Als der damalige Präsident von Honduras, Manuel Zelaya, am 28. Juni 2009 die Bevölkerung zu einer verfassunggebenden Versammlung befragen wollte, putschte die konservative Elite mit Hilfe des Militärs. Zehn Jahre danach steckt das Land noch immer in einer tiefen Krise. Armut, Gewalt und Korruption prägen den Alltag. Wie reagiert die Bevölkerung?
Die Erhöhung des Mindestlohns, Zuschüsse für Kleinbauern und -bäuerinnen, Eingriffe in die Zinspolitik der Banken und der Beitritt zur lateinamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft Alba hatten Zelaya Sympathien großer Bevölkerungsteile eingebracht. Die konservativen Eliten hingegen stellten sich gegen ihn und schürten Ängste vor dem Chavismus und einem drohenden Kommunismus. Mit Rückendeckung der USA führten sie vor zehn Jahren einen Militärputsch durch. Als Parlamentsvorsitzender übernahm Roberto Micheletti, ein Vertreter der traditionellen Unternehmerschaft, die Regierungsgeschäfte.
Nach zwanzig Jahren des Stillhaltens kam auch das Militär wieder zum Zuge, das die honduranische Gesellschaft seit den 1960er Jahren autoritär geprägt hatte. Heute sichert die Armee in fast allen gesellschaftlichen Bereichen ihre Interessen. Der unter Führung des Präsidenten stehende Nationale Sicherheitsrat koordiniert seit 2011 alle Justiz-, Polizei- und Militäraktionen in einer einzigen Instanz. Die 2013 gegründete Militärpolizei hat Aufgaben der "öffentlichen Ordnung" übernommen, ist aber vor allem für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich. Die Ausgaben für den Verteidigungshaushalt haben sich in den letzten zwölf Jahren vervierfacht.
Die anfangs einhellige Ablehnung des Putsches durch die 'internationale Gemeinschaft' ging schnell in eine Verständigung mit der neuen Führungsriege über. Schon bald wurden wieder Abkommen geschlossen und Entwicklungsgelder gezahlt.
Hassverbrechen im Narco-Staat
Für Jari Dixon, Abgeordneter der linken Partei Libre, haben die gesellschaftlichen Folgen des Putsches die Vorstellungskraft aller übertroffen: "2009 hatten wir eine Auslandverschuldung von 3,2 Milliarden US-Dollar, heute liegt sie bei mehr als 15 Milliarden Dollar. Heute leben über 70 Prozent der Menschen in Armut, mehr als die Hälfte davon in extremer Armut. Die Migration ist heute viel offensichtlicher als vor zehn Jahren." Die Transaktivistin Shirley Mendoza hat Honduras 2017 aufgrund massiver Todesdrohungen verlassen: "Das erste Opfer des Putsches war die Transaktivistin Vicky Hernández. Die Fälle der Hassverbrechen in Bezug auf Genderzugehörigkeit als auch sexuelle Orientierung häuften sich. Mittlerweile sind mehr als 300 LGBTI-Personen seit dem Putsch ermordet worden."
Grenzenlose Korruption und die organisierte Kriminalität haben großen Einfluss auf Politik und Gesellschaft. 2015 wurde die Veruntreuung von mehr als 300 Millionen US-Dollar aus dem honduranischen Sozialversicherungssystem öffentlich – der bisher größte Korruptionsskandal in der Geschichte des Landes. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zufolge ist bereits 2013 Geld in die Wahlkampagne der aktuellen Regierungspartei PNH geflossen. Als Folge der massiven Proteste wurde die Misión de Apoyo Contra la Corrupción y la Impunidad en Honduras eingerichtet, die als internationale Instanz Korruptionsfälle untersuchen soll. Sie steht unter der Schirmherrschaft der OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) und wird unter anderen von der Schweiz, Deutschland und den USA finanziert. Sie wirkt wie ein kosmetischer Eingriff, führte aber dennoch zur Besänftigung der Bevölkerung.
Dixon beklagt, dass Honduras heute ein Narco-Staat sei: "Nach dem Putsch hat der Drogenhandel seinen Einfluss ausgedehnt. Bis in höchste Regierungs- und Militärkreise reicht die Liste der involvierten Personen. Der Sohn des Ex-Präsidenten Porfirio Lobo und der Bruder des aktuellen Präsidenten Juan Orlando Hernández sind in den USA wegen Drogenhandels inhaftiert." Erst kürzlich wurde Innenminister Julian Pacheco von der New Yorker Staatsanwaltschaft angezeigt.
Große Profite zeichnen sich auch in den Geschäften mit der Privatisierung der natürlichen Ressourcen ab. Ein knappes Drittel des honduranischen Staatsgebietes ist heute bereits konzessioniert. An den entsprechenden Bergbau-, Energie- und Tourismusprojekten sind auch internationale Unternehmen und Entwicklungsbanken beteiligt. Zu diesen zumindest um den Anschein der Legalität bemühten Projekten kommt das Geschäft mit illegalen Waldrodungen und Ölpalmenanbau hinzu. Mit der Privatisierung des staatlichen Energiebetriebes wurde eine "Empfehlung" des IWF erfüllt. Gegen diese Projekte gibt es verbreitet Widerstand der Bevölkerung, die um ihr Land und ihre Existenz kämpft. Militär und Polizei setzen sie jedoch rigide durch und haben selbst bei Menschenrechtsverletzungen nichts zu befürchten.
