La Paz. Der Plaza Murillo vor dem Regierungssitz in La Paz ist am Mittwochnachmittag zum Schauplatz eines gescheiterten Militärputsches geworden und stand für mehrere Stunden im Zentrum der internationalen Aufmerksamkeit.
Gegen 14:00 Uhr Ortszeit meldete Boliviens Präsident Luis Arce auf X "irreguläre Bewegungen einiger bolivianischer Militäreinheiten". Gegen 14:30 Uhr versperrten Panzer und bewaffnete vermummte Soldaten alle vier Zugänge zur Plaza Murillo. Angeführt wurden sie vom ehemaligen obersten General Juan José Zúñiga und den beiden Ex-Kommandeuren der Luftwaffe und der Marine.
Während des Putschversuchs befand sich Arce mit seinem Kabinett in der "Casa Grande del Pueblo", dem Regierungssitz, und widersetzte sich dem Putschversuch. In einer Fernsehansprache rief er, umgeben von Mitgliedern seiner Regierung, zur Verteidigung der Demokratie und zur Mobilisierung des Volkes auf. Er betonte, dass sich seine Regierung dem Putsch entschlossen entgegenstellen werde.
Auch Ex-Präsident Evo Morales rief zu einer landesweiten Mobilisierung und zum unbefristeten Streik auf, "um die Demokratie zu verteidigen".
Tausende Einwohner:innen von La Paz strömten in die Supermärkte, um Vorräte zu kaufen und hoben Geld bei den Banken ab. Erste Schlangen bildeten sich vor den Tankstellen, während im Fernseher übertragen wurde, wie sich weitere Panzer aus El Alto in Richtung Zentrum bewegten.
Zúñiga wandte sich vor dem Regierungssitz an die Presse, verkündete "die Herstellung der Demokratie" und forderte die Freilassung aller "politischen Gefangenen". Namentlich nannte er die rechte ehemalige De-Facto Präsidentin Jeanine Áñez und den ultrarechten Oppositionsführer und Ex-Gouverneur von Santa Cruz, Fernando Camacho. Er erklärte weiter: "Die Streitkräfte haben die Absicht, die Demokratie neu zu strukturieren".
Videos zeigen, wie ein Panzer, in dem sich Zúñiga befand, die Tür des Regierungspalastes rammte. Nachdem er sich Zugang verschaffte hatte, konfrontierte ihn im Eingangsbereich des Gebäudes Präsident Arce direkt und forderte ihn zum sofortigen Rückzug auf. Währenddessen mobilisierten sich Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft im ganzen Land und stellten sich hinter die Regierung und gegen den Putsch. Zehntausende kamen zum Regierungssitz.
Gegen 17:30 Uhr ernannte Arce in einer Fernsehliveübertragung José Wilson Sánchez Velásquez zum neuen obersten General. Gerardo Zabala Álvarez übergab er die Führung über die Luftwaffe und Renán Guardia Ramírez über die Marine. Nach seiner Vereidigung befahl Sánchez den sofortigen Rückzug aller mobilisierten Truppen in ihre Quartiere. Die Soldaten rund um die Plaza Murillo kamen diesem Befehl schließlich nach und verließen gegen 18:00 Uhr den Platz.
Nachdem die Truppen abgezogen waren, zeigten sich Arce und sein Kabinett auf dem Balkon des Regierungssitzes und dankten der Bevölkerung für die Unterstützung. Arce sagte: "Das mobilisierte Volk hat es möglich gemacht, diesen Putschversuch zurückzuschlagen. Danke, bolivianisches Volk!"
Schon während des laufenden Putschversuches wurde international scharfe Kritik laut, es gab eine große Solidaritätswelle mit der Regierung Boliviens. Lateinamerikanische Staats- und Regierungschefs, die OAS (Organisation Amerikanischer Staaten) und auch Stimmen aus Europa solidarisierten sich mit der bolivianischen Bevölkerung und stellten sich hinter Arce.
