Tuxtla Gutiérrez. Der Schwangerschaftsabbruch ist nun auch im südlichsten mexikanischen Bundesstaat Chiapas erlaubt. Der Kongress votierte mit 33 zu einer Stimme dafür, die Abtreibung aus dem Strafgesetzbuch zu entfernen. Damit ist sie nun in der Hälfte der mexikanischen Bundesstaaten legal.
Der Kongress von Chiapas verabschiedete die Reform allerdings nicht aus eigener Initiative, sondern weil er vom Obersten Gerichtshof des Landes dazu aufgefordert worden war: Am 9. November wiesen die Richter:innen ihn an, seine Gesetze zu reformieren und alle Maßnahmen aufzuheben, die die Abtreibung kriminalisieren, bestrafen und ahnden.
Dem wurden die Abgeordneten nun gerecht. Die Parlamentarierinnen Marcela Castillo und Elvira Catalina Aguiar, zwei der Hauptbefürworterinnen dieser Reform, argumentierten in der Debatte: "Wir fordern niemanden zu einem Schwangerschaftsabbruch auf, wir zwingen niemanden dazu, sondern wir sind dafür, dass Frauen die Freiheit haben, über ihren Körper, über ihre Zukunft und über ihren Lebensentwurf zu entscheiden."
Die beschlossene Reform wird wirksam, sobald sie im Gesetzesblatt veröffentlicht ist.
Chiapas ist damit der 16. von 32 Bundesstaaten, der den Schwangerschaftsabbruch bis zur zwölften Woche legalisiert. In weiteren drei Bundesstaaten (Yucatán, Nayarit, Zacatecas) sind entsprechende Gesetzesinitiativen bereits auf den Weg gebracht, sie sind dort aber noch nicht durch den Kongress verabschiedet. Frauenrechtsorganisationen feierten den Schritt als bedeutsam.
Kollektive wie Mi Útero Feliz A.C., Red por la Justicia Reproductiva Chiapas und Aborta Libre Chiapas feierten die Verabschiedung und kündigten an, dass sie kritisch überwachen wollen, ob das Recht ordnungsgemäß umgesetzt wird.
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"Dies ist eine kollektive Errungenschaft, die auf den jahrzehntelangen Kampf mehrerer Generationen von Aktivistinnen zurückzuführen ist. Damit ist die Arbeit der Kollektive und Aktivisten von Chiapas nicht beendet; jetzt müssen wir dafür sorgen, dass das Gesetz richtig umgesetzt wird und dass dieses Recht allen Frauen und Schwangeren, die es im Bundesstaat benötigen, garantiert wird", hieß es in einer Mitteilung von Mi útero feliz.
In Chiapas leben rund 5,5 Millionen Frauen, etwa ein Fünftel davon im gebärfähigen Alter. Als einer der ärmsten Bundesstaaten Mexikos haben Frauen und Mädchen dort häufig nur unzureichenden Zugang zu Informationen über Sexualität und Verhütung. Die Rate der sexuellen Gewalt ist sehr hoch, Verheiratungen von Mädchen in der frühen Jugend sind zwar nicht legal, werden aber auf dem Land häufig praktiziert.
Laut der Nachrichtenagentur Cimac Noticias entfallen zwei von zehn Geburten auf Frauen unter 20 Jahren, in einem Jahr wurden 772 Geburten bei Mädchen zwischen neun und 14 Jahren registriert. Damit liegt Chiapas trotz der geringen Einwohnendenzahl auf Platz sechs der Bundesstaaten mit den meisten Geburten bei minderjährigen Mädchen.
Erst zwei Wochen vor Chiapas hatte auch der Bundesstaat Estado de México, der rund um die Hauptstadt liegt, auf Anweisung des Obersten Gerichtshofs den Schwangerschaftsabbruch legalisiert. Damit schreitet die so genannte "marea verde", die in ganz Lateinamerika aktive grüne Welle des Rechts auf reproduktive Gesundheit, in Mexiko fort. Die Fortschritte sind Teil einer Pendelbewegung: Nachdem die Hauptstadt Mexiko-Stadt den Schwangerschaftsabbruch im Jahr 2007 legalisiert hatte, setzte in vielen Bundesstaaten ein Backlash ein. Konservative und religiöse Kräfte schrieben dort den Schutz des Lebens ab der Empfängnis in die Verfassung ein. Eine solches Gesetz galt auch in Chiapas ab 2009.
Die feministische Bewegung konnte nach vielen Jahren des politischen Stillstands erstmals 2019 wieder einen Sieg feiern, als der Bundesstaat Oaxaca die Abtreibung legalisierte. Seitdem sind in schneller Abfolge weitere 14 Bundesstaaten hinzugekommen, befördert auch durch eine progressive Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.