Ecuador / Politik

Ungereimtheiten, Widersprüche und offene Fragen

Putschversuch oder spontane Eskalation in Ecuador?

Quito. Die Ereignisse vom 30. September in Ecuador werden aller Voraussicht nach als Putschversuch gegen die Regierung Correa in die Geschichte eingehen. An diesem Tag hatten Teile der Polizei der Hauptstadt einen Aufstand geübt und den Präsidenten vorübergehend in einem Krankenhaus festgesetzt. Seitdem besteht ein abgeschwächter Ausnahmezustand lediglich für die Hauptstadt Quito.

Die Ermittlungen unter Leitung des Staatsanwalts Marco Freire haben am gestrigen Mittwoch dazu geführt, dass weitere acht Militärs vor den Disziplinarausschuss geladen wurden. Dort soll geklärt werden, wie weitgehend sie in die Aktionen gegen die Regierung Correa involviert gewesen sind. 145 Flughafenmitarbeiter des Militärs unterzogen sich ebenfalls einer Anhörung, um die Besetzung des Flughafens Quito aufzuklären. Sowohl in Quito als auch in Guayaquil, im Süden des Landes, musste an besagtem Tag der Flugverkehr eingestellt werden.

Putschversuch oder spontane Eskalation?

In den ecuadorianischen Medien, von regierungstreu bis oppositionell, finden sich zahlreiche Artikel, Interviews und Erklärungen, die versuchen, ein Bild von den Ereignissen um den 30. September zu schaffen. Eine gewichtige Rolle spielt dabei die Frage, inwiefern die destabilisierenden Aktionen ein geplanter Putsch oder eine Aneinanderreihung von Ereignissen waren, die auf die Unzufriedenheit der unteren Polizeieinheiten und das z.T. unüberlegte Handeln des Präsidenten in der unmittelbaren Situation im zentralen Polizeiregiment zurückzuführen sind.

Während Rafael Correa weiterhin an seiner Version festhält, es habe sich um einen geplanten Putschversuch gehandelt, für den die rechten Kreise der Partei "Sociedad Patriótica" um den Ex-Präsidenten Lucio Gutiérrez (2003 – 2005) verantwortlich zu machen sind, fallen die Antworten des Innenministers Gustavo Jalkh anders aus. Jalkh befand sich am 30. September ebenfalls im Polizeikrankenhaus und in unmittelbarer Nähe des Präsidenten, der dort festgesetzt war. In einem halbseitigen Interview der Sonntagsausgabe des "El Comercio" vom 10. Oktober 2010 äußert sich Jalkh gegenüber dem Journalisten Arturo Torres R. zurückhaltender. Auf die Frage Torres', ob das Geschehene  nicht "eher ein sich entwickelndes Ereignis" gewesen sei, "dass sich in eine komplizierte Situation verwandelte", die unsicher für den Präsidenten war, "der zu viel Risiko eingegangen ist", antwortete dieser: "So war es. Es hatte sich entwickelt, aber man versuchte in Straflosigkeit zu handeln und es gab politische Destabilisierungsinteressen. Das Seltsame ist, dass so etwas unter einer jener Regierungen geschieht, die viel in die Polizei gesteckt haben. Die Polizei ist eine der bestbezahlten der Region."

Das gesamte Interview handelt von den Widersprüchen der "Fußtruppen" der Polizei, der Offiziere und der Generalität innerhalb der Polizei. Dies seien Widersprüche, die nach Aussage des "El Comercio" vorwiegend auf dem Rücken des gemeinen Polizisten ausgetragen würden, während Offiziere und höhere Ränge zahlreiche Privilegien besäßen. Jalkh verneint dies nicht, weist aber darauf hin, dass eine grundsätzliche Umstrukturierung im Gange sei, die hin zu Transparenz und Gleichstellung sowie gegen Hierarchien und Sonderzuschläge laufe, welche die Korruption förderten.

