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Wahlverschiebung in Haiti im Zeichen steigender Kriminalität und Migrationskrise

Kampf mit anhaltender politischer, humanitärer und sozialer Krise. Premierminister trifft Vereinbarung mit nationalen Organisationen und verschiebt Wahlen

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Auch Ariel Henry unterschrieb in Haiti die Regierungsentscheidung, Mitglieder des Wahlgremiums CEP zu entlassen
Auch Ariel Henry unterschrieb in Haiti die Regierungsentscheidung, Mitglieder des Wahlgremiums CEP zu entlassen

Port-au-Prince. Die Überwindung mehrerer Krisen beschäftigt den Karibikstaat Haiti weiterhin. Nach der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse Anfang Juli stieg die Kriminalität im Land zuletzt konstant an, während sich die Migrationskrise auch in den vergangenen Tagen und Wochen nochmals weiter verschärfte.

Am vergangenen Donnerstag veröffentlichte die haitianische Menschenrechtsorganisation Centre d'analyse et de recherche sur les droits de l'homme (CARDH) einen Bericht zur steigenden Bandenkriminalität. Allein im September zählte sie 117 Entführungen im Land. Dies ist eine deutliche Steigerung zu den Monaten August (73 Entführungen) und Juli (31). Kriege zwischen den Banden führten dem Bericht zufolge zur Vertreibung von 19.000 Personen innerhalb der Hauptstadt.

Angesichts dieser Situation mehren sich die Stimmen, die den Rücktritt des Polizeichefs Léon Charles fordern. Darunter sind unter anderen die Vereinigung solidarischer Ingenieure und Architekten und der Rechtsanwalt und Sprecher der Partei des Demokratischen und Volkssektors, André Michel. Am selben Tag fanden in Port-au-Prince Proteste mehrerer sozialer Sektoren wie von Spediteuren und Zulieferern statt. Sie richteten sich gegen die Gewalt, steigende Inflation und die Vertreibung der Bürger.

Außerdem führen Überfälle auf LKW-Konvois zu Straßensperrungen und Schwierigkeiten bei der Versorgung einiger Regionen des Landes mit Waren. Darunter fällt auch die steigende Anzahl an Entführungen von Tanklastwagen. Im August sah sich die Regierung gezwungen, einen Waffenstillstand mit Banden auszuhandeln, um die Durchfahrt von humanitären Hilfskonvois für die Erdbebenopfer zu ermöglichen (amerika21 berichtete).

Die nationale Polizei fokussierte sich mit ihrer Anordnung zur Verhaftung der Fraktion Fantom 509 zunächst auf eine, von ihr als solche deklarierte, "terroristische Gruppierung". Diese besteht aus ehemaligen Polizeibeamten, die während der Proteste im Jahr 2019 für bessere Arbeitsbedingungen demonstrierten. Später radikalisierte sich die Gruppe, deren Mitglieder nach Justizangaben auf der Flucht sein sollen.

Zuletzt erfolgte die bereits zweite Verschiebung der für November anberaumten Neuwahlen und des Verfassungsreferendums. Sie sollen nun zu einem noch unbekannten Datum im Jahr 2022 stattfinden.

Die Verschiebung folgte einer Entscheidung der Regierung, Mitglieder der Wahlbehörde Conseil Électoral Provisoire (CEP) zu entlassen. Dies hatten Premierminister Ariel Henry und fast 200 soziale und politische Organisationen in einer Vereinbarung zur friedlichen Regierungsführung unterzeichnet. Gemäß dem Abkommen muss Henry sein Kabinett erneuern und dann mit dem Konsens der politischen Kräfte einen neuen Wahlrat ernennen. Außerdem sollen die Wahlen die Diaspora einbeziehen. Dies war bereits von dem ermordeten Ex-Präsidenten Moïse geplant worden. Die Behörde wurde beauftragt, die Wahlen bis spätestens Ende 2022 zu organisieren.

In der Krise rund um die haitianischen Emigranten entwickeln sich unterdessen Bemühungen um Gespräche. Am vergangenen Samstag verkündete das US-Außenministerium, seine Vertreterin, die Unterstaatssekretärin für zivile Sicherheit, Demokratie und Menschenrechte, Uzra Zeya, nach Haiti zu entsenden. Dort solle sie mit Premierminister Henry über die politische Lage im Land, die Durchführung von Wahlen und die Unterstützung von Migranten sprechen.

Die US-Regierung erfuhr zuletzt scharfe Kritik aufgrund ihrer harschen Behandlung und der Abschiebung von 15.000 haitianischen Migranten. Juan Gonzalez, leitender Direktor des Nationalen Sicherheitsrates der USA für die westliche Hemisphäre, entschuldigte sich während eines Besuches in Haiti am 1. Oktober bereits dafür.

Am 23. September hatte Daniel Foote, seit Juli Sonderbeauftragter des US-Außenministeriums für Haiti, seinen sofortigen Rücktritt aus Protest gegen die "unmenschliche Behandlung" haitianischer Migranten durch die US-Regierung erklärt.

Laut der Regierung Panamas sind in diesem Jahr bis Ende September rund 57.000 Haitianer auf der lebensgefährlichen Migrationsroute über Panama Richtung USA gezählt worden.

In dieser Woche wurde zudem eine Vereinbarung zwischen der mexikanischen und haitianischen Regierung umgesetzt und eine Gruppe von 129 Haitianern von Mexiko nach Haiti gebracht. Weitere Repatriierungsflüge sollen folgen.

Der mexikanische Botschafter vor den Vereinten Nationen, Juan Ramón de la Fuente, hatte vor dem Sicherheitsrat die Unterstützung der UNO gefordert, um Haitis Institutionen zu stabilisieren und somit die Migration durch und nach Mexiko zu stoppen. Zuvor betonten bereits Costa Rica, die Dominikanische Republik, Panama und Argentinien die Notwendigkeit einer Lösungsfindung für Haiti, wegen der Folgen der haitianischen Krise für die Region durch Migration.

Währenddessen entsandte die haitianische Militärführung eine Mitteilung an den Präsidenten des Nachbarstaates, der Dominikanischen Republik (DR), Luis Abinader. Darin brachte sie ihre Ablehnung zum Ausdruck gegenüber der Aussage Abinaders, dass die massive Migration haitianischer Bürger eine mögliche Instabilität in dem Nachbarland und anderen Ländern auslöse.