Mexiko / Politik

Mexiko: "Nicht der Kandidat hat gewonnen, sondern die Bevölkerung"

Die mexikanische Ökonomin Ana Esther Ceceña analysiert den Wahlsieg von Andrés Manuel López Obrador (Amlo)

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Bei den Wahlen in Mexiko am 1. Juli hat sich der linksgerichtete Kandidat Andrés Manuel López Obrador durchgesetzt
Bei den Wahlen in Mexiko am 1. Juli hat sich der linksgerichtete Kandidat Andrés Manuel López Obrador durchgesetzt

Wie analysierst du die Geschehnisse rund um die Präsidentschaftswahlen vom 1. Juli ?

Das waren die komplexesten Wahlen seit Langem. Aber auch die unvorhersehbarsten. Vor der Wahl war es schwierig, Prognosen abzugeben. Von offensichtlicher Bedeutung ist die Arbeit von Amlo, der ja im Prinzip 18 Jahre lang Wahlkampf geführt hat, und vor allem die letzten sechs Jahre ohne Unterlass. Und offensichtlich hat er während dieser Zeit Bündnisse mit tausend Kräften geschmiedet: Einige davon gefallen uns, andere missfallen uns wirklich sehr.

Aber gut, auf diese Weise wurden die Möglichkeiten eröffnet, das zu erreichen, wo wir heute sind. Allerdings war für mich nicht die Arbeit von ihm, dem Präsidentschaftskandidaten, und von Morena entscheidend für die Wahl, sondern weißt du was? Soweit ich mich erinnere, habe ich eine Mobilisierung wie für diese Wahlen jetzt seit 1988, als die Leute sich zum ersten Mal für ein linkes Bündnis einsetzten, um Cárdenas an die Präsidentschaft zu bringen, nicht mehr erlebt. Und ich glaube, auch der jetzige Zeitpunkt ist nicht mit damals vergleichbar, weil wir nun aus einer langen Periode der Verletzung, Zermürbung, Gewalt, Erniedrigung und des Angriffs auf die Bevölkerung kommen. Uns sind in all diesen Jahren viele Dinge passiert: Einerseits gab es da den Aufstand der Zapatisten und dann von Teilen des ganzen Landes, von indigenen Bewegungen, die ihre Stimme erhoben haben, um das soziale Massaker anzuprangern, in dem wir leben. Aber so wie in den letzten sechs Jahren ging es uns noch nie. In den letzten drei Jahren war es extrem: die totale Abwesenheit des Rechtsstaats, unverhüllte Straflosigkeit in jeder Hinsicht und überall, eine nie dagewesene Korruption, eine wirklich offenkundige Plünderung des Landes.

Wir waren also in einer sehr verfahrenen Situation, aber nun scheint es, dass die Bevölkerung selbst auf die Straße gegangen ist und die Sachen in die Hand genommen hat. Es war beeindruckend, die Masse von Menschen in den Wahllokalen zu sehen, was in diesem Land normalerweise nie passiert. Sowas findet man vielleicht in Venezuela oder woanders, aber hier eigentlich nie, weil niemand denkt, er könne durch Wahlen gewinnen, denn wir haben eine lange Geschichte, die das Gegenteil beweist.

Aber dieses Mal haben die Leute gesagt: "Es ist alles egal, ich gehe hin und nehme die Sache selbst in die Hand." Und so ist es geschehen. Eine Wahlbeteiligung von 70 Prozent gab es schon seit Jahren nicht mehr. Ich interpretiere das so: Nicht der Kandidat hat gewonnen, sondern die Bevölkerung. Es hat eine Bevölkerung gewonnen, die – wie ich hoffe – Forderungen an diesen Kandidaten und an jeden anderen stellen wird. Damit haben wir einen Sprung zu einem neuen Grad politischer Partizipation gemacht. Und jetzt entsteht der Eindruck, dass die Menschen, auch jenseits von López Obrador, entschlossen sind, dass die Sachen auf eine bestimmte Art und Weise gehandhabt werden.

López Obrador hat ein neoliberales Team, zum Beispiel, was die Wirtschaftspolitik angeht. Das sieht man exemplarisch an Alfonso Romo, der für Amlos Team die Beziehungen zu Unternehmern leitet, soweit ich weiß. Und er ist einer der Unternehmer mit den engsten Beziehungen zu Monsanto. In der Tat bestand seine unternehmerische Tätigkeit in der Saatgutbehandlung zur Herstellung von transgenem Samen. Und er ist schon seit Jahren eng mit Monsanto verbunden.

