Der Anti-Trump

Berlin befindet sich in Lateinamerika nicht nur im Konkurrenzkampf mit Washington, sondern auch im Abstiegskampf gegen Beijing

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Ein Toast auf die "strategische Zusammenarbeit": Bundeskanzlerin Merkel und Argentiniens Präsident Macri
Ein Toast auf die "strategische Zusammenarbeit": Bundeskanzlerin Merkel und Argentiniens Präsident Macri

Auf ihrer Reise nach Argentinien und Mexiko hat Bundeskanzlerin Angela Merkel die Spannungen zwischen US-Präsident Donald Trump und Lateinamerika zum Ausbau der deutschen Stellung auf dem Subkontinent zu nutzen gesucht. In beiden Ländern ging es um einen Ausbau der Geschäfte; während Berlin Argentinien über ein Freihandelsbündnis mit dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur enger anbinden will, ist in Mexiko eine Ausweitung von Ex- und Import auf Grundlage des bestehenden Freihandelsvertrags geplant.

Um den Ausbau des Lateinamerikageschäfts hat sich die Bundesregierung bereits lange vor Trumps Wahlsieg bemüht; dessen Drohungen mit dem Bau einer Grenzmauer und der Aufkündigung des Freihandelsvertrags Nafta treiben die Länder der Region nun aber Berlin geradezu in die Arme. Merkel hat dies mit einer öffentlichen Kritik an den Mauerbauplänen in Mexiko verstärkt. Der Coup ist gelungen, obwohl auch die Europäische Union (EU) sich auf Druck der Bundesregierung mit mauerähnlichen Abschottungsanlagen umgibt. Das deutsche Bemühen, den eigenen Einfluss in Lateinamerika auszuweiten, richtet sich zugleich gegen China.

"Neue beste Freundin"

Die Spannungen zwischen Lateinamerika und den Vereinigten Staaten haben die Reise von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Argentinien und Mexiko in der vergangenen Woche stark geprägt. Auf dem Subkontinent rufen die Pläne von US-Präsident Trump zum Bau einer Mauer an der US-Südgrenze weiterhin heftige Wut hervor. Berlin schürt diese Wut: "Das Errichten von Mauern und Abschottung wird das Problem nicht lösen", erklärte Merkel in Mexiko1 Der Protest wäre glaubwürdiger, würde er die mauerähnliche Abschottung an den EU-Grenzen in den spanischen Exklaven Ceuta und Melilla in Nordafrika sowie die sonstige, von Berlin forcierte Abschottung der EU nicht aussparen. Merkel wurde ungeachtet der Tatsache, dass sie die Abschottung des eigenen Kontinents stark forciert, in Argentinien und Mexiko gleichsam als Gegenbild zu Trump begrüßt. Mexikanische Medien feierten sie als "neue beste Freundin" und als "Retterin" des Landes 2; manche sahen in ihr bereits die "wichtigste Politikerin der Welt" 3.

An der EU-Agrarlobby gescheitert

Sowohl in Argentinien als auch in Mexiko war Merkel bestrebt, die anhaltende Wut auf Trump zu nutzen, um die Bedingungen für die deutsch-europäische Wirtschaftsexpansion zu verbessern. In Argentinien ging es um ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur4. Die Pläne dazu sind alt und wurden bereits 1994 offiziell bekräftigt; die Verhandlungen über das Abkommen, die im September 1999 aufgenommen wurden, wurden allerdings im Jahr 2004 auf Eis gelegt, weil die EU, die eine umfassende Öffnung des Mercosur für ihre Industrieprodukte verlangt, sich im Gegenzug nicht auf die Öffnung ihrer Märkte für südamerikanische Agrarprodukte verständigen konnte. Neuen Schwung haben die Verhandlungen nach dem rechtsliberalen Umbruch in Argentinien Ende 2015 und nach dem kalten Putsch in Brasilien im Mai 2016 erhalten. Die Spannungen mit der Trump-Administration verstärken inzwischen das Bemühen, zu einer Einigung zu gelangen. Dem stehen aber erneut, wie Korrespondenten berichten, nicht so sehr südamerikanische Industrieinteressen als vielmehr die EU-Agrarlobby im Weg5.

Abnehmer Nummer eins

Auch die Berliner Pläne, die Zusammenarbeit mit Mexiko zu intensivieren, reichen deutlich in die Zeit vor dem Wahlsieg von US-Präsident Trump zurück. Bereits im vergangenen Frühjahr eröffneten die Regierungen beider Länder ein "Deutschlandjahr" in Mexiko und ein "Mexikojahr" in Deutschland, um den bilateralen Austausch auf den verschiedensten Gebieten von der Wirtschaft über die Wissenschaft bis zur Kultur zu fördern. Dies flankierte Bemühungen, deutschen Unternehmen einen stärkeren Anteil auf dem mexikanischen Markt zu sichern und darüber hinaus die Zusammenarbeit mit den mexikanischen Repressionsapparaten, denen gravierende Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, zu intensivieren. Experten schreiben Mexiko für die kommenden Jahre und Jahrzehnte eine deutlich wachsende wirtschaftliche Bedeutung zu; laut einer Analyse der Wirtschaftsberatungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) dürfte das Land bis zur Jahrhundertmitte zur siebtgrößten Volkswirtschaft weltweit aufsteigen. Bereits heute besitzt es für die deutsche Industrie erhebliche Bedeutung: Mehr als 1.800 Unternehmen mit deutschem Hintergrund sind in Mexiko tätig; deutsche Firmen haben dort beinahe zehn Milliarden Euro direkt investiert; auch ist das Land der größte Abnehmer deutscher Exporte in Lateinamerika.