Für Magda Díaz von der Organisation Movimiento Amplio (MADJ) veränderte der Putsch ihr Leben. "Ich trauere um meinen von den Militärs ermordeten Mann. Gleichzeitig habe ich angesichts dieser mörderischen Diktatur, die die Straßen militarisiert, die unsere grundlegenden Rechte, unsere Natur, unsere Wälder, unsere Flüsse zerstört, heute mehr Courage. Ich koordiniere Gemeinden gegen diese Projekte und Unternehmer, die nur Konflikte unter den Nachbarn schüren."
Straflos morden und betrügen
Als am 2. März 2016 die renommierte Umweltaktivistin Berta Cáceres ermordet wurde, sorgte dies weltweit für einen Aufschrei. Sie hatte sich zusammen mit indigenen Gemeinden gegen das Staudammprojekt Agua Zarca gewehrt. Unter den im Januar 2019 verurteilten Mördern und Mittelsmännern sind sowohl ehemalige Angestellte der Staudammfirma als auch aktive und ehemalige Militärangehörige. Víctor Fernández, Anwalt der Familie Cáceres, resümiert: "Die Verbindung der politischen und wirtschaftlichen Gruppen, die mit Hilfe des Militärs ihr Vorhaben durchsetzen, ist mehr als sichtbar und trägt die Handschrift des Putsches." Laut Global Witness ist Honduras heute das weltweit gefährlichste Land für Umweltschützer, seit dem Putsch wurden 123 von ihnen ermordet. Dazu kommen Morde an zahlreichen Aktivisten sozialer Bewegungen und an kritischen Journalisten.
Mit den lang anhaltenden Protesten der vielschichtigen Widerstandsbewegung hatten die Putschisten nicht gerechnet und unterdrückten sie von Anfang an gewaltsam. Der Journalist Cesario Padilla blickt zurück: "Was damals passierte? – Die politischen Morde, die Schließung von kritischen Sendern, die Repression der täglich stattfindenden Proteste. Es ist unglaublich, wie zehn Jahre vergehen und nur noch das Wort Straflosigkeit bleibt. Auf die vielen politischen Morde gibt es bis heute keine Antworten, sie bleiben straflos."
Konsequenzen durch die Staatengemeinschaft hat das Regime nicht zu befürchten. Die Präsidentschaftswahlen 2017 waren von der verfassungswidrigen Wiederkandidatur Hernández’ überschattet. Der Verdacht einer erneuten Kandidatur kostete übrigens acht Jahre zuvor Zelaya das Amt. Bei der Auszählung der Stimmen, bei der der Gegenkandidat Salvador Nasralla vor Hernández lag, kam es zu Unregelmäßigkeiten. Auf die Proteste der Bevölkerung erfolgte die Verhängung des Ausnahmezustandes. Hernández wurde von der Obersten Wahlbehörde zum Sieger erklärt.
Entscheidend war die Anerkennung des Wahlsiegers durch die US-Regierung. Am Vortag hatte Honduras im UN-Sicherheitsrat für Jerusalem als Hauptstadt Israels gestimmt. Trotz eines unabhängigen Gutachtens der Georgetown-Universität, das den Wahlbetrug eindeutig nachwies, sah auch die Europäische Union nur zu, wie die Proteste brutal niedergeschlagen wurden. Laut UN-Bericht wurden 23 Menschen erschossen und über tausend inhaftiert.
Ein zuverlässiger Partner
Trotz Wahlbetrug, offensichtlicher Verbindungen von Regierung und organisierter Kriminalität und dem Massenexodus der Bevölkerung wird Hernández von den USA als zuverlässiger Partner akzeptiert. Im Gegenzug bedient er die Interessen Washingtons. Auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Palmerola unterhält das US-Southern Command, zuständig für Militäroperationen in Lateinamerika, die Spezialeinheit Task Force Bravo mit geheimdienstlichem Auftrag.
Heute stehen alle honduranischen Institutionen unter Kontrolle der Exekutive. An demokratischen Regungen geblieben ist alleine der Aktivismus der Bevölkerung. Seit 2018 haben Tausende auf der Suche nach Sicherheit und Arbeit ihrem Land den Rücken gekehrt. Dennoch schließen sich Gemeinden gegen extraktivistische Großprojekte zusammen und bringen sie teils zum Erliegen. Im Department Atlántida wurden durch friedliche Blockadecamps illegale Wasserkraft- und Bergbauprojekte gestoppt. Im April dieses Jahres bewirkten Massenproteste gegen die Privatisierungsgesetze im Bildungs- und Gesundheitssektor deren Rücknahme.
Anwalt Víctor Fernández beklagt, zu den antidemokratischen Vorgängen in Honduras gebe es kein Gegengewicht: "Die internationale Gemeinschaft setzt sich nur für ihre eigenen Interessen ein und unternimmt alles, um die Zustände zu ‘normalisieren’. Der einzige Widerstand ist der der Bevölkerung."
Kirstin Büttner und Daniela Dreißig begannen nach dem Putsch journalistisch für die Hondurasdelegation und das Menschenrechtskollektiv Cadeho zu arbeiten.
Der Beitrag erschien zuerst in der Zeitschrift iz3w, Ausgabe 373