Anspannung in Argentinien: Proteste begleiten Zustimmung im Kongress zu IWF-Deal

Opposition stimmt für Gesetzentwurf. Abstimmung auch Bewährungsprobe für Regierung. Ablehnung auf der Straße und bei einigen eigenen Abgeordneten

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Ein vollbesetzter Kongress in Argentinien bei der Debatte über den neuen Deal mit dem IWF
Ein vollbesetzter Kongress in Argentinien bei der Debatte über den neuen Deal mit dem IWF

Buenos Aires. Die Abgeordnetenkammer des Kongresses von Argentinien hat in der Nacht auf Freitag nach einer 14-stündigen Diskussion mit großer Mehrheit einem neuen Deal mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) zugestimmt. Zwar stimmte auch die Opposition für die Pläne der Regierung von Präsident Alberto Fernández und des IWF, allerdings gab es auf Seiten der Regierungsfraktion einige Gegenstimmen und Enthaltungen. Begleitet wurde der Tag der Abstimmung von großen Protesten.

204 Abgeordnete stimmten bei 37 Ablehnungen und elf Enthaltungen für den im Januar nach langen Verhandlungen mit dem IWF abgestimmten Gesetzentwurf. Dieser muss in dieser Woche nun noch vom Senat bestätigt werden. Der immer wieder drohende Zahlungsausfall hatte den Deal notwendig gemacht. In den Monaten der Verhandlungen gab es immer wieder heftigen Gegenwind von Gewerkschaften und sozialen Organisationen. Sie sehen in einer Aufkündigung aller Abhängigkeiten vom IWF den einzig gangbaren Weg, damit die Kosten des von Ex-Präsident Mauricio Macri in die Wege geleiteten IWF-Rekordkredits schlussendlich nicht einzig von der Bevölkerung getragen werden müssen.

Präsident Fernández sah in der Abstimmung einen "wichtigen Schritt" und dankte den Abgeordneten, die "mit Verantwortung" abgestimmt hätten. Gleichzeitig forderte er diejenigen, die mit "Nein" stimmten, zur "Reflexion" auf.

Laut verschiedener Schätzungen hatten sich am Donnerstag weit über 10.000 Menschen vor dem Kongress und zuvor an verschiedenen Orten der Hauptstadt Buenos Aires versammelt, um ihre Ablehnung des Deals kundzutun. Der Großteil der Proteste verlief friedlich, vereinzelt kam es auch zu gewalttätigen Ausschreitungen wie Steinwürfen.

Auch wenn ein gemeinsames Abstimmverhalten von Regierung und Opposition äußerst selten ist, gab es dennoch auch Gegenstimmen. Allen voran Abgeordnete des Regierungsbündnisses, die der peronistischen Jugendorganisation Campora nahestehen, stimmten gegen das Vorhaben. Sie erklärten dies anschließend in einem offenen Brief. Máximo Kirchner, früherer Vorsitzender der Campora und Sohn der Ex-Präsidenten Néstor Kirchner und Cristina Fernández, führte das Nein-Lager an. Er hatte vor einigen Wochen bereits seinen Posten als Fraktionsführer der Regierungspartei niedergelegt, da er mit einem neuen Deal mit dem IWF nicht einverstanden war.

Auch Cristina Fernández, die amtierende Vize-Präsidentin und Präsidentin des Senats, machte zuletzt immer wieder deutlich, dass sie, auch historisch bedingt, eine weitere Zusammenarbeit mit dem IWF ablehnt. In einem Video, das eingeworfene Scheiben ihres Büros im Kongressgebäude infolge der Proteste zeigt, erinnerte sie an die Rolle, die der IWF bereits in der Vergangenheit in Argentinien gespielt hatte. Sie empfinde bei der Gewalt eine "große Traurigkeit", denn sie sehe auch eine Wiederholung der Geschichte und damit ein Resultat, das aus einer Zusammenarbeit mit dem IWF resultieren könne.

Zu den sich bei der Abstimmung enthaltenden Abgeordneten zählte Hugo Yasky, Vorsitzender der CTA, der größten Gewerkschaft des Landes. Zwar enthielt er sich wie andere Gewerkschaftler auch, begründete diese Haltung aber damit, dass die Regierung gestärkt werden müsse. Es sei für ihn als Gewerkschaftler inhaltlich schwierig, einem Deal mit dem IWF zuzustimmen, jedoch dürfe das Feld nicht "destabilisierenden Kräften der Rechten" überlassen werden.

Während die Regierung in dem neuen Deal die einzige Chance zur Vermeidung des Zahlungsausfalls und noch schwererer sozialer Verwerfungen sieht, warnen Kritiker vor einer weiterhin bestehenden extremen Abhängigkeit vom IWF. Gar ein Aufgeben der staatlichen Souveränität wird befürchtet.

Derweil setzten sich nicht erst im Laufe dieser Woche führende Vertreter der Agroindustrie, von Banken und Unternehmen für den Deal ein und begrüßten das Ergebnis der Abstimmung.

Der Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz sieht in dem Deal die Chance für wirtschaftliches Wachstum und damit auch zur Verringerung der Armut wie auch der Inflation. Dass sich auch der IWF in den Verhandlungen bewegt und nicht auf seinen klassischen Forderungen nach Strukturanpassungen und Austeritätspolitik bestanden habe, sei ein gutes Zeichen für die Bevölkerung Argentiniens.

Der anvisierte Deal sieht vor, dass der IWF Argentinien Geld zur Verfügung stellen wird, um die bereits ausgezahlten Kredite bedienen zu können. Der IWF darf vierteljährlich die Staatsfinanzen überprüfen, bevor es zu Zahlungen kommt.

Die erste Auszahlung, die noch für diesen Monat erwartet wird, soll sich auf 9,8 Milliarden US-Dollar belaufen.

Das Haushaltsdefizit muss von drei Prozent im vergangenen Jahr auf 0,9 Prozent im Jahr 2024 gesenkt werden, 2025 muss sogar ein ausgeglichener Haushalt vorgewiesen werden.

Der IWF bestand zudem darauf, dass das Land positive (also im Wert über der Inflation liegende) Realzinsen anbieten muss. So soll das Sparen in Pesos gefördert und die Nachfrage nach Dollars gedämpft werden.

Für dieses Jahr würde mit dem neuen Deal ein Anstieg der Reserven der Zentralbank um fünf Milliarden US-Dollar angestrebt. Um dies zu erreichen, sollen Darlehen von multilateralen Organisationen sowie die Mittel, die der IWF vierteljährlich auszahlen wird, verwendet werden. Die Inflationsrate soll von derzeit knapp 50 Prozent auf 29 bis 37 Prozent im Jahr 2024 gesenkt werden.

Schließlich verpflichtet sich Argentinien, die staatlichen Energiesubventionen abzubauen. Dies dürfte insbesondere einkommensschwache private Haushalte hart treffen.

Die Renten und das Renteneintrittsalter (60 Jahre für Frauen, 65 Jahre für Männer) will Präsident Fernández indes nicht anrühren. Jedoch sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer freiwillig länger arbeiten können. Da die Rentenhöhe für viele sehr gering ist, könnte eine solche Maßnahme zu einem indirekt erzwungenen späteren Renteneintrittsalter führen, fürchten Kritiker.