt wurden, während die Preiskontrollen zugleich die einheimische Produktion abwürgten.

Um diese Probleme zu überwinden, ergriff die Regierung eine Serie von Maßnahmen einschließlich einer Währungsabwertung, der Einführung eines komplementären Wechselkurssystems, Erhöhung der Nahrungsmittelimporte aus Nachbarländern, der Ankurbelung von einheimischer Nahrungsmittelerzeugung und einem scharfen Vorgehen gegen Produkthortung und Schmuggel. Dann ging der Staat in den letzten Wochen des Jahres zu einem harten Durchgreifen gegen Preisspekulation über und erzwang die Senkung der Preise für importierte Elektronik- und andere Produkte. Als Reaktion darauf stärkten die Bürger die Regierung den Rücken, indem sie der Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV) und ihren Verbündeten einen überragenden Sieg bei den Kommunalwahlen im Dezember bereiteten. Bemerkenswert ist auch, dass trotz dieser wirtschaftlichen Probleme sowohl die Armut als auch die Arbeitslosigkeit im letzten Jahr weiterhin zurückgingen, teilweise dank des aufrechterhaltenen hohen Niveaus der staatlichen Sozialausgaben.

Neue Maßnahmen, dasselbe Ziel

In seiner jährlichen Ansprache zur Lage der Nation vor dem Parlament machte Nicolás Maduro einige wirtschaftspolitische Ankündigungen, welche die Herangehensweise seiner Regierung an die Wirtschaft in diesem Jahr behandelten. Kurz gesagt hofft die Regierung, die andauernden Währungs- und Preisturbulenzen zu "stabilisieren", um danach zu einem industrialisierten "sozialistischen produktiven Modell" zu kommen.

"Wir verstehen sehr gut, was das heißt und es wird ein hartes Stück Arbeit für uns, die venezolanische Wirtschaft in eine nachhaltige Kraft bei der Förderung von Arbeitsplätzen, bei der Steigerung der Vielfalt unserer Produktionsbemühungen, bei der Hinzufügung von Mehrwert zu unseren Gütern und bei der Sozialisierung unserer Produktionsmittel zu verwandeln", sagte Maduro in seiner Rede.

Er fuhr fort: "Es geht um den Aufbau einer venezolanischen Wirtschaftsmacht als einer Energie-, Landwirtschafts- und Industriemacht, jetzt und für die Zukunft.”

Diese langfristige wirtschaftliche Vision, ausgedrückt von Maduro, unterscheidet sich nicht stark vom Ziel, das die bolivarische Regierung verfolgte, seit Hugo Chávez 1998 an die Macht gewählt wurde. Die zentrale Idee besteht darin, die einheimische Produktion vielfältiger werden zu lassen und die venezolanische Wirtschaft zu industrialisieren. Im Verlauf würde das die Abhängigkeit vom Öl als der Haupteinnahmequelle des Landes aus Exporten und Kapitalinvestitionen senken (95 Prozent der Deviseneinnahmen kommen aus dem Ölverkauf). Während die Regierung die einheimische Lebensmittelproduktion in den letzten zehn Jahren erkennbar steigerte und neue industrielle Gemeinschaftsprojekte mit ausländischen Regierungspartnern startete, wurde der mangelnde Fortschritt hin zu diesem Ziel in einer statistischen Rückschau der venezolanischen Wirtschaft und Gesellschaft von Chris Carlson für Venezuelanalysis.com herausgestellt.

Maduro machte am Mittwoch deutlich, dass dieses neue Produktionsmodell für seine Regierung gemischt sein muss: Gelenkt durch staatliche Regelung und Investition, aber auch anziehend für nationale und internationale Investitionen. Eine kollektive Rolle der Bürger bei der Produktion wird durch Gemeindeorganisationen wie Kommunen und Kooperativen anvisiert.

Weiter machte Maduro den Wunsch nach Investitionen aus dem Ausland klar, als er davon sprach, einen ”speziellen Anreizplan" für Investitionen in elf Kerngebieten der Wirtschaft zu schaffen, auch wenn Details dieses Plans noch nicht ausgearbeitet sind.

"Wir werden einen industriellen Plan schmieden. Nationales staatliches und privates Investment wird kommen, ausländisches Investment wird ebenfalls kommen, aber sie müssen das Gesetz und die Verfassung beachten. Wenn ausländische Investoren in Venezuela investieren wollen, sind sie willkommen, aber unter Beachtung der Gesetze", erklärte Vizepräsident Jorge Arreaza gestern im staatlichen Fernsehen.

Das Untermauern dieses Projekts ist das fortwährende Bekenntnis der Regierung zu einer starken staatlichen Ausgabenpolitik in den kommenden Jahren, sowohl im sozialen wie im Infrastrukturbereich.

Ausweitung von Regulierungsmaßnahmen

Die Rede zur Lage der Nation von Mittwoch machte jedoch klar, dass die Regierung es für das Eintreten einer solchen wirtschaftlichen Entwicklung für notwendig hält, die Währung und die Preisverwerfungen zu "stabilisieren", welche derzeit beobachtet werden können. Der Einwand lautet, dass es schwierig ist, die Produktion zu fördern, wenn es für Unternehmen aussichtsreicher ist, Gewinn aus Währungsspekulationen zu ziehen. Um den Wechsel zu einem Produktivmodell voranzutreiben, signalisierte Maduro seine Absicht, den Staat eine stärkere Rolle als Regulator der Wirtschaft spielen zu lassen.