Das siehst du halt und sagst: "Manches hat sich verändert und anderes nicht". Und trotz alledem glaube ich, dass sich viel verändert hat. Weder die Struktur, noch der Tenor noch die Vorsätze dieser Gruppe haben sich verändert, sondern abseits dieses Teams und seiner Vorschläge hat sich der Willen der mexikanischen Bevölkerung verändert, und das glaube ich, ist ziemlich stark und wird Konsequenzen haben, die sogar der Regierung von Amlo erlauben oder sie dazu zwingen werden, radikaler zu sein, als er sich selbst vielleicht vorgenommen hatte. Und auf jeden Fall wird das die Gesellschaft auf ein viel höheres Niveau der direkten Beteiligung, der direkten Demokratie bringen als bisher.

Eine Sache, die mir bei der Analyse der Wahlergebnisse aufgefallen ist, sind die Unterschiede zwischen den Bundesstaaten. Wieso war deiner Meinung nach die Unterstützung für López Obrador in Staaten wie Oaxaca oder Chiapas so stark?

Nun, diese Staaten sind sehr politisiert. Man darf nicht vergessen, dass es dort eine lange Geschichte indigenen Kampfes gibt: einerseits die Zapatisten, andererseits eine langjährige indigene Bewegung für autonome Kommunen (municipio libre), für politische Entscheidungen, die Bräuchen und Gewohnheiten gerecht werden. Das heißt, es sind sehr besondere Modelle entstanden, Politik zu machen. Das ist die historische Seite.

Abgesehen davon spielt die politische Konjunktur eine Rolle: In den letzten Jahren hat Oaxaca eine enorme Zunahme von Gewalt verzeichnet, die Bevölkerung wird massiv bedrängt, es gibt einen starken Paramilitarismus, und das auch in Chiapas, und ich denke mir, dass das auch einen Einfluss hatte.

Es ist nicht einfach, aber ich glaube, wir müssen zwischen zwei Arten der Abstimmung bei den Wahlen unterscheiden: eine dafür und eine dagegen. Einige haben López Obrador gewählt, weil sie gegen alles andere waren, weil sie hofften, dass ihre Stimme irgendetwas zählt, wenn sie denjenigen wählen, gegen den alle sind. Und andere haben direkt Amlo gewählt, weil er ihnen zusagt, weil sein Projekt sie überzeugt. Und in diesen beiden Staaten, genau wie im Rest vom Land, sind diese beiden Sachen zusammengekommen.

Interessant finde ich die Verlautbarungen einiger politischer Organisationen kurz nach der Wahl, die ihm Sachen sagen wie "López Obrador, wir verlangen von Ihnen dieses und jenes" und listenweise entschiedene, von der Bevölkerung getragene Forderungen an ihn stellen. Zum Beispiel sagen die Kräfte der Nationalen Befreiung (Fuerzas de Liberación Nacional, FLN), eine im Prinzip bewaffnete Gruppe, obwohl sie die Waffen nicht einsetzt und zur Demilitarisierung des Landes aufruft: "Uns interessiert die Demilitarisierung und insbesondere dies und jenes." Es gibt andere Gruppen, die sagen: "Im Wahlkampf wurde versprochen, dass die neoliberalen Reformen, die Enrique Peña Nieto zu Beginn seiner Amtszeit eingeleitet hat, rückgängig gemacht würden. Wir wollen, dass die Privatisierung des Erdöls, des Wassers… tatsächlich rückgängig gemacht werden."

Das sind die Gründe, wieso die Bevölkerung López Obrador gewählt hat. Sie haben nicht ihn gewählt, sondern in vielen Fällen haben sie das gewählt, was sie durch ihn erreichen können. Natürlich gibt es auch Leute, die für ihn gestimmt haben, aber ich wage zu behaupten, dass der Großteil ihn gewählt hat, weil sie denken, dass sie durch ihn einige dieser Dinge erreichen können. Und die Leute sind organisiert, sie haben wirklich einiges geschafft: Sie haben es geschafft, die Straffreiheit bei Wahlbetrug zu besiegen, was ein Riesenschritt ist, und die Straflosigkeit in allen anderen Bereichen anzugehen.

