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Machtkampf um ehemaligen Farc-Kommandanten in Kolumbien

Sonderjustiz für den Frieden lässt Santrich frei, Generalstaatsanwaltschaft verhaftet ihn erneut. USA fordern Auslieferung

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"Freiheit für Santrich" fordert dieses Plakat
"Freiheit für Santrich" fordert dieses Plakat

Bogotá. Seuxis Paucias Hernández alias Jesús Santrich ist am Wochenende auf Anordnung der Sonderjustiz für den Frieden (JEP) aus der Haft entlassen und noch im Ausgang des Gefängnisses wieder festgenommen worden. Der ehemalige Kommandant der Revolutionären Streitkräfte Kolumbiens (Farc) wurde kurz nach der erneuten Gefangennahme mit einem Hubschrauber abtransportiert. Zuerst hieß es, er wