Nicaragua / Politik

"Vorsichtig mit Kritik an anderen"

Gespräch mit Heike Hänsel über die Entscheidung der Bundesregierung, Nicaragua als Partner der Entwicklungszusammenarbeit abzustufen

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Heike Hänsel beim Interview auf dem Demokratiekongress
Heike Hänsel beim Interview auf dem Demokratiekongress

Heike Hänsel ist entwicklungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag.

Das BMZ hat Nicaragua als Kooperationsland in die zweite Kategorie abgestuft, was bedeutet dies konkret?

Noch unter der SPD-Ministerin Wieczorek-Zeul wurde die Budgethilfe an Nicaragua eingestellt. Die jetzige Herabstufung auf der Länderliste des BMZ bedeutet, dass es kein umfassendes bilaterales Länderprogramm mehr geben wird. Die zwischenstaatliche Zusammenarbeit wird auf ein Thema, nämlich die Kooperation im Wasserbereich, beschränkt. Dazu kommt die Unterstützung von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Damit will sich die Bundesregierung die Möglichkeit der Einflussnahme auf die politische Entwicklung in Nicaragua bewahren. 

Nach welchen Kriterien erfolgt die Einteilung der Kooperationsländer?

Die Bundesregierung hat dem Bundestag gegenüber bestimmte Kriterien für die Kategorisierung von Partnerländern angeführt. Dazu gehören Armut und Bedürftigkeit, die sogenannte Leistungsfähigkeit im Sinne von Entwicklungsorientierung und Regierungsführung, aber auch "deutsche Interessen". Wenn man allerdings genauer nachfragt, wie wir das in unserer Kleinen Anfrage (BT-Drucksache 17/10298) getan haben, dann wird es doch recht willkürlich: "Deutsche Interessen" werden nicht konkret benannt, Armut und Bedürftigkeit werden zwar als bedeutsames Kriterium genannt, aber die Gewichtung bleibt unklar. Zur Messung von "Leistungsfähigkeit" wird ausgerechnet der Transformationsindex von Bertelsmann herangezogen, der eine klar marktwirtschaftliche Ausrichtung hat. Die Menschenrechtssituation in den Kooperationsländern fließt ebenfalls in die Entscheidung über die Einstufung ein, allerdings nicht nach nachvollziehbaren Kriterien, sondern als vage Tendenz – mit viel Spielraum für die politisch motivierte Interpretation.

Welche Gründe gibt die Bundesregierung für die Abstufung Nicaraguas in die zweite Kategorie an?

Die Bundesregierung begründet die Abstufung im Wesentlichen mit der fehlenden sogenannten "guten Regierungsführung" in Nicaragua. Sie argumentiert, Daniel Ortega und die FSLN würden zunehmend autokratisch regieren. Hierbei führt die Bundesregierung die, ihrer Ansicht nach, verfassungswidrige Kandidatur von Daniel Ortega zu den Präsidentschaftswahlen sowie "massive Unregelmäßigkeiten" im Vorfeld der Wahlen und während des Wahlprozesses an, der angeblich nicht rechtsstaatlichen und demokratischen Standards genügt hätte.

Wie sehen sie diese Einschätzung der Bundesregierung im Hinblick auf die Situation in anderen Ländern der Region?

Die politische Intention ist mehr als deutlich sichtbar. Die verheerende Menschenrechtslage im Nachbarland Honduras beispielsweise wird von der Bundesregierung zwar eingeräumt, zugleich aber behauptet sie, diese sei nicht auf die honduranische Regierung zurückzuführen, im Gegenteil täte die Regierung alles dafür, die Lage zu verbessern. Das ist eine haarsträubende Argumentation vor dem Hintergrund des Putsches, der in Honduras vor drei Jahren stattgefunden hat und von führenden FDP-Politikern unterstützt und sehr wohlwollend kommentiert worden war. Seit dem Putsch hat sich die Menschenrechtslage in Honduras drastisch verschlechtert. Politische Aktivisten, Kleinbauern, die um ihr Land kämpfen, kritische Journalisten, Gewerkschafter und Menschenrechtsverteidiger werden ermordet. Bei aller, auch berechtigter Kritik an der nicaraguanischen Regierung: Das findet in Nicaragua nicht statt. Trotzdem ist Honduras Kooperationsland in der ersten Kategorie, während Nicaragua in die zweite Kategorie absteigt.

Auch die Einschätzung der Wahlen gibt eine solche Ungleichbehandlung nicht her: In Honduras haben vor zweieinhalb Jahren höchst umstrittene Wahlen unter dem Putschregime stattgefunden. Die Bundesregierung hält sie für eine ausreichende Legitimationsgrundlage für die weitere Zusammenarbeit. Wahlen in anderen Nachbarländern sind regelmäßig von Unregelmäßigkeiten überschattet – bis hin zu Gewalt mit vielen Toten. In Nicaragua, wo internationale Wahlbeobachter zwar Unregelmäßigkeiten festgestellt, nicht aber den Wahlprozess als solches und schon gar nicht das sehr eindeutige Wahlergebnis in Zweifel gezogen haben, legt die Bundesregierung nun viel strengere Maßstäbe an. Das ist natürlich politisch motiviert.

