Brasilien: Notstand im Gebiet der Yanomami ausgerufen

Mehr als 500 indigene Kinder starben in den letzten vier Jahren. Genozidvorwürfe gegen Bolsonaro. Gericht fordert Plan zum Schutz der Indigenen. Lula verspricht, illegalem Bergbau ein Ende zu setzen

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Bolsonaro steht in der Kritik: "Die humanitäre und gesundheitliche Krise hat einen Schuldigen! Bolsonaro hat den Yanomami die Unterstützung verwehrt"
Bolsonaro steht in der Kritik: "Die humanitäre und gesundheitliche Krise hat einen Schuldigen! Bolsonaro hat den Yanomami die Unterstützung verwehrt"

Boa Vista. Das brasilianische Gesundheitsministerium hat für das Gebiet der Yanomami den Notstand ausgerufen. 53 Yanomami-Kinder befinden sich im Krankenhaus des Bundesstaats Roraima, alle von ihnen sind stark untergewichtig. Die Luftwaffe liefert seit Montag Lebensmittel in die Region.

Von den 53 Kindern liegen sieben auf der Intensivstation, drei von ihnen werden intubiert. Eugênio Patrício, ein Angestellter des Krankenhauses erklärte, die Symptome wiesen darauf hin, dass die Kinder bereits seit längerer Zeit unterernährt sind. Verschlimmert werde die Situation durch weitere Erkrankungen wie Malaria, Durchfall oder Wurmbefall. Das Krankenhaus ist auf die Behandlung von Indigenen vorbereitet. Eine extra Station ist mit Hängematten statt Betten ausgestattet, um besonders den Kindern ein geborgenes Gefühl zu geben. Zudem sind Übersetzer:innen vor Ort.

Die Regierung muss dem Bundesgerichtshof (STF) nun binnen 30 Tagen einen Plan zum Schutz der isoliert lebenden, indigenen Bevölkerung vorlegen. Zudem hat die Polizei Ermittlungen aufgenommen, Justizminister Flávio Dino hatte sie angeordnet. Im Raum stehen die Vorwürfe des mutmaßlichen Genozids, unterlassener Hilfeleistung und Umweltschäden. Die Aufsichtsbehörde von Roraima fordert zudem die Offenlegung der Finanzierung des Bergbaus.

Präsident Luiz Inácio Lula da Silva reiste eigens nach Boa Vista, um sich einen Eindruck zu verschaffen. Vor Ort sprach er von "unmenschlicher Behandlung" der Indigenen und sagte zu, dass seine Regierung alles unternehmen werde, um dem illegalen Bergbau in der Region ein Ende zu setzen. Das staatliche Gesundheitssystem soll in den kommenden Wochen strukturierte, dauerhafte Hilfsangebote einrichten. Zudem sollen weitere Organisationen geschaffen werden, die vor Ort die Sicherheit und Gesundheit der Yanomami garantieren. "Es ist wichtig, dass die Leute wissen, dass dieses Land die Regierung gewechselt hat", so Lula, der  seinen Vorgänger Jair Bolsonaro für sein Verhalten massiv kritisiert.

Kurz vor Ende seiner Amtszeit und der Abreise in die USA unterzeichnete Bolsonaro noch ein Dekret, das die Abholzung des Waldes in indigenen Gebieten erleichterte. Dieses Dekret hat Lula inzwischen aufgehoben.

"Unser Engagement steht für den Schutz der indigenen Gebiete. Wir werden nicht noch mehr Rückschritte erlauben", betonte die Ministerin für indigene Völker, Sônia Guajajara. Zudem müsse man der "vorherigen Regierung die Schuld dafür geben, dass die Situation sich verschlimmert" habe.

