Mercedes-Benz und die Militärdiktatur in Brasilien: Neue Dokumente aufgetaucht

Der Autobauer soll während der Diktatur die Belegschaft im Werk in São Bernardo do Campo ausspioniert haben

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"Quelle: Mercedes Benz": Das Unternehmen soll Informationen an die Repressionsorgane der Militärdiktatur weitergereicht haben (Screenshot)
"Quelle: Mercedes Benz": Das Unternehmen soll Informationen an die Repressionsorgane der Militärdiktatur weitergereicht haben (Screenshot)

São Paulo. Laut einem Bericht der brasilianischen Tageszeitung Folha de São Paulo soll Mercedes-Benz do Brasil an der Bespitzelung der Belegschaft während der Militärdiktatur (1964-1985) beteiligt gewesen sein. Dies belegten neu gefundene Dokumente.

Der Sicherheitsdienst des Unternehmens hat demnach Informationen über gewerkschaftliche und persönliche Aktivitäten der Mitarbeiter:innen im Werk in São Bernardo do Campo, im Bundesstaat São Paulo, gesammelt und diese an die Repressionsorgane der Militärdiktatur weitergegeben. Die Bespitzelung durch Mercedes-Benz habe auch die dortige Metallarbeitergewerkschaft betroffen, in der Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ab 1969 aktiv war.

Die nun durch Folha de São Paulo veröffentlichten "vertraulichen" Dokumente tragen Logos des DOPS-Geheimdienstes (Departamento de Ordem Política Social), der während der Militärdiktatur schwere Verbrechen gegen die Menschheit wie Folter und Mord beging ‒ und diese verweisen auf: "Quelle: Mercedes Benz".

Laut dem Artikel antwortete die Firmenleitung von Mercedes-Benz do Brasil nicht auf die von den Journalist:innen eingereichten Fragen, sondern schickte stattdessen eine Erklärung,  in der es heißt – wie Folha zitiert – das Unternehmen habe bereits mehrere interne Untersuchungen diesbezüglich vorgenommen, dass aber "bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Belege über eine Unterstützung der Firma für das Militärregime gefunden wurden". Angesichts dessen "haben wir nichts zu kommentieren", schlussfolgert die Firma.

Damit bleibt Mercedes-Benz auf der Argumentation aus dem Jahre 2015 stehen. Damals hatte der Autor die Firmenvorstände gefragt, wie es um Ihre historische Verantwortung und Aufarbeitung der Fragen der Kollaboration mit der brasilianischen Militärdiktatur stehe. Das Unternehmen hatte im Vorfeld der Hauptversammlung erklärt, trotz breit angelegter Nachforschungen keinerlei diesbezüglichen Hinweise gefunden zu haben, dennoch sei man "selbstverständlich zur Unterstützung der [brasilianischen] Behörden bereit, um den Sachverhalt aufzuklären".

Dass dies 2015 Thema wurde, lag an dem im Dezember 2014 veröffentlichten Abschlussbericht der Nationalen Wahrheitskommission, der die Verbrechen der Militärdiktatur von 1964-1985 untersuchte. Und demnach war neben anderen Firmen Mercedes-Benz in die Diktatur verstrickt.

Laut dem Abschlussbericht hat auch Mercedes-Benz do Brasil das Folterzentrum Operação Bandeirantes (Oban) von 1969 bis Mitte der 1970er Jahre, dem Höhepunkt des staatlichen Terrors und Folterns, finanziell unterstützt. Neueste Untersuchungen zeigen, dass im Oban, das ab 1970 DOI-CODI hieß, 66 Menschen ermordet wurden, 39 starben dort unter der Folter. Von weiteren 19 Menschen gibt es als letztes Lebenszeichen, dass sie verhaftet und ins DOI-CODI verbracht wurden. Seither gelten sie als verschwunden.

In Band II, Seite 320 des Berichts der Wahrheitskommission heißt es: "Neben Bankiers haben mehrere Multinationale den Aufbau des Oban finanziert, darunter die Firmengruppen Ultra, Ford, General Motors, Camargo Corrêa, Objetivo und Folha. Des Weiteren kollaborierten Multinationale wie Nestlé, General Electric, Mercedes-Benz, Siemens und Light."

Die Antwort der Mercedes-Verantwortlichen im Jahre 2015 war, sie hätten in ihren Akten nichts Diesbezügliches gefunden, würden aber noch ehemalige Mitarbeiter:innen aus dieser Zeit befragen. Ob diese Befragungen überhaupt stattgefunden haben und welche Erkenntnisse es daraus gibt, wurde nie mitgeteilt.

Der Volkswagen-Konzern hat Ende 2020 nach jahrelangem Druck einem außergerichtlichen Vergleich über Entschädigungszahlungen von 36 Millionen Reais an die vormaligen Arbeiter:innen der VW do Brasil-Fabrik in São Bernardo do Campo zugestimmt.

Folha de São Paulo geht nun davon aus, dass Gleiches auch Mercedes-Benz ins Haus stünde.