Ich glaube, das war das Wichtigste. In Staaten, die teils verwüstet waren, teils durch die Politik oder Gewalt geknechtet werden, da denken die Leute natürlich, dass sie irgendwie einen Ausweg finden müssen, denn vor den Wahlen versank Mexiko, würde ich fast sagen, in totaler Verzweiflung. Die Menschen wussten schon gar nicht mehr, gegen wen und wofür sie zuerst kämpfen mussten, denn egal wo man das tat, kam nichts dabei heraus. Insofern war dieser Moment gewissermaßen wie eine Feuerprobe, und die Bevölkerung hat sie bestanden. Und das erklärt, denke ich, die Wahlergebnisse, auf die du hinweist.

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Bei der vorherigen Wahl bezweifelten viele, dass der Kapitalismus (so hieß es) einen Sieg Amlos zulassen würde, aber sie drückten sich nicht klar aus, was das für ihr Wahlverhalten bedeuten würde, ob sie ungültig wählen, ob sie gar nicht wählen gehen würden.

Das ließen sie offen. Sie sagten: "Soll doch jeder machen, was er will." Als Bewegungen machten sie keine klare Ansage in Bezug auf die Wahlen. Sie kamen zur von dir erwähnten Analyse, dass wir hier nicht viele Veränderungen erwarten können. Viele von uns denken, dass die etablierten Kräfte schon seit 80 Jahren nicht zulassen, dass der tatsächlich gewählte Kandidat auch gewinnt. Es gibt immer einen, sagen wir mal, "vorherbestimmten" Kandidaten, das heißt einen vorausgewählten. Und so gingen die Leute wählen und scherzten sogar: "Ich wähle PRI, weil die eh gewinnen wird, stimmt’s?"

Tatsächlich gibt es eine lange Tradition von Wahlfälschungen. Deshalb gingen wir seinerzeit davon aus, dass es sehr schwierig wäre, einen ausreichenden Stimmenunterschied herbeizuführen, der die Anerkennung der Wahl erzwingen würde. Aber die PRI ist so zersetzt. Die politischen Kräfte haben sich im Allgemeinen sehr verändert, sie sind zerfallen und haben sich auf andere Art neu zusammengesetzt. Ich würde sagen, es gibt viele lokale Kräfte, die tatsächlich ziemlich stark sind, sehr fundiert und mit viel Feuerkraft. Das heißt, dass Menschen ihr eigenes Gesetz in den Regionen durchsetzen, und eben diese Kräfte hatten die nationale Politik bis zum Maximum untergraben; und selbst die nationalen Kräfte beteiligten sich in gewisser Weise an der Macht vor Ort, sie waren im organisierten Verbrechen involviert oder Teil davon, was so weit ging, dass die staatlichen Sicherheitskräfte sie beschützten. Und es entstehen lokale Konflikte eher begrenzten Ausmaßes, die sich plötzlich zu nationalen Dynamiken entwickeln.

Anders gesagt, ist das, was wir heute unser Land nennen, ein zerstückeltes Land, in dem lokale Mächte herrschen. Und man kann sich gegen diese Kräfte nicht zur Wehr setzen, weil es keine übergeordnete Macht gibt, an die man appellieren könnte, da diese angeblich übergeordnete Macht sich in Wirklichkeit in den lokalen Mächten aufgelöst hat. In dieser Situation kannst du dir also vorstellen, dass es schwer war, Vorhersagen zu treffen.

Ich glaube aufgrund vieler Informationen schon, dass Wahlbetrug vorbereitet worden ist. Sogar als abzusehen war, dass es mit dem Kandidaten der PRI schlecht lief, schaffte es der Kandidat der PAN nicht, die PRI auf seine Seite zu ziehen, und auch der Teil der PAN, der sich der PRI anschloss, erschien nicht genug, um das Ruder für die PRI herumzureißen. Es wurde klar, dass sie nur hätten gewinnen können, wenn sie sich zusammengeschlossen hätten. Und auch Wahlbetrug wäre zu kompliziert geworden. Aber dennoch gab es in den letzten 15 Tagen oder dem letzten Monat vor den Wahlen klare Anzeichen dafür, dass ein möglicher Wahlbetrug vorbereitet wurde. In den Medien wurde viel diskutiert, dass "die Wähler nicht klar Stellung bezogen haben", also gab es viele Anzeichen, die auf ein Wahlbetrugsszenario hindeuteten.