Lula hat außerdem 43 Mitglieder der Nationalen Indigenenbehörde Funai suspendiert und angeordnet, dass Joenia Wapicha, Angehörige der Wapixana-Gemeinschaft und Rechtsanwältin, die Führung der Behörde übernimmt. Die freigewordenen Ämter werden in der kommenden Zeit mit indigenen Personen besetzt. Der Präsident entließ auch elf lokale Koordinatoren des Gesundheitsministeriums.

Insbesondere Bolsonaro, der sich noch immer in den USA aufhält, steht dieser Tage in der Kritik.

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Lula besuchte die Yanomami und versprach, sich für die Indigenen des Landes einzusetzen
Lula besuchte die Yanomami und versprach, sich für die Indigenen des Landes einzusetzen

"Die humanitäre Krise war der früheren Regierung nicht unbekannt", erklärte die Aufsichtsbehörde des Bundesstaats Roraima und verwies auf die Tatsache, dass der Aktivist Dario Kopenawa Yanomami bereits in Brasília war, um den Notstand persönlich anzuklagen und Hilfe einzufordern.

Auch das Gesundheitsministerium von Boa Vista dokumentierte die Situation vor Ort: "In den letzten Jahren hat die Yanomami-Bevölkerung einen Mangel an Unterstützung und Schwierigkeiten beim Zugang zur Gesundheitsversorgung erlebt. Fälle von Unterernährung und Ernährungsunsicherheit, insbesondere unter den mehr als 5.000 Kindern in der Region, wurden erfasst".

Der Indigenenrat des Bundesstaats Roraima (CIR) bestätigt die Vorwürfe. "Es gibt Berichte, Dokumente und offizielle Aufzeichnungen, dass es ein laufendes Projekt zur Ausrottung indigener Völker in Brasilien gab, hauptsächlich im Gebiet der Yanomami", so der CIR-Rechtsberater Ivo Macuxi. Mehrfach habe die Behörde auf Unterernährung bei Kindern und Alten hingewiesen.

Bolsonaro wurde im November 2022 vom STF aufgefordert, einen Plan zum Schutz der Indigenen vorzulegen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Auf Anfragen der Vereinten Nationen hatte er mehrfach geäußert, dass die Lage vor Ort entspannt sei und die Regierung genug unternehme, um die Sicherheit und die Gesundheit der Yanomami zu schützen. So sprach er im März 2022 in einem sechsseitigen Bericht davon, dass man sich "absolut engagiert" für die Menschenrechte der Indigenen einsetze. Im Juli 2021 hatte er behauptet, es gebe erfolgreiche Einsätze gegen die "kriminellen Aktionen", welche die "Yanomami bedrohen könnten". Zudem würde das Gesundheitsministerium die Quecksilberwerte überwachen und der Zugang zu Trinkwasser sei garantiert.

Bereits mit Beginn der Corona-Pandemie im März 2020 hatte sich die Situation der Yanomami enorm zugespitzt (amerika21 berichtete).

In den vergangenen vier Jahren starben mehr als 500 Yanomami-Kinder an Unterernährung, Hunger und Quecksilber-Vergiftungen. Forscher:innen gehen davon aus, dass mindestens 13.160 weitere Personen von Gewalt und den Folgen des illegalen Bergbaus betroffen sind, darunter besonders die Kayapó und die Munduruku.

Die Daten von Mapbiomas zeigen, dass der illegale Bergbau in den vergangenen Jahren drastisch zugenommen hat. Zwischen 2010 und 2020 gab es einen Anstieg um 495 Prozent. Dies hat vielerlei Auswirkungen auf die indigenen Gemeinden. Das Quecksilber, das zur Goldgewinnung genutzt wird, belastet das Wasser und kontaminiert auch die Fische, ein Grundnahrungsmittel der Indigenen. Die Lautstärke der Maschinen vertreibt zudem die Tiere.

Paulo Cesar Basta, der als Arzt und Wissenschaftler lange mit den Indigenen zusammengearbeitet hat, mahnt, dass die Unterernährung der Yanomami eine der schlimmsten in der Welt sei.