Folterer der Diktatur in Brasilien zu Wiedergutmachung an die Gesellschaft verurteilt

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Der Bürgermeister von São Paulo, Jânio da Silva Quadro (links), und der Folterer Dirceu Gravina im Jahr 1982
Der Bürgermeister von São Paulo, Jânio da Silva Quadro (links), und der Folterer Dirceu Gravina im Jahr 1982

São Paulo. Drei Folterer der Militärdiktatur (1964-1985) müssen eine "Wiedergutmachung" an die brasilianische Gesellschaft bezahlen. Dies entschied die Richterin an der siebten Zivilbundeskammer São Paulo, Diana Brunstein.

Die Strafzahlung erfolgt in den staatlichen Fonds "Fundo de Direitos Difusos", der der Allgemeinheit zugute kommt.

Das Urteil gegen die ehemaligen Kommissare der Zivilpolizei Dirceu Gravina (bekannt unter dem Codenamen "Jesus Cristo"), Aparecido Laertes Calandra ("Doutor Ubirajara") und David dos Santos Araújo ("Capitão Lisboa") fiel im Zivilrecht, da das Amnestiegesetz von 1979 noch immer die strafrechtliche Aufarbeitung der Diktaturverbrechen verhindert.

Die Richterin sah es als erwiesen an, dass die Beschuldigten während der Zeit der Militärdiktatur im Folterzentrum DOI-CODI in der Rua Tutoia in São Paulo gefoltert und gemordet haben.

Brunstein folgte nicht der Klage der Staatsanwaltschaft, die Entschädigungszahlungen für die Angehörigen der Opfer gefordert hatte. Die Richterin argumentierte, über die staatliche Amnestiekommission seien bereits Zahlungen an die Opfer bzw. deren Angehörigen erfolgt. Nun gehe es darum, die Täter:innen zur Verantwortung zu ziehen, so halte sie es für "gerechtfertigt", die Folterer zu verurteilen, um "den kollektiven moralischen Schaden, den die brasilianische Gesellschaft erlitten hat", wiedergutzumachen.

Seit 2012 unternehmen Bundesstaatsanwält:innen vermehrt Versuche, das Amnestiegesetz zu kippen. Um die Täter von damals trotz der bestehenden Gesetzeslage juristisch zu belangen, argumentieren sie und Angehörige: Da in den Fällen der Verhaftet-Verschwundenen die Opfer nie aufgetaucht sind, halte die Entführung an. Ein fortwährendes Verbrechen müsse jedoch bestraft werden und falle nicht unter die Bestimmungen des Amnestiegesetzes. Bislang wiesen die zuständigen Gerichte dies zurück.

Weitere juristische Versuche, das Amnestiegesetz zu kippen, zielen darauf ab, Folter und Mord während der Zeit der Militärdiktatur als Verbrechen gegen die Menschheit zu ahnden, doch auch diese Prozesse scheiterten bislang.

Im April 2010 hatte der Oberste Gerichtshof (STF) das Amnestiegesetz für gültig erklärt, wogegen die Rechtsanwaltskammer Berufung einreichte. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Ende 2010 hatte der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof Brasilien aufgefordert, den Verbleib von mindestens 62 Ermordeten oder Verschwundenen der Araguaia-Guerilla aufzuklären und das Amnestiegesetz endlich zu annullieren.

Nur im Zivilrecht war es bisher gelungen, einen Folterer zu verklagen: Die Familie Teles gewann vor Jahren den Zivilprozess gegen Ex-Militär Carlos Alberto Brilhante Ustra letztinstanzlich und erhielt das Recht, ihn öffentlich als Folterer zu bezeichnen (amerika21 berichtete).

Das jetzige Urteil "ist eine äußerst wichtige Entscheidung", erklärte Staatsanwalt Marlon Alberto Weichert, einer der Autoren der Klage. "Der erste sehr wichtige Punkt ist, dass das Urteil erklärt, dass die drei Folterer waren ...Von nun an ist dies gerichtlich bestätigt. Und es ist das erste Mal, dass dies in einer öffentlichen Zivilklage passiert ist". Die große Bedeutung liege in der Feststellung, "dass die brasilianische Gesellschaft durch die Einführung der Folter als staatliche Praxis Schaden erlitten hat", so Weichert.