The West against the Rest (II)

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen orientiert auf Blockbildung des Westens. Nichtwestliche Bündnisse (Brics, SCO) erhalten wachsenden Zulauf

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Grafik des kubanischen Künstlers Falco (Alex Falco Chang)
Grafik des kubanischen Künstlers Falco (Alex Falco Chang)

Die Europäische Union zielt im Machtkampf gegen Russland und China auf eine globale Blockbildung, strebt eine umfassende Ausdehnung des westlichen Blocks an und wird im Inneren gegen "trojanische Pferde" auswärtiger Mächte vorgehen.

Dies geht aus der State of the Union-Rede von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vom 14. September hervor. Demnach wird der transatlantische Block, der einige asiatisch-pazifische Staaten einschließt, mit dem positiv konnotierten Etikett "Demokratien" versehen. Er soll um möglichst viele Staaten Afrikas und Lateinamerikas erweitert und einem nichtwestlichen Block gegenübergestellt werden, der das negativ konnotierte Label "Autokratien" erhält.

Während die EU die Blockbildung vorantreibt, entstehen im nichtwestlichen "Rest" der Welt – es handelt sich um drei Viertel sämtlicher Staaten – neue Bündnisse, die eine multipolare Ordnung anstreben. Beteiligt sind neben Russland und China auch Indien, Brasilien und Südafrika. Die Mitgliedschaft in den Bündnissen Brics oder SCO (Shanghai Cooperation Organisation) streben so unterschiedliche Staaten wie Argentinien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Indonesien an.

"Freunde"

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer "State of the Union"-Rede offen auf eine globale Blockbildung orientiert. Es sei jetzt an der Zeit, "unsere Außenpolitikagenda neu zu durchdenken", erklärte von der Leyen; dabei gelte es gezielt "in die Macht der Demokratien zu investieren".1 Kern ist dabei offenbar, wie aus den nicht immer präzisen Zuordnungen der Kommissionspräsidentin hervorzugehen scheint, das transatlantische Bündnis – wohl zuzüglich Australiens, Neuseelands, Japans und Südkoreas. Von diesem "Kern" behauptete von der Leyen, die teils recht erheblichen Differenzen innerhalb des Westens ignorierend, die westlichen "Demokratien" seien "Freunde", die "die Welt mit denselben Augen" sähen. "Freunde" seien neben den G7- und den Nato-Staaten auch die Ukraine, Moldawien, Georgien sowie "die Opposition in Belarus", die es in einem ersten Schritt enger an den "Kern der Demokratien" heranzuführen gelte.

Die betonte Aufwertung der eigenen Verbündeten ("Demokratien") sowie die dezidierte Abwertung von Rivalen und Feinden (tatsächliche oder angebliche "Autokratien") lag im Dezember 2021 bereits dem Washingtoner "Demokratiegipfel" von US-Präsident Joe Biden zugrunde.

"Trojanische Pferde"

Wie von der Leyen weiter erklärte, hänge "unsere Zukunft" allerdings auch "von unserer Fähigkeit" ab, "über den Kern unserer demokratischen Partner hinaus" mit anderen Staaten zu kooperieren. Die Kommissionspräsidentin nahm dabei ausdrücklich die Staaten Afrikas in den Blick. Diese wolle man unter anderem mit "Global Gateway" gewinnen, einem groß dimensionierten und zweimal großspurig verkündeten Investitionsprogramm, das allerdings bisher noch keine echten Erfolge zeitigt (german-foreign-policy.com berichtete2).

Von der Leyen zufolge soll "dieser Ansatz" nun auch in Lateinamerika verfolgt werden; dabei greift die EU-Propaganda in ihrer Selbstdarstellung nach außen gern auf den Ausdruck "Team Europe" zurück. Die Absicht, für den eigenen Block ("Demokratien") zahlreiche Verbündete in aller Welt zu gewinnen, geht mit von der Leyens Ankündigung einher, man werde es nicht zulassen, dass "ausländische Autokraten" und "ausländische Organisationen" innerhalb der EU dazu beitrügen, "unsere Werte zu unterminieren". So werde man dagegen vorgehen, dass "trojanische Pferde irgendeiner Autokratie unsere Demokratien von innen angreifen".3 "Ausländischer Einfluss" in der Union werde in Zukunft mit einem "Defence of Democracy"-Paket offengelegt.

"Keine Blockkonfrontation"

Während die EU im Inneren auf Abschottung sowie nach außen auf Blockbildung und Expansion setzt, erhalten nichtwestliche Bündnisse Zulauf, die auf eine multipolare Ordnung zielen und an einer Spaltung der Welt in zwei Blöcke kein Interesse haben.