Im weiteren Verlauf des Interviews spricht Torres die Problematik der Verknüpfung der Polizei mit dem organisierten Verbrechen an: "Folglich hat das Geschehene Aktionen gegen dutzende Polizisten ausgelöst. Besteht nicht das Risiko, dass viele von ihnen – vor allem jene, die die Polizei hinter sich lassen – sich dem organisierten Verbrechen zuwenden, wie jüngst geschehen in Mexiko und Kolumbien? Sehen sie diese Situation auf sich zukommen?" Jalkhs Antwort: "Es muss Gerechtigkeit und Feststellung von Verantwortlichkeiten geben. Es wird kleinere interne Sanktionen geben und die davon Betroffenen werden in der Polizei verbleiben. Einige werden durch das Disziplinargericht verurteilt werden, was eine Einkommensverschlechterung bedeuten kann. Andere, die Straftaten begangen haben, müssen sich vor Gericht verantworten. Man wird auch ein verstärktes Untersuchungs- und Kontrollsystem für interne Angelegenheiten einführen müssen, um die Eingliederung von Polizisten in die organisierte Kriminalität zu vermeiden."

Auch wenn die Zeitung "El Comercio" eher in Opposition zur Regierung Correa steht, sind die Anworten Gustavo Jalkhs aufschlussreich. Es wird deutlich, dass es massive Probleme im Umgang mit den Sicherheitskräften im Land gibt. Auch das Zugeständnis, dass die Ereignisse im Polizeikrankenhaus und deren Eskalation im Zusammenhang mit dem politisch unbedachten Agierens Correas stehen, ist bemerkenswert. In der hiesigen Diskussion wird Correa vorgeworfen, den politischen Dialog nicht mit Kritikern von Basisbewegungen nicht führen zu wollen.

Offene Fragen und Widersprüche

Es existieren derzeit verschiedene Thesen über die Ereignisse am 30. September. Sie reichen von berechtigten Protesten der unteren Ränge der Polizei, die dann spontan eskaliert seien, bis hin zur Annahme, rechte Kreise im Militär und der Polizei hätten einen Putsch geplant. Auch wenn Correa in seiner noch am Abend des 30. September gehaltenen Fernsehansprache von "dunklen ausländischen Kräften" sprach, sind Aussagen, dass die USA und/oder die CIA direkt hinter dem Putsch stehen, wenig Teil der Spekulationen im Land. Diese These findet sich lediglich als Referenz auf die Ansprache Correas wieder. Auch Vorwürfe gegen Kritiker – vor allem aus dem Lager der indigenen Bewegung – stammen vom Juni dieses Jahres, im Zusammenhang mit dem ALBA-Gipfel in Otavalo. Die Regierung Correa hatte sich diese Argumentation zu eigen gemacht und den indigenen Protesten gegen den Gipfel entgegengehalten, ihre Organsitionen würden von der CIA bezahlt. Die CONAIE bestreitet dies erneut vehement in ihrer jüngsten Erklärung vom 6. Oktober 2010.

Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die USA politisch kein Interesse an der Entwicklung eines eigenständigen, möglicherweise neu-sozialistisch geprägten Südamerikas haben und permanent diesen Versuchen entgegenarbeiten.  
Es gibt aber auch ohne den (oftmals berechtigten) Beißreflex, die CIA würde hinter dem Putschversuch stehen, ausreichend Widersprüche, die darauf hinweisen, dass es sich zumindest nicht um einen klassischen Putsch handelte, bei dem ein Präsident durch eine andere politische oder militärische Figur ersetzt werden sollte. Es gab keine Erklärung einer politischen oder militärischen Machtclique, die den Präsidenten für abgesetzt erklärt hätte. Lediglich Parolen der aufgebrachten Polizei wie "Nieder mit Correa" und die Forderung nach Rücknahme des betreffenden Gesetzes zur Neuregelung des öffentlichen Dienstes bestimmten das Geschehen.