Aber die Wahlbeteiligung war so überwältigend, dass das so nicht weitergehen konnte. Sie war so groß, dass die üblichen Wahlbetrugsmechanismen nicht funktionieren konnten, das wäre viel zu offensichtlich gewesen. Ich weiß nicht, wie sich diese Kräfte jetzt neu aufstellen werden. Eine Sache macht mich ein bisschen stutzig, und zwar, wieso die PRI ihren Kandidaten nicht zurückgezogen hat. Sie hätten ihren Kandidaten, dem weder am Anfang noch am Ende überhaupt etwas gelang, zurückziehen müssen. In gewissem Maße haben sie auf Bündnisse mit López Obrador gesetzt: Ein gar nicht so geringer Teil der PRI hatte sich mit López Obrador verbündet, und auch ein Teil der PAN, wenn auch weniger als von der PRI. Auf jeden Fall ist das ein neues Phänomen in Mexiko.

In der Rede, die er nach seinem Wahlsieg am Sonntag in Zócalo hielt, sagte Amlo, dass "die Korruption kein kulturelles Phänomen ist, sondern das Ergebnis eines sich im Niedergang befinden politischen Regimes (…). Wir sind uns absolut sicher, dass dieses Übel der Hauptgrund für die soziale und wirtschaftliche Ungleichheit und für die Gewalt ist, unter der wir leiden. Daraus folgt die Ausrottung von Korruption und Straflosigkeit als wichtigstes Ziel der neuen Regierung." Es fällt auf, dass er nicht das gesellschaftliche System als Ursprung der sozialen und wirtschaftlichen Ungleichheit benennt, sondern "die Korruption".

López Obrador war nie Antikapitalist. Er steht für eine Linke, die aus der PRI hervorgegangen ist. Er selbst besteht sehr darauf, dass er kein Radikaler ist oder anders gesagt, dass er dem Prinzip Anstand folgt und dass dieses zu einer gewissen sozialen Gerechtigkeit führen müsse. Seine Absicht ist es nicht, das System zu verändern und die Gesellschaft zu transformieren, so wie wir uns das denken würden. Er schlägt vor, die Korruption anzugreifen, die entfesselten Kräfte der Macht zu kontrollieren, aber nicht die Macht selbst anzugreifen. Er hat es zu keinem Zeitpunkt gesagt, aber ich denke darüber hinaus, dass er sehr weit davon entfernt ist, einen Systemwechsel angehen zu wollen oder zu können.

Aber es ist halt auch so, dass die Korruption in Mexiko eine Ausnahmestellung einnimmt, wenngleich sie auch überall auf dem Planeten existiert. Das Land wurde wortwörtlich ausgeraubt. Ich würde fast sagen, es bleibt nichts mehr übrig, was man verteilen könnte. Es muss viel zurückerlangt werden, bevor man wenigstens an eine minimale Verteilung des Reichtums denken kann. Das ist sehr sichtbar und das hat die politischen Strukturen stark untergraben, weil es nicht die geringste Legitimität oder Glaubwürdigkeit in der realen Politik gibt, weil im Prinzip alle Banditen sind. Nicht nur weil sie Projekte haben, die nicht mit den Vorstellungen der Menschen vereinbar sind, sondern sie wollen in erster Linie plündern. Deshalb ist die Korruptionskarte momentan sehr stark und López Obrador konnte sie gut ausspielen. Dass wenigstens ein bisschen Kontrolle über die Korruption wiederhergestellt wird.

Ich glaube, er hat da einen Punkt berührt, der für Mexiko wie die Wiederherstellung des Rechtsstaats ist. Wir haben keinen Rechtsstaat, es gibt keine Behörde, an die man sich im Schadensfall wenden kann, egal ob bei Mord, Verschwindenlassen, Raub, oder sonst was. Es gibt keine Autorität, an die man sich wenden kann, man wird allein gelassen. Das heißt, wenn man den Rechtsstaat beginnt wieder ein wenig aufzubauen, kann das helfen, gewisse Bedingungen von Gesellschaftlichkeit, von Respekt in der Gesellschaft wiederherzustellen. Auch wenn das sehr simpel klingen mag, ist das sehr wichtig für Mexiko. Menschen, die hier nicht leben, können sich das Maß der Zerstörung ja gar nicht vorstellen, das in diesem Land angerichtet wurde. Aber wir können von López Obrador auch definitiv kein Projekt erwarten, das er nicht hat.

Wie kann diese neue Situation in Mexiko das lateinamerikanische und globale Szenario beeinflussen, einschließlich der Beziehungen zwischen den USA und dem Rest des Kontinents?