Ein Zusammenschluss, der sich derzeit im Aufwind befindet, ist das Brics-Bündnis (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika). Ursprünglich gegründet, um die spezifischen Interessen der fünf aufstrebenden Schwellenländer zu vertreten, gewinnt die Kooperation mit ihnen inzwischen auch für weitere Staaten an Attraktivität, die entweder vom Westen ausgegrenzt und mit Sanktionen bekämpft werden oder die für sich in einer vom Westen dominierten Welt aus anderen Gründen wenig Chancen sehen. Dezidiert Brics-Mitglied werden wollen Iran und Argentinien.

An einem Treffen im Brics Plus-Format im Mai, das auf eine engere Kooperation abzielt, nahmen außerdem Indonesien und Thailand, Kasachstan, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, Ägypten, Nigeria sowie Senegal teil.4 Beim jüngsten Brics-Gipfel Ende Juni erklärte Chinas Präsident Xi Jinping, es gehe den Mitgliedern des Bündnisses nicht darum, einen antiwestlichen Block zu schmieden, sondern darum, "jede Kalte-Kriegs-Mentalität und Blockkonfrontation zurückzuweisen".5

Bündnis mit Brüchen

Ebenfalls Zulauf erhält die Shanghai Cooperation Organisation (SCO), die am 15. September im usbekischen Samarkand ihr jüngstes Gipfeltreffen abhielt. Die SCO wurde im Jahr 2001 von China, Russland und vier Staaten Zentralasiens (Kasachstan, Kirgisistan, Usbekistan, Tadschikistan) gegründet; im Jahr 2017 traten ihr Indien und Pakistan bei.

Die Kooperation im SCO-Format ist breit angelegt. Sie umfasst eine Vielzahl an Bereichen: von Wirtschaft bis hin zu Kultur, von der Bekämpfung von Terrorismus sowie organisierter Kriminalität bis hin zu militärischen Aktivitäten. Im Westen wurde die SCO oft unter- oder überschätzt – als wenig handlungsfähiger Koloss belächelt oder fälschlich als antiwestliches Militärbündnis ("Anti-Nato") beschrieben.

In Wirklichkeit gestattet es die SCO ihren Mitgliedern, ein gewisses Maß an Kooperation insbesondere auf den Feldern der Wirtschaft und der Abwehr terroristischer Aktivitäten zu pflegen. Zu ihren Schwächen zählen ernste Spannungen zwischen einigen Mitgliedern; die Beziehungen zwischen Indien und Pakistan gelten seit je als miserabel, Indien betrachtet China als großen asiatischen Rivalen.

Vor der Erweiterung

Dennoch befindet sich auch die SCO aktuell im Aufwind. Auf ihrem heute beginnenden Gipfeltreffen wurde die Aufnahme Irans beschlossen. Mit einer SCO-Mitgliedschaft liebäugeln Berichten zufolge die Vereinigten Arabischen Emirate – dies unabhängig von der Mitgliedschaft Irans, ihres traditionellen Rivalen im Mittleren Osten. Den Status eines "Dialogpartners" streben Saudi-Arabien, Ägypten und Qatar an; schon heute besitzen ihn die Türkei, Sri Lanka und Nepal, Kambodscha, Armenien und Aserbaidschan.

Sollte die SCO den arabischen Golfstaaten den Status eines "Dialogpartners" gewähren, wäre das ein weiterer Schritt Riads und Abu Dhabis weg von ihrer exklusiven Bindung an die USA bzw. die westlichen Mächte und hin zu einer Kooperation mit mehreren Machtpolen – ein Schritt in Richtung auf eine multipolare Welt.6 Mit deren Herausbildung käme die bisherige globale Dominanz des Westens an ihr Ende.

  • 1. 2022 State of the Union Address by President von der Leyen. ec.europa.eu 14.09.2022
  • 2. S. dazu 300 Milliarden gegen die Seidenstraße und Scheiternde Sanktionen
  • 3. 2022 State of the Union Address by President von der Leyen. ec.europa.eu 14.09.2022
  • 4. S. dazu The West against the Rest
  • 5. Chinese President Xi Jinping asks Brics to jointly safeguard world peace; attacks US, EU military alliances. economictimes.indiatimes.com 23.06.2022
  • 6. Thomas Seibert: Treffpunkt des Anti-Westens. tagesspiegel.de 14.09.2022