The West against the Rest (I)

Heute beginnt der G7-Gipfel in Elmau. Die Brics-Staaten positionieren sich unterdessen als Gegengewicht zum Westen

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Gegen den Gipfel in Elmau finden Aktionstage der Kampagne "Stop G7" statt
Gegen den Gipfel in Elmau finden Aktionstage der Kampagne "Stop G7" statt

Der G7-Gipfel soll unter deutschem Vorsitz neue Maßnahmen im Wirtschaftskrieg des Westens gegen Russland vorbereiten. Dies sehen die Pläne für die Zusammenkunft vor, die heute in Elmau beginnt. Demnach will Washington eine Einigung auf Vorhaben erreichen, die es ermöglichen sollen, den Ölpreis auf russische Kosten zu senken. Der hohe Benzinpreis schadet den Aussichten der US-Präsidentenpartei für die Zwischenwahlen im November.

Zudem sind die G7 bemüht, fünf Staaten, die die Bundesregierung als Gäste nach Elmau eingeladen hat, für die Russland-Sanktionen zu gewinnen. Diese werden weiterhin bloß von einem Viertel aller Länder weltweit unterstützt. Zu den Gaststaaten gehören Senegal und Indonesien, die mittlerweile öffentlich die Aufhebung der Sanktionen verlangen. In Elmau sind außerdem Indien und Südafrika präsent, zwei Mitglieder des Brics-Bündnisses, sowie Argentinien, das diesem beitreten will. Die Brics-Staaten kritisieren die Sanktionspolitik und positionierten sich auf ihrem gestrigen Gipfeltreffen als Gegengewicht zum Westen.

Die G7 bestehen aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den USA, die Europäische Kommission hat einen Beobachterstatus. Dem Brics-Bündnis gehören derzeit Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika an.

Die Wirtschafts-NATO

Hohen Stellenwert auf dem Gipfeltreffen in Elmau nimmt die Debatte über gemeinsame ökonomische Maßnahmen der G7-Staaten ein. Die britische Außenministerin Liz Truss hatte den Zusammenschluss erst vor kurzem "eine Wirtschafts-Nato" genannt, die "gemeinsam unseren Wohlstand verteidigen" solle.1 In diesem Sinne werden die sieben Staats- und Regierungschefs besonders die Energieversorgung thematisieren, die infolge der westlichen Sanktionen gegen Russland in Schwierigkeiten steckt. Europa steht womöglich vor einem ernsten Mangel an Erdgas, der unter anderem der deutschen Industrie schweren Schaden zufügen könnte.2 In den USA liegen die Benzinpreise auf Rekordniveau, was die ohnehin schlechten Aussichten der Präsidentenpartei bei den Zwischenwahlen im November weiter eintrübt. Washington fürchtet, die jüngste Sanktionsrunde der EU, die es untersagt, russische Erdöltransporte zu versichern, könnte die Preise bald noch weiter in die Höhe treiben. Es will daher den G7-Gipfel nutzen, um Alternativen voranzubringen. Im Gespräch sind Höchstpreise oder Einfuhrzölle auf russisches Erdöl.3 Die Vorschläge sind umstritten, nicht zuletzt, weil nicht klar ist, wie sie funktionieren bzw. tatsächliche Preissenkungen hervorbringen sollen.

Nur ein Viertel aller Staaten

Besonderes Gewicht misst die Bundesregierung, die in diesem Jahr den G7-Vorsitz innehat, außerdem dem Versuch bei, die Isolation des Westens in Sachen Russland-Sanktionen zu durchbrechen. Weiterhin beteiligten sich "weniger als ein Viertel der UN-Mitglieder" an den Sanktionsmaßnahmen, hielt zu Wochenbeginn die Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) fest.4 Berlin hat die Staats- und Regierungschefs von fünf Gaststaaten nach Elmau geladen, um sie im Machtkampf gegen Moskau fest auf die Seite der G7 zu ziehen: Es könne "nicht in unserem Interesse sein", hieß es vorab aus Regierungskreisen, dass sich "der Westen in seiner engen Definition gegen den Rest der Welt positioniert".

Eingeladen wurde etwa Indien, das seit Kriegsbeginn seine Erdölimporte aus Russland massiv gesteigert hat und eine Intensivierung der indisch-russischen Wirtschaftsbeziehungen ins Visier nimmt. Penetrante Bemühungen der westlichen Mächte, New Delhi davon abzuhalten, sind bisher gescheitert (german-foreign-policy.com berichtete5). Nach Elmau gebeten hat Berlin zudem Südafrika sowie Senegal. Senegals Präsident Macky Sall kündigte bei einem Besuch von Kanzler Olaf Scholz in Dakar Ende Mai an, er werde als Vorsitzender der Afrikanischen Union, anstatt Russland zu isolieren, zu Gesprächen mit seinem Amtskollegen Wladimir Putin nach Sotschi reisen.6

Auf dem Weg nach Russland

Sall hat nach den Gesprächen, statt sich den westlichen Sanktionen anzuschließen, deren Aufhebung gefordert, da sie die Ausfuhr russischen Getreides sowie russischer Düngemittel behindern und damit die globale Nahrungsversorung gefährden.7 Die Forderung hat er am vergangenen Wochenende wiederholt.8 Ihr hat sich mittlerweile auch Indonesien angeschlossen, der vierte G7-Gaststaat in Elmau, der nun ebenfalls auf Erleichterungen bei den Strafmaßnahmen dringt.9 Der in Europa und Nordamerika verbreitete Hinweis, die Sanktionen richteten sich nicht unmittelbar gegen Getreide und Düngemittel, sie seien also für die Nahrungsversorgung kein Hindernis, ist verfehlt: Sie treffen die russische Finanz- sowie die Transportbranche und stehen damit auch Lebensmittelexporten im Weg. Ob Indonesiens Präsident Joko Widodo die Forderung, sie abzuschaffen oder sie zumindest zu erleichtern, auf dem G7-Treffen offiziell vortragen wird, ist ungewiss. Fest steht allerdings, dass er nach dem Treffen nach Russland reisen und dort Gespräche mit Präsident Putin führen wird. Die G7 haben schon in den vergangenen Wochen und Monaten massiv Druck auf ihn ausgeübt, in seiner Eigenschaft als aktueller Vorsitzender der G20 Russland vom G20-Gipfel im November in Bali auszuladen. Bisher hatten sie damit keinen Erfolg.