Die Risiken der Abhängigkeit

Die Drohung der Trump-Administration mit Strafzöllen oder einer Aufkündigung des Nafta-Freihandelsvertrages hat nun den Druck auf Mexiko massiv verstärkt, sich nach Alternativen beim Außenhandel umzusehen. Dass Mexiko mit Deutschland "einen starken Alliierten an der Seite" wisse, sei "ein wichtiges Signal" für das Land und werde "sicherlich mit großem Applaus und Genugtuung aufgenommen", bestätigte der Geschäftsführer der Deutsch-Mexikanischen Industrie- und Handelskammer (Camexa) unmittelbar vor dem aktuellen Besuch der Kanzlerin.[10] "Wir erwarten eine deutliche Ausrichtung der Mexikaner gen Europa und dann gen Deutschland", wird ein Camexa-Sprecher zitiert: "Die Mexikaner haben erkannt, dass die übergroße Abhängigkeit von den USA sehr große Risiken birgt"6. Der Ausbau der Beziehungen wird energisch vorangetrieben, auch wenn mittlerweile eine Aufkündigung von Nafta durch die Trump-Administration nicht mehr als wahrscheinlich gilt und Experten lediglich mit einer Modifizierung des Vertrages rechnen. Zur Stärkung der Kooperation beitragen soll, dass Mexiko im kommenden Jahr als Partnerland der Hannover Messe auftreten wird.

Chinesische Konkurrenz

Die Fokussierung der öffentlichen Aufmerksamkeit auf die aktuellen Spannungen zwischen der Trump-Administration und Lateinamerika lässt in Vergessenheit geraten, dass Berlin auch deshalb neue Anstrengungen in Lateinamerika unternimmt, um nicht gänzlich ins Hintertreffen gegenüber China zu geraten. Die Volksrepublik hat ihr Lateinamerikageschäft in den vergangenen Jahren schnell und umfassend ausgeweitet und will es noch weiter steigern. Bereits 2013 lieferte Lateinamerika gut zehn Prozent seiner Exporte in die Volksrepublik und bezog von dort rund 16 Prozent seiner Importe. Seit 2010 nehmen auch die chinesischen Investitionen in Lateinamerika kräftig zu und bewegen sich zwischen sieben und 14 Milliarden US-Dollar im Jahr. Das wirkt sich längst auf die Chancen deutscher Unternehmen aus. So hat Merkel sich in Buenos Aires dafür eingesetzt, dass Siemens Aufträge bei argentinischen Infrastrukturvorhaben enthält, die insgesamt auf rund 200 Milliarden US-Dollar geschätzt werden. Erst kürzlich hat Präsident Mauricio Macri Aufträge im Wert von annähernd 17 Milliarden US-Dollar bei einem Besuch in Beijing an chinesische Unternehmen vergeben7. Siemens fürchtet, langfristig ins Hintertreffen zu geraten.

Im Abstiegskampf

Über die Folgen des rapide zunehmenden chinesischen Lateinamerikageschäfts hat sich unlängst der Ökonom Enrique Dussel Peters geäußert, der an der Universidad Nacional Autónoma de México (UNAM) lehrt. "Die EU gehört zu den Blöcken, die angesichts der chinesischen Präsenz am meisten verloren haben, auch strategische Präsenz", erklärt Dussel Peters: "Von einem relevanten Dialog EU-Lateinamerika ist nicht viel zu bemerken." Das liege allerdings auch an den internen Problemen der EU. "Freundlich gesprochen", urteilt Dussel Peters, "kann von einer relativ konstanten und stabilen Beziehung Lateinamerika-EU gesprochen werden - mit abnehmender Tendenz."8 Dies bestätigt, dass Berlin sich in Lateinamerika nicht nur im Konkurrenzkampf mit Washington befindet, sondern auch im Abstiegskampf gegen Beijing.

  • 1. Merkel: "Eine Mauer löst keine Probleme". www.dw.com 10.06.2017(/fn]. Wenige Tage vor dem Besuch der Kanzlerin führten die Dresdner Sinfoniker ein Konzert in Tijuana an der mexikanisch-US-amerikanischen Grenze durch, um gegen die Abschottungspläne zu protestieren.Anne-Katrin Mellmann: Große Töne gegen Trumps Mauer. www.tagesschau.de 04.06.2017
  • 2. Anne-Katrin Mellmann: Neue beste Freundin? www.deutschlandfunk.de 09.06.2017
  • 3. Michaela Küfner: Lateinamerika feiert Merkel. www.dw.com 11.06.2017
  • 4. Dem Mercosur gehören Argentinien, Brasilien, Paraguay, Uruguay und Venezuela als Vollmitglieder an; Venezuelas Mitgliedschaft ist in einem umstrittenen Prozess suspendiert worden
  • 5. Matthias Rüb: Von Mauern und Brücken. Frankfurter Allgemeine Zeitung 12.06.2017
  • 6. Astrid Prange: Deutschland wirbt um Mexiko. www.dw.com 09.06.2017
  • 7. Merkel zu Besuch bei Freunden. Frankfurter Allgemeine Zeitung 08.06.2017
  • 8. Nafta: "Für Mexiko gibt es nichts zu gewinnen". www.npla.de 15.02.2017
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