Auch bleibt die Frage ungeklärt, warum Correa überlebte – trotz erregter und sprachlich unterirdischer Funksprüche von Polizeieinheiten. Wenn es sich um einen (geplanten) Putsch handelte, wäre es ein leichtes gewesen, Rafael Correa im Regimiento de Quito oder im Polizeikrankenhaus zu töten. Ein tatsächlich im Rahmen eines Putsches entführter Präsident hätte während seiner Festsetzung vermutlich nicht mit seinen Ministern oder Hugo Chávez telefonieren können oder gar zu einer Fensterrede ansetzen können.

Die von Regierungsseite bereits gegen 10 Uhr morgens aufgeworfene These eines Putschversuches sowie die anschließende unmittelbare Gleichschaltung der Medien – noch vor Ausrufung des Ausnahmezustandes gegen 12.30 Uhr – wirft zumindest Fragen auf. Glaubt man der Regierung, dass diese bereits sehr früh von einem Putschversuch ausging, stellt sich die Frage, warum die Spezialeinheiten der Polizei (GOE/GIR) sowie das Militär erst mit Einbruch der Dunkelheit zur Befreiung des Präsidenten ansetzten. War das Militär unsicher, wie es sich entscheiden sollte? Gegen 10.30 Uhr verkündete der General der Streitkräfte, sie würden sich "am Rande der Ereignisse" verorten. Wenig später schob er nach, sie stünden "auf Seiten der Verfassung".

"Auf Seiten der Verfassung" ist eine Aussage, die putschende Militärs schon oft als Argument für die gewaltsame Absetzung eines Präsidenten oder eines Kabinetts bemüht haben. Also doch ein Putschversuch? Oder einfach ein Austesten der Kräfteverhältnisse im Lande? Unbestritten ist, dass die Ereignisse des 30. September das Land und die eingeschlagene Politik Correas destabilisieren sollten. Teil der Debatte wird nun aber auch die Kritik sein, die von Basisinitiativen, Gewerkschaften, indigenen Gemeinden und Organisationen sowie linken Gruppen an der Politik des Präsidenten geübt wird.

Politische Zukunft

Politisch ist Rafael Correa und seine Partei "Alianza País" vordergründig gestärkt aus dem 30. September hervorgegangen. Vor dem Hintergrund der Rückendeckung der Union südamerikanischer Nationen (UNASUR) und der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) ist der Versuch sicherlich begrüßenswert, in Südamerika eigene sozialpolitische Modelle zu verwirklichen, einen anderen Umgang mit Bodenschätzen und Natur anzugehen und sich unabhängiger von den USA und Europa auf dem internationalem Parkett zu bewegen. Innenpolitisch deutet sich jedoch bereits jetzt an, dass es nicht nur um die Entledigung der rechten Opposition um Lucio Gutiérrez geht, sondern vermutlich auch linker Kräfte. So befürchten beispielsweise auch die mit fünf Sitzen im Kongress vertretene MPD (Movimiento Popular Democrático), Studenten- und Gewerkschaftsorganisationen sowie indigene Gemeinden und Organisationen zunehmend von Repression betroffen zu sein. Viele Artikel enden mit dem Appell, Correa und »Alianza País« hätten nun die Chance, zu den Wurzeln der Verfassung und der »Revolución Ciudadana« zurückzukehren, da die Rechte eine klare Anwort erhalten habe – nicht zuletzt durch Teile der Bevölkerung.


Am Freitag, den 14. Oktober 2010 wird eine zentrale Demonstration in Quito zur Unterstützung der Regierung Correa und der Verteidigung der Demokratie stattfinden. Es werden 40.000  Teilnehmer/innen aus unterschiedlichen sozialen und politischen Bereichen erwartet.

Zu einer Kritik am Auftreten und Vorgehen Correas sei auf das Interview seines ehemaligen Weggefährten Alberto Acosta vom 2. Oktober hingewiesen. Auch zwei Erklärungen (30.09., 06.10.) der stärksten indigenen Organisation CONAIE zeugen deutlich von der Verbitterung über die innenpolitische Lage schon vor den Ereignissen des 30. September 2010.