Der Neue Süden

Argentinien wiederum, das fünfte Land, das die Bundesregierung nach Elmau geladen hat, um es im Machtkampf gegen Russland auf die Seite der G7 zu ziehen, orientiert sich zur Zeit laut Einschätzung von Jorge Heine, einem ehemaligen chilenischen Diplomaten, der heute an der Boston University lehrt, prinzipiell um. "Argentinien sieht seine Zukunft nicht im Alten Europa oder im Nordatlantik, sondern im Neuen Süden", urteilt Heine; dieser aber habe "sein Herz in der Asien-Pazifik-Region" und sei verkörpert in der Organisation der Brics.10

Das Brics-Bündnis wurde vor rund eineinhalb Jahrzehnten gegründet und hielt am 23. Juni das vierzehnte Gipfeltreffen ab. Es widersetzt sich dem Versuch des Westens bzw. der G7, ihre globale Dominanz zu zementieren; so hat es mit der New Development Bank (NDB) eine Entwicklungsbank geschaffen, die als Gegengewicht zu Weltbank und IWF konzipiert ist. Das Brics-Bündnis litt zuletzt unter heftigen Auseinandersetzungen insbesondere zwischen Indien und China, ist aber jetzt unter dem Eindruck der Sanktionspolitik gegen Russland wieder enger zusammengerückt. Zur Zeit ist eine erste Brics-Erweiterung im Gespräch; Argentinien will dem Zusammenschluss beitreten.

"Die westliche Hegemonie brechen"

Argentinien hat bereits im Mai an einem Treffen im Brics Plus-Format teilgenommen, das auf Außenministerebene durchgeführt wurde und zu dem eine Reihe weiterer Staaten geladen waren, um das Brics-Beziehungsnetz weiter zu spannen. Außer Argentinien waren auch die aktuellen G7-Gäste Senegal und Indonesien vertreten, daneben Nigeria und Ägypten, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate, Kasachstan und Thailand. Die Brics stehen für gut zwei Fünftel der Weltbevölkerung und mittlerweile für ein Viertel der globalen Wirtschaftsleistung; sie nähern sich damit langsam, aber stetig der Wirtschaftsleistung der G7 an. Eine etwaige Brics-Erweiterung würde den Prozess beschleunigen.

Am vergangenen Freitag fanden weitere Treffen im Brics Plus-Format statt 11. Chinas Präsident Xi Jinping, dessen Regierung den Gipfel im Videoformat ausrichtete, forderte dazu auf, "Kalte-Kriegs-Mentalität und Blockkonfrontation zurückzuweisen" und keine "kleinen Zirkel rund um Hegemonialbestrebungen" zu bilden – eine klare Absage an die aktuelle Politik des Westens, wie sie auch auf dem bevorstehenden G7-Gipfel zu beobachten ist. Xi wandte sich insbesondere auch gegen die westliche Sanktionspolitik.12 Offene Forderungen, endlich "die westliche Hegemonie zu brechen", wurden gestern in Indien laut.13

24. Juni 2022

  • 1. The return of geopolitics: Foreign Secretary’s Mansion House speech at the Lord Mayor’s 2022 Easter Banquet. gov.uk 27.04.2022.
  • 2. S. dazu Der Erdgaspoker der EU (V).
  • 3. James Politi, Felicia Schwartz: G7 leaders to debate ways to stabilise global energy markets. ft.com 23.06.2022.
  • 4. Lars Brozus: Zusammenhalt, Reformen und vorausschauende Politik: Die Aufgaben der G7. swp-berlin.org 20.06.2022.
  • 5. S. dazu "Russland isolieren" (III) und "Russland isolieren" (IV).
  • 6. S. dazu Das Reisemandat der Afrikanischen Union.
  • 7. Senegal’s Macky Sall appeals to West to ease sanctions on Russia. france24.com 03.06.2022.
  • 8. Giorgio Leali: African Union chief urges EU to ease food payments to Russia. politico.eu 19.06.2022.
  • 9. Emma Connors: Indonesia backs sanctions relief as food crisis deepens. afr.com 22.06.2022.
  • 10. Fermín Koop: Argentina looks to join Brics with China and Brazil’s support. dialogochino.net 15.06.2022.
  • 11. Zum virtuellen Forum über globale Entwicklung im Brics Plus-Format am vergangenen Freitag waren die Regierungs-und Staatschefs von Ägypten, Argentinien, Indonesien, Iran, Kasachstan, Nigeria, Thailand und Vereinigte Arabische Emirate eingeladen. Argentiniens Präsident Alberto Fernández bezeichnete das Brics-Bündnis als "eine hervorragende Kooperationsalternative zu einer Weltordnung, die zum Wohle einiger weniger funktioniert".
  • 12. Chinese President Xi Jinping asks Brics to jointly safeguard world peace; attacks US, EU military alliances. economictimes.indiatimes.com 23.06.2022.
  • 13. Mohammed Saqib: Brics summit needs to focus on breaking Western hegemony. indianexpress.com 23.06.2022.