Das ist die Millionenfrage. Einerseits glaube ich nicht, dass wir eine Wiederbelebung eines progressiven Zyklus zu erwarten haben, wie viele behauptet haben. Aber gleichzeitig wird Mexiko schon ein Gewicht haben, das in diese Richtung geht, denn offensichtlich wird sich Mexiko nicht an einer feindlichen oder gar Aggressionspolitik gegen Länder mit progressiven Regierungen und gegen die transformatorischen Prozesse in Lateinamerika beteiligen. In dieser Hinsicht werden wir Landgewinn verzeichnen, weil Mexiko bislang in überregionalen Organismen Handlanger der USA war, beispielsweise indem es die Diskriminierung Venezuelas in der Organisation Amerikanischer Staaten vorantrieb. Hier wird es spürbare Veränderungen geben.

Was andererseits die Beziehungen zu den USA angeht, das ist noch unklar. Aber ich glaube, dass es im Bereich der Migration einen substantiellen Wandel geben wird. Wenn López Obrador keine klare Position bezieht, die Mexikanerinnen und Mexikaner im Ausland zu verteidigen und eine gute Migrationspolitik anzustreben, wird er stark an Rückhalt verlieren, weil die Menschen Erwartungen an ihn haben. Und ich glaube, in den USA sind sie auf jemanden wie ihn nicht vorbereitet, weil er weder sehr links, noch PRI, noch irgendeiner von den anderen ist, mit denen sie gut geölte Beziehungen haben. Ich schätze, sie werden sich erst einmal abtasten. Und ich glaube, das López Obrador bei den USA eine gute Migrationspolitik herausholen kann. Er hat seinerseits von der Notwendigkeit eines weniger erniedrigenden und respektvolleren Freihandelsabkommens gesprochen, was die Unternehmer interessiert, die ihn unterstützen.

Wie weit er mit alldem kommt, wird davon abhängen, wie er seine interne Macht festigen kann, denn sie ist nicht allein seine Macht. Die Leute, die ihn gewählt haben, sind nicht alle Anhänger von López Obrador, sondern das sind Leute, die rebelliert haben. Die Frage ist also, inwiefern diese Leute und seine Anhänger es schaffen, ein soziales Netzwerk zu errichten, das als Stützpfeiler für diese Art von Politik dienen kann. Und es hängt von den politischen Vorhaben ab, die er angeht, weil viele Menschen sonst schnell ernüchtert sein werden. Man muss feststellen, dass er nicht viel über diese größeren Themenkomplexe gesagt hat. Die wird er in den kommenden Monaten, die ihn noch bis zum Amtsantritt bleiben, schrittweise entwickeln.

Das werden sehr schwierige Monate, weil die abtretenden Regierungen im Allgemeinen komplizierte Maßnahmen treffen oder es große Massaker gibt. Sogar Peña Nieto hat mit Dekreten zur Wasserprivatisierung begonnen. Wenn das durchkommt, würde er der neuen Regierung ganz schön am Boden rütteln, obwohl ich denke, dass das angesichts der Wahlergebnisse nicht leicht sein wird. In den kommenden Monaten wird sich eine entschiedenere, nationalistischere Regierungspolitik mit arbeits- und sozialpolitischen Maßnahmen klarer abzeichnen. Diese Bereiche scheinen sie momentan anzusteuern.

Wieviel Amlo erreichen kann, wird von der Partizipation und Mobilisierung der mexikanischen Bevölkerung abhängen, aber auch davon, was in Lateinamerika geschieht. Es müssen Vereinbarungen getroffen und Wege des Austauschs geschaffen werden. Und Lateinamerika muss daran mitwirken. López Obrador ist zwar nicht so sehr auf Lateinamerika orientiert, aber mehr aufgrund von Unterlassung als aufgrund von Taten. Jedenfalls ist er Nationalist und in dieser Hinsicht hat er vielleicht eine Ausrichtung auf Lateinamerika. Es ist klar, dass die Region gerade nicht den besten Moment durchlebt und dass die Rechten zusammen mit den USA versuchen werden, Mexiko zu disziplinieren. Aber meiner Meinung nach wird das nicht so einfach sein: Es gibt viele Leute um López Obrador herum, die immer schon eine kritische Position gegenüber der Politik aus Washington vertreten haben, und es zeichnet sich ab, dass die Beziehung auf einer anderen Grundlage stehen wird. Was diese Grundlage sein wird, lässt sich so früh noch nicht sagen, aber sie wird sicher besser sein als die bisherige.

  • 1. Anmerkung der Redaktion: Den Absatz in dem spekuliert wird, wie sich die Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung zu Amlo wohl positionieren wird, haben wir weggelassen, da die EZLN sich hierzu inzwischen selbst geäußert hat: Siehe Enlace Zapatista