Brasilien: Schießereien sind für viele Schulkinder von Rio Alltag

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Gewohntes Bild: Schulkinder in Rio gehen im Unterricht wegen Schießereien in Deckung
Gewohntes Bild: Schulkinder in Rio gehen im Unterricht wegen Schießereien in Deckung

Rio de Janeiro. Rund 74 Prozent der Schüler:innen von Rio de Janeiro haben während ihres Unterrichts Schusswechsel zwischen Sicherheitskräften und Drogenbanden erlebt. Eine neue Studie des CESeC (Center for Studies on Security and Citizenship) hat ermittelt, dass 2019 im Umfeld von Dreiviertel der städtischen Schulen in Rio mindestens eine Schießerei stattfand. Die Erhebung stützte sich auf Daten des Instituts Fogo Cruzado sowie auf Aufzeichnungen der Schulleitungen und des städtischen Bildungssekretariats.

Die Koordinator:innen der Studie haben Daten von allen 1.577 städtischen Schulen erfasst. Demnach registrierten nur 423 Schulen (26 Prozent) keine Schießereien während der Unterrichtszeit. Hingegen wurde der Unterricht bei 1.154 Schulen (74 Prozent) mindestens einmal unterbrochen. Bei einem Fünftel waren Schießereien Teil des Alltags. Bei diesen 232 Schulen fanden 21 oder mehr Schießereien im Jahr 2019 statt.

Die Studie zeigt auch, dass Schüler:innen, die sechs oder mehr Polizeieinsätze in Schulnähe miterlebten, einen 64-prozentigen Rückgang des erwarteten Lernerfolgs im Spracherwerb aufwiesen. Im Fach Mathematik ging der Lernerfolg während des gemessenen Schuljahres fast auf Null zurück.

Deshalb hofft das CESeC-Institut mit der Studie die Politik für diese Nebenwirkungen der Polizeieinsätze zu sensibilisieren, denen die Schulkinder ausgesetzt sind. "Wir hoffen, dass diese Daten die Aufmerksamkeit auf diesen Skandal lenken. Dass Kinder mit Schießereien in Lernräumen auskommen müssen, ist nicht normal. Die Schule sollte ein Ort der Ruhe sein", so die CESeC-Koordinatorin Julita Lemgruber.

Die Schwarze Bevölkerung ist von den Schießereien überdurchschnittlich betroffen. Demnach gab es weniger Polizeieinsätze in Gegenden mit mehrheitlich weißer Bevölkerung und mit höheren Bildungsabschlüssen. "Die Schießereien geschehen bei Schulen in armen Gegenden, wo vor allem die Schwarze Bevölkerung vertreten ist. In der Folge verstärkt sich die soziale und ethnische Ungleichheit. Diese Schüler lernen weniger und haben ein höheres Risiko, die Schule abzubrechen", so der Sozialwissenschaftler Ignacio Cano.