So lehnte Kolumbiens Präsident Gustavo Petro den Militärputsch entschieden ab und rief die bolivianische Gesellschaft zum demokratischen Widerstand auf. Der chilenische Präsident Gabriel Boric bekundete seine Unterstützung für die Demokratie und die legitime Regierung von Arce: "Wir verurteilen die inakzeptable Gewaltanwendung durch einen Teil der Armee dieses Landes aufs Schärfste". Auch Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva appellierte an die Achtung der demokratischen Institutionen und den Willen des Volkes und schrieb auf X: "Wir verurteilen jede Form von Staatsstreich in Bolivien und bekräftigen unser Engagement für das Volk und die Demokratie des Bruderlandes unter dem Vorsitz von Luis Arce. Die Demokratie wird sich durchsetzen".
Weitere Solidaritätsbekundungen kamen unter anderem aus Paraguay, Peru, Uruguay und Venezuela sowie vom scheidenden Präsidenten Mexikos, Andrés Manuel López Obrador, der seine "totale Unterstützung" für Präsident Arce bekundete.
Auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verurteilte den Putschversuch und brachte im Namen der Europäischen Union eine "starke Unterstützung für die verfassungsmäßige Ordnung und die Rechtstaatlichkeit in Bolivien" zum Ausdruck.
Am Mittwochabend wurde Zúñiga verhaftet, von Regierungsminister Carlo Eduardo del Castillo der Presse präsentiert und schließlich in eine Zelle der Kriminalpoilizei gebracht. Castillo erklärte, dass es Zúñigas Ziel gewesen sei, "die Kontrolle über dieses Land zu übernehmen und ein De-facto-Regime zu errichten". Neben Zúñiga wurden auch der Vizeadmiral Juan Arnez Salvador, ehemaliger Oberbefehlshaber der Streitkräfte, verhaftet.
Am Donnerstag teilte Castillo mit, dass rund ein Dutzend weitere beteiligte Militärs festgenommen worden seien.
Castillo kündigte eine umfassende Untersuchung der Ereignisse an, bei denen es auch zum Einsatz von Schuswaffen kam und neun Personen verletzt wurden. Darunter war ein 16-jähriger Junge, der brutal niedergeschlagen wurde.
Nach der Verhaftung beschuldigte Zúñiga Präsident Arce, den Putsch selbst inszeniert zu haben. Er erklärte, dass er sich am Sonntag mit Arce getroffen habe und dieser ihn bat, etwas vorzubereiten, um seine Popularität zu steigern. Zúñiga zufolge handelt es sich also um einen "Selbstputsch". Diese Version gilt jedoch als sehr zweifelhaft.
Dem Putschversuch gingen Tage scharfer Auseinandersetzungen und umstrittener Äußerungen Zúñigas voraus. Er war einen Tag zuvor seines Amtes enthoben worden, nachdem er in einem Fernsehinterview angekündigte hatte, die Militärs würden Evo Morales festnehmen, wenn er sich 2025 wieder als Kandidat zur Präsidentschaft aufstellen ließe. Es sei Aufgabe der Armee, die Verfassung zu schützen. Zudem warf Zúñiga Arce und Morales vor, "ein politisches Regime aufrechtzuerhalten, das Bolivien ohne Zukunft lässt".
Zúñiga war schon früher in zahlreiche Skandale verwickelt, wie die Veruntreuung öffentlicher Gelder und Drogenhandel. Der bekannteste Fall war der "Plan Negro", bei dem Zúñigas Machtnetzwerk innerhalb des Militärs, das für nachrichtendienstliche Arbeit zuständig war, seine Ressourcen nutzte, um Anführer sozialer Bewegungen und linke Politiker zu diskreditieren.
Bis alle Einzelheiten des Putschversuches aufgeklärt sind, wird es sicher noch dauern. Die Regierungspartei "Bewegung zum Sozialismus" (Movimiento al Socialismo – Instrumento Político por la Soberanía de los Pueblos, MAS-IPSP) muss indes schnell ihren innerparteilichen Konflikt lösen, um den innenpolitischen Herausforderungen und der Wirtschaftskrise, die von Treibstoffmangel und Devisenknappheit geprägt ist, entgegenzuwirken und den sozialen Frieden langfristig zu gewährleisten.