Ethikrat der Ärztekammer in Chile sanktioniert Arzt der Colonia Dignidad

Otto Dörr hat - zusammen mit Hartmut Hopp - Bewohner der Sektensiedlung mit Psychopharmaka "behandelt". Wird ihm der Medizinpreis aberkannt?

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Gebäude auf dem Gelände der Colonia Dignidad. Heute wird es als Hotel genutzt (Aufnahme von 2014)
Gebäude auf dem Gelände der Colonia Dignidad. Heute wird es als Hotel genutzt (Aufnahme von 2014)

Santiago. Der chilenische Arzt und Unterstützer der Sektensiedlung Colonia Dignidad, Otto Dörr, wurde von der Ärztekammer Chiles verurteilt. In einem ausführlich begründeten Beschluss stellte sie fest, Dörr habe nicht nach den ethischen Kriterien gehandelt, die zu erfüllen Ärzten obliege. Dörr habe gemeinsam mit anderen "zivilen" Persönlichkeiten jahrelang öffentlich die Colonia Dignidad unterstützt und somit zur Aufrechterhaltung der menschenrechtswidrigen Verhältnisse in der Siedlung beigetragen. Erst 2018 wurde ihm der Nationale Medizinpreis Chiles verliehen. Nach Protesten von Menschenrechtsorganisationen, mehreren Anzeigen und der Einleitung eines Verfahrens vor dem Ethiktribunal der Ärztekammer wurde die Aushändigung allerdings ausgesetzt. Nach der Sanktionierung wird nun erwartet, dass Dörr der Preis wieder aberkannt wird.

In der von deutschen Aussiedlern gegründeten Sektensiedlung im Süden Chiles herrschte ein jahrzehntelanges Schreckensregime mit Zwangsarbeit, der Verabreichung von Psychopharmaka an die Bewohner und systematischem Kindesmissbrauch. Das Militärregime unter General Augusto Pinochet ließ dort zudem politische Gefangene foltern und verschwinden. Obwohl bereits in den 1960er Jahren Siedler aus der Sekte fliehen konnten und von den Zuständen berichteten, blieben sowohl chilenische als auch deutsche Behörden jahrzehntelang untätig. Möglich war dies unter anderem aufgrund der Verbindungen hochrangiger Sektenmitglieder zu deutschen Politikern und Diplomaten. Auch die deutsche Botschaft in der Hauptstadt Santiago blieb weitgehend untätig, obwohl über die Verbrechen berichtet wurde. Sektenführer Paul Schäfer war im Jahr 2006 in Chile zu 20 Jahren Haft verurteilt worden und starb 2010 im Alter von 88 Jahren im Gefängnis.

Otto Dörr hatte unter anderem zusammen mit Hartmut Hopp – dem ehemaligen Leiter des Krankenhauses der Siedlung – Bewohner der Colonia Dignidad mit Psychopharmaka "behandelt". Nachdem Hopp 2011 in Chile wegen Beihilfe zu sexuellem Kindesmissbrauch in 16 Fällen zu fünf Jahren Haft verurteilt worden war, setzte er sich nach Deutschland ab, wo er seitdem von der deutschen Justiz weitestgehend unbehelligt in Krefeld lebt. Im Mai 2019 gab die Staatsanwaltschaft Krefeld bekannt, dass die Strafe gegen Hopp nicht in Deutschland vollstreckt werden könne, womit ein jahrelanger Rechtsstreit zu Ende ging.

Ein "Patient" von Dörr und Hopp, der Siedlungsbewohner Karl Stricker, verstarb 2002 in der Colonia Dignidad, als er unter Psychopharmaka-Einfluss Dacharbeiten durchführen musste und abstürzte. Stricker hatte 1996 versucht aus der Siedlung zu fliehen, wurde jedoch von der Sektenführung zurückgeholt. Dörr hatte ihm daraufhin Psychopharmaka verordnet und Bescheinigungen ausgestellt, die eine Vorladung durch die chilenische Justiz behinderten. Darüber hinaus hatte Dörr den Kindesmissbrauch Schäfers auf dessen Homosexualität zurückgeführt: "Ich kann Ihnen nur sagen, dass es in einer Gemeinschaft von 300 Personen, von denen ungefähr 150 Männer sind, einen Homosexuellen gibt - das ist eine sehr niedrige Zahl", sagte er in einem Interview 1997, angesprochen auf den systematischen Kindesmissbrauch in der Colonia Dignidad.

Jan Stehle vom Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika (FDCL), einer der Anzeigenerstatter gegen Otto Dörr, erklärt hierzu: "Der Spruch des Ethiktribunals ist ein Vorgang von historischer Tragweite im Kontext der mühevollen Aufarbeitung der Verbrechen der Colonia Dignidad. Erstmals erfährt ein langjähriger Unterstützer der Colonia Dignidad Konsequenzen für sein Handeln. Das Netzwerk von Unterstützer in Chile und Deutschland ermöglichte die Kontinuität der Menschenrechtsverbrechen in der kriminellen Sekte bis 2005. Die im Urteilsspruch dokumentierten Verbindungen von Otto Dörr zur Colonia Dignidad und zur Person Hartmut Hopp verdeutlichen erneut die skandalösen Unterlassungen auch seitens der deutschen Justiz bei der Aufarbeitung der systematischen Verbrechen der Colonia Dignidad, die längst noch nicht abgeschlossen ist. Ich erwarte, dass Otto Dörr nun umgehend der Nationale Medizinpreis aberkannt wird".

Die Liste der Unterstützer der Colonia Dignidad in der chilenischen Politik ist lang. Der derzeitige Minister für Justiz und Menschenrechte, Hernán Larraín, besuchte schon während der Militärdiktatur mehrfach die Sektensiedlung. Als die Vorwürfe wegen Kindesmissbrauchs und Folter in den 1990er Jahren immer vehementer wurden, verteidigte er sie lange Zeit und bezeichnete die Vorwürfe als Verleumdungen. Auch die festgestellten Folterungen und Ermordungen von Diktaturgegnern in der Siedlung hatten keinen Einfluss auf seine damals positive Haltung gegenüber der Colonia.