Port-au-Prince. Ein Jahrzehnt nach einem massiven Erdbeben haben die Menschen in Haiti gestern der Opfer der Naturkatastrophe gedacht. Zugleich wurde erneut schwere Kritik an den politischen Führungen des verarmten Karibikstaates und an internationalen Akteuren laut.
Am 12. Januar 2010 hatte das Land ein Erdbeben der Stärke 7,3 auf der Richterskala mit dem Epizentrum in zehn Kilometer Tiefe unter der Hauptstadt Port-au-Prince erschüttert. Während des Bebens und in Folge dieser Katastrophe starben mindestens 200.000 Menschen, weitere 300.000 wurden verletzt und 1,5 Millionen wurden obdachlos. Heute benötigen 35 Prozent der Bevölkerung humanitäre Hilfe zum Überleben.
Nach Angaben des Welternährungsprogramms haben aktuell mehr als 3,7 Millionen Menschen in dem Karibikstaat mit ernstem Nahrungsmittelmangel zu kämpfen. Dies erfordere große Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft.
Zugleich hat sich die Lage innenpolitisch dramatisch verschlechtert. Die Regierungskrise hat sich verschärft und zahlreiche gesellschaftliche Gruppen, vor allem in den Städten, fordern den Rücktritt von Präsident Jovenel Möise, dem sie Korruption vorwerfen.
Seit Juli 2018 sind die Preise für Treibstoff und Gas stetig gestiegen. Dadurch nahm auch der Preis für den Grundnahrungsmittelkorb im Vergleich zu 2017 um acht Prozent zu.
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Nach dem Erdbeben 2010 wurde Haiti zum größten Empfänger humanitärer Hilfe in der jüngeren Geschichte. Aber durch mangelnde Kontrolle flossen zahlreiche Gelder in schwarze Kassen, sodass die meisten Erdbebenopfer keine Unterstützung für den Wiederaufbau ihres Lebens erhielten.
Das Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) hat kürzlich mitgeteilt, dass von den 126,2 Millionen US-Dollar, die für Projekte in Haiti im Jahr 2019 beantragt wurden, nur 40,5 Millionen US-Dollar aufgebracht wurden; dies entspricht einer Finanzierungslücke von fast 68 Prozent des geschätzten Bedarfs.
Zugleich werden nach Prognosen der Internationalen Organisation für Migration (IOM) schätzungsweise 34.000 Menschen, die durch das Erdbeben ihr Heim verloren haben, dauerhaft in den nach dem Beben errichteten fragilen Notunterkünften bleiben.
Neben weiteren Naturkatastrophen trugen auch die internationalen Akteure zu einer Verschärfung der Krise bei. Von den 4.900 Soldaten der UN-Mission Minustah (2004-2017) verloren 186 ihr Leben, über haitianische Opfer bewaffneter Einsätze gibt es keine verlässlichen Angaben. 2010 schleppten nepalesische Blauhelm-Soldaten die Cholera nach Haiti ein, an den Folgen der Epidemie starben mindestens 10.000 Menschen, bis zu 800.000 waren betroffen. Befeuert wurde die Kritik an der UN-Mission auch durch zahlreiche sexuelle Übergriffe und mehrfaches gewaltsames Vorgehen gegen Demonstranten.
Zuletzt schränkte der massive Treibstoffmangel in Haiti sowie die Unsicherheit im Land die Arbeit humanitärer Organisationen ein. Schwierigkeiten beim Zugang zu Dienstleistungen, Schulen, Krankenhäusern, die erhöhte Unsicherheit und viele andere Faktoren führen dazu, dass schätzungsweise ein Fünftel der haitianischen Bevölkerung – zwischen 1,5 und zwei Millionen Menschen – heute außerhalb des Landes lebt.