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Brasilien: Präsident Bolsonaro demonstriert gegen Corona, Oberstes Gericht ermittelt

Präsident auf Konfrontation mit Gouverneuren. Ruf nach militärischer Intervention. Krude Theorien zur Behandlung des Virus verbreitet

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Präsident Bolsonaro meint, der Corona-Pandemie in Brasilien mit der Hilfe Gottes und der Unterstützung des Militärs Herr zu werden
Präsident Bolsonaro meint, der Corona-Pandemie in Brasilien mit der Hilfe Gottes und der Unterstützung des Militärs Herr zu werden

Brasília. Der oberste Richter von Brasilien, Alexandre de Moraes, will eine Untersuchung wegen einer Demonstration vom vergangenen Sonntag einleiten, bei der unter Anwesenheit von Präsident Jair Bolsonaro für eine Militärintervention in den Provinzen und eine Schließung des Parlaments wegen der verhängten Maßnahmen infolge der Corona-Pandemie protestiert wurde. Moraes zeigte sich sehr besorgt wegen dort getätigter Äußerungen, diese seien verfassungswidrig und richteten sich gegen den demokratischen Rechtsstaat.

Während Brasilien mit fast 45.000 bestätigten Corona-Fällen und über 2.700 Toten das bisher am stärksten von der Pandemie betroffene lateinamerikanische Land ist, geht der Streit zwischen Bolsonaro und Parlament, Oberstem Gerichtshof und der Mehrheit der Gouverneure um Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen also weiter. Bolsonaro widersetzt sich einer strikten allgemeinen Quarantäne, um die Wirtschaft nicht lahmzulegen. Er will nur bei Risikogruppen eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit akzeptieren. Außerdem äußerte er den Wunsch, "diese möge die letzte Woche der Quarantäne sein".

Bei der Demonstration am Sonntag mit einigen hundert Leuten vor dem Hauptquartier der Armee in der Hauptstadt Brasília hielt Bolsonaro eine Ansprache, in der er dazu aufrief "der Pandemie mit erhobenen Haupt entgegenzutreten. Gott ist mit uns." Die Menge rief Parolen gegen Parlament und Richter und forderten ein Eingreifen des Militärs zu Gunsten des Präsidenten und eine Auflösung des Parlaments.

Parlament und Richter bezeichneten diese Äußerungen als antidemokratisch und als offene Angriffe auf die Institutionen der Republik. Der Generalstaatsanwalt forderte dann den obersten Gerichtshof und Richter de Moraes auf, die Aufforderung zum Staatsstreich zu untersuchen.

Auch in anderen Teilen des Landes gab es ähnliche Kundgebungen. In São Paulo verlangten Demonstranten den Rücktritt von Gouverneur Joao Doria, der ein Verfechter strikter Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ist und in diesem Thema ein erklärter Gegner Bolsonaros. Er wird als möglicher Gegenkandidat für die Wahlen 2022 gehandelt. Er steht jedoch nicht alleine da. Von 27 Gouverneuren der Bundesstaaten stehen inzwischen rund 20 gegen Bolsonaro und seinen Kurs. Sie unterzeichneten kürzlich einen Aufruf, in dem sie einen demokratischen Umgang und konzertierte Aktionen gegen die Pandemie fordern.

Letzte Woche hatte Bolsonaro seinen Gesundheitsminister Luiz Henrique Mandetta abgesetzt und an seiner Stelle den Onkologen Nelson Teich ernannt. Ein vorheriger Versuch, Mandetta zu feuern, war vor wenigen Wochen von den Generälen im Kabinett vereitelt worden. Es gingen sogar Gerüchte um, Bolsonaro sei praktisch entmachtet worden und seine wesentlichen Funktionen durch einen "Superminister" übernommen worden. Dies mag die Absicht der Generäle gewesen sein, durchgesetzt haben sie sich offensichtlich nicht. Vizepräsident Hamilton Mourão bestritt kürzlich diese Versionen und gab ihnen so erst richtig Aufschwung.

Mandetta war einst ein enger Vertrauter Bolsonaros, sie entzweiten sich jedoch über die Behandlung von Covid-19-Patienten. Ein Streitpunkt war die vom Präsidenten geforderte Verwendung von Chloroquin, einem starken Malariamittel. Dessen Anwendbarkeit ist jedoch sehr umstritten und eigentlich nur als letztes Mittel vorgesehen, da es schwere Nebenwirkungen hervorrufen kann. Bei einem Versuch im Staat Amazonia sind angeblich ein großer Teil der damit behandelten Patienten gestorben.

Bolsonaro stellt dieses Mittel jedoch als Wunderwaffe gegen das Coronavirus dar, obwohl dessen Effektivität nicht bewiesen ist. Und nicht nur das: Bei jeder günstigen Gelegenheit lässt der Präsident bizarren Theorien freien Lauf, behauptet beispielsweise, es handele sich bei Covid-19 nur um eine "Gripezinha" (kleine Grippe) und fordert die Brasilianer zum Ungehorsam gegenüber den lokalen Behörden auf.

Nachdem seine Beziehungen zur Judikative, Legislative und Teilen der Exekutive über einen Punkt hinausgelangt sind, von der es keine mögliche Rückkehr mehr zu geben scheint, ist nun die große Frage, wie das Militär reagieren wird. Bolsonaro wird anscheinend auch dort zusehend als Last angesehen.

Bereits im Dezember gab es großen Unmut unter den niedrigen und mittleren Diensträngen über eine Maßnahme der Regierung, durch die Gehälter und Pensionsregelungen zu deren Ungunsten umstrukturiert wurden. Militärgewerkschaft und Offiziersgruppierungen protestierten gegen diese Reform. Aber auch unter den Generälen schwindet nun die Unterstützung. Die Teilnahme Bolsonaros an der Demonstration am Sonntag wurde von der Heeresführung in seltener Offenheit kritisiert.