Eine der Schlüsselaussagen war, dass das neue Nationale Zentrum für Außenhandel die Verwaltung des Devisengeschäfts von der alten Währungstauschbehörde CADIVI übernehmen werden wird.

Die venezolanische Regierung hatte den Kurs des Bolivar zum Dollar seit 2003 fixiert und Kontrollen des Währungstauschs des Bolivar mit Fremdwährungen eingeführt, um Kapitalflucht zu verhindern, Währungsreserven zu bewahren und die Staatsausgaben gegen Währungsschwankungen zu schützen.

Zu diesen Kontrollen zählt der Staat Quoten, wie viele Dollars Unternehmen, Importeure und Bürger zum offiziellen Kurs kaufen können. Wenn Unternehmen und Bürger mehr Devisen über diese Quoten hinaus haben wollen, dann wechseln sie zum informellen „parallelen“ oder Schwarzmarkt, wo Dollars wesentlich teurer sind.

Die Differenz zwischen dem offiziellen und dem Parallelkurs kann aber wirtschaftliche Instabilität verursachen, da das Erwerben von Dollars zum offiziellen Kurs und deren Verkauf auf dem Schwarzmarkt zu einer gewinnträchtigen spekulativen Tätigkeit wird. Ein wahrgenommener Mangel an Dollars bei Ausgaben für Importe und spekulative Währungsgeschäfte auf dem Schwarzmarkt sorgten 2013 dafür, dass der Wert des Schwarzmarktdollar auf das Zehnfache des Werts des offiziellen Dollar stieg, was in der Folge den Einzelhandel antrieb, die Preise zu erhöhen, auch bei denjenigen Händlern, die keine Waren importierten und solchen, die bei ihren Importen den Dollar zum offiziellen Kurs einsetzten. Es war eine solche Situation, die Ende vergangenen Jahres zum scharfen Durchgreifen der Regierung in Bezug auf die Preise von importierten Elektronikartikeln führte.

Vom Nationalen Zentrum für Außenhandel wird erhofft, dass die Verwaltung des Währungstauschs verbessert werden kann, um die Zahl der Unternehmen und Bürger zu senken, welche Dollars zum offiziellen Kurs nachfragen, um sie daraufhin auf dem Schwarzmarkt zu verkaufen. Des Weiteren argumentiert die Regierung, dass mit einer "vernünftigen" Verteilung von Fremdwährung in der Wirtschaft und der Anwendung von Komplementärmechanismen wie den Währungsauktionen von SICAD der Wert des Schwarzmarktdollar gesenkt werden kann, was wiederum auch Preissteigerung und andere ökonomische Verwerfungen reduzieren würde. Aber das könnte zu hoch gegriffen sein vor dem Hintergrund ähnlicher Maßnahmen, die letztes Jahr durchgeführt wurden und dabei versagten, das ständige Ansteigen des Werts des Schwarzmarktdollar zu stoppen.

Die Regierung weigerte sich, den Bolivar abzuwerten, wie sie es im Februar vergangenen Jahres tat. Ein solcher Schritt würde erhebliche politische Kosten mit sich bringen und man könnte argumentieren, dass die Abwertung im Jahr 2013 nicht alle ihre Ziele erreichte, noch verhinderte sie die Wertsteigerung des Schwarzmarktdollar. Die Regierung hat jedoch angeordnet, dass gewisse Wirtschaftssektoren ihre Dollars zum SICAD-Kurs von rund 11,36 Bolivar pro Dollar beantragen und Touristen können nun ebenfalls legal Dollars zum höheren Kurs verkaufen. Von daher sehen Kritiker den häufiger werdenden Gebrauch des SICAD-Kurses bei Währungstransaktionen als gleichbedeutend mit einer "inoffiziellen Abwertung".

Entlang der verbesserten Regulierung des Währungstauschs wird die zweite Säule des vom Staat ausgeweiteten Regelwerkes die Reglementierung von Gebühren, Preisen und Gewinnen sein. Während die Höchstpreise für einige Nahrungsmittel und Haushaltswaren des Grundbedarfs bereits festgelegt wurden, plant Präsident Maduro, ein Gesetz durchzusetzen, das bald die maximale Gewinnmarge quer durch die Wirtschaft auf 30 Prozent begrenzt. Mit dieser Maßnahme hofft die Regierung, die Konsumenten vor Wucher zu schützen, der durch Warenknappheit und spekulative Währungsgeschäfte verursacht wird.

Zur Überwachung dieser Regelungen wird die neue Oberaufsichtsbehörde für faire Gebühren, Preise und Gewinne eingesetzt. Es bedeutet einen willkommenen Bürokratieabbau, wenn man sieht, dass die beiden bisherigen Aufsichtsbehörden mit sich überlappenden Aufgabenbereichen nun zu einer Institution verschmolzen wurden. Die wichtige Arbeit der Behörde wird jedoch von Andreina Tarazon geleitet werden, die ihre Arbeitszeit aufteilen muss, da sie gleichzeitig Ministerin für Frauen und geschlechtliche Gleichberechtigung ist. Demgegenüber wurde der frühere Präsident der Preiskontrollbehörde Indepabis, Eduardo Samán, dem allgemein eine gradlinige Einstellung gegenüber Preisspekulanten nachgesagt wurde, offenbar ohne weitere Erklärung entlassen.

Die übrigen Verlautbarungen von Maduro in seiner Rede waren eher von verwaltungstechnischer Natur: Vereinigung der Ministerien für staatliches Bankwesen und Finanzen und Wiederernennung von Nelson Merentes als Chef der Zentralbank, er gilt als "gemäßigt" in steuer- und währungspolitischen Dingen.

Reaktionen

Wenig überraschend gab es eine ganze Bandbreite an Reaktionen auf Maduros Ankündigungen quer durch das politische Spektrum. Neftali Reyes, ein regelmäßiger Autor der alternativen linksgerichteten Website Aporrea.org argumentierte, dass die Kontrolle von Preisen und Gewinnen notwendig war, um ungerechtfertigte Preisspekulationen in der Wirtschaft zu vermeiden.

Jedoch warnte der Schreiber, dass der Erfolg dieser Regulierung von der Effektivität der Arbeit der neuen Superintendentur abhängen würde: "Die politische Grundlage der bolivarischen Revolution in den kommenden Monaten wird von der Effizienz dieser Organisation abhängen".

Der Autor erläuterte auch die Sorge unter einigen Aktivisten des linken Flügels der bolivarischen Bewegung, dass die wirtschaftlichen Maßnahmen der Regierung einen möglichen Schritt zum "Reformismus" bedeuten, oder einen Pakt mit Teilen der Opposition und dem nationalen Kapital.

"Nach vierzehn Jahren Revolution ist es nicht nur zwingend, dass die [wirtschaftlichen] Maßnahmen dem Volk zugute kommen, sondern auch, dass der Kurs, den die bolivarische Revolution in den kommenden Monaten einschlagen wird, entschieden bestimmt wird", schließt der Artikel.

Währenddessen behauptete die konservative Tageszeitung El Universal, die Handlungen der Regierung, um die Wirtschaft zu stabilisieren "sind unzureichend im Zusammenhang mit Steuerpolitik und Inflation". Der Artikel benutzte die Perspektive von JP Morgan, Barclay's Capital und Bank of America, um zu argumentieren, dass monetäre Abwertung und strengere Steuerdisziplin (weniger Geld zu drucken und die Staatsausgaben zu senken) notwendig sein würden, um die wirtschaftlichen Turbulenzen der Wirtschaft des Landes zu beseitigen.

Die rechtsgerichtete oppositionelle Koalition "Tisch der demokratischen Einheit" (MUD) gab ebenfalls eine Stellungnahme heraus, in der sie Maduro beschuldigte, er habe sich um eine Erklärung gedrückt, wie seine Regierung Inflation, Warenknappheiten und andere Probleme, welche das Land betreffen, lösen wird.

Während die MUD keinen umfassenden wirtschaftlichen Plan für Venezuela herausgab für den Fall, dass sie an die Macht kommen würde, würden einige wirtschaftliche Gruppen, welche diese Koalition unterstützen, gerne sehen, dass Währungskontrollen beseitigt werden und "Marktkräfte" als zentraler Motor der Wirtschaft wiederhergestellt werden. Einer der Beweggründe dahinter wäre, die Kontrolle über Einkünfte aus dem Erdölhandel wiederzugewinnen (...).

Fazit

In vieler Hinsicht unterstrich Maduros Rede zur Lage der Nation die langfristige wirtschaftliche Vision der Regierung, auf deren Weg bisher nur sehr begrenzte Fortschritte erzielt wurden, trotz der großen politischen und sozialen Veränderungen, die in der vergangene Dekade erreicht wurden. Diese Vision besteht darin, dass Venezuelas kapitalistische Wirtschaft, innerhalb derer Sektoren das private Kapital nur in spekulative Geschäfte auf der Grundlage der Aneignung von Ölgewinnen investiert, in ein "sozialistisches" Modell umgewandelt wird, wo staatliche, private und kollektiv geführte Unternehmen eine produktive Rolle in einer industrialisierten und vielfältigen Wirtschaft spielen.

Ob Venezuela sich dieses Jahr in diese Richtung bewegen wird und darüber hinaus, wird von vielen Faktoren abhängen, einschließlich dem Erfolg der Regierungspolitik dabei, Investitionen in produktive landwirtschaftliche und industrielle Aktivitäten anzukurbeln. In der Zwischenzeit werden unmittelbare Herausforderungen sein, ob neue Regulierungsmaßnahmen Währungsschwankungen und Preisspekulation bekämpfen können und ob die sporadisch auftretenden Warenknappheiten, die immer noch die Konsumenten und die Wirtschaft treffen, beseitigt werden können. (...)