Woran machen Sie fest, dass politische Vorlieben der Bundesregierung bei der Einstufung der Länder eine Rolle spielen?

In Honduras regiert eine rechte Regierung. Mit ihr lässt sich eine neoliberale, auf die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche ausgerichtete Entwicklungspolitik problemlos umsetzen. Von Aktivisten aus Honduras hören wir, was das bedeutet: Unter dem Deckmantel von REDD und anderen "grünen" Maßnahmen wird Privatisierung vorbereitet, werden Investitionsfelder erschlossen und werden Menschen aus ihren Lebensräumen verdrängt. Die GIZ ist dabei stark in die Kritik der sozialen Organisationen geraten. Regierungen, die von der neoliberalen Entwicklungslogik abrücken, werden von der deutschen EZ ausgeschlossen. Wir erleben das ja nicht nur in Nicaragua. Entwicklungsminister Dirk Niebel hat als erster europäischer Politiker nach dem institutionellen Staatsstreich in Paraguay dem neuen, rechten De-facto-Präsidenten seine Aufwartung gemacht und gleich Entwicklungsgelder versprochen, ohne auf die kritischen Stimmen in der Region zu hören wie z.B. Unasur. Ein weiteres Beispiel ist das lange und unwürdige Tauziehen um die deutsche Unterstützung für das in der Amazonasregion gelegene ITT-Projekt der linken Regierung in Ecuador.

Wo sehen Sie selbst Schwächen in der Regierungsführung der Regierung Ortega?

Ich kritisiere zunächst einmal die Regierungsführung der schwarz-gelben Koalition. Gerade wenn es um Ämterpatronage, Korruption und den Einfluss von Lobbyisten geht, sollte die Bundesregierung ganz vorsichtig mit ihrer Kritik an anderen sein. Und zum Stichwort Entwicklungsorientierung fällt mir die EU-Krisenpolitik von Merkel ein, die ganze Teile Europas in die Armut stürzt. Gute Regierungsführung sieht für mich anders aus. Selbstverständlich kann und muss auch die nicaraguanische Regierung kritisiert werden, wenn politische Entscheidungen intransparent herbeigeführt werden oder sich Macht jenseits demokratischer Prozesse in den Händen weniger konzentriert. Da muss Daniel Ortega in die Pflicht genommen und kritisiert werden, aber von links, nicht von rechts. Diese Kritik gibt es ja auch bereits in Nicaragua selbst. Trotzdem muss anerkannt werden, dass über 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler den Sandinisten ihre Zustimmung gegeben haben.

Sie schreiben in Ihrer Anfrage, dass die Politik der nicaraguanischen Regierung durchaus entwicklungsorientiert sei. An welchen Indikatoren machen Sie dies fest?

Interessanterweise gibt die Bundesregierung in ihrer Antwort auf unsere Anfrage an, dass der GINI-Koeffizient, der die Einkommensunterschiede in einem Land misst, in dem von uns abgefragten Fall (also in Bezug auf Nicaragua und Honduras) "keine entscheidende Rolle" gespielt hätte. Dabei ist das doch für die Einschätzung der Entwicklungsorientierung entscheidend. Und gerade hier hat sich Nicaragua wie andere links regierte Länder der Region gut entwickelt. Im Rahmen von ALBA und auf nationaler Ebene wurden in Nicaragua viele soziale Programme angestoßen, die marginalisierten Bevölkerungsschichten das Überleben sichern. Hinsichtlich wichtiger Indikatoren, die etwa von der Weltbank zusammengetragen werden, hat sich Nicaragua im Verhältnis zu anderen Ländern derselben Einkommensgruppe und auch im lateinamerikanischen Vergleich günstig entwickelt. So konnte die Säuglingssterblichkeit erheblich gesenkt werden, der Bevölkerungsanteil, der unterhalb der Armutsgrenze lebt, sinkt ebenfalls. Vor allem aber möchte ich darauf hinweisen, dass sich die Menschen in Nicaragua frei und sicher bewegen können. Im Gegensatz zu anderen Ländern Zentralamerikas wie Honduras, El Salvador, Guatemala oder Mexiko leiden die Menschen in Nicaragua nicht unter dieser extremen politischen Repression und brutalen alltäglichen Gewalt. Das hat unter anderem auch – davon bin ich überzeugt – mit dem gesellschaftlichen Einfluss der Sandinisten in der Vergangenheit und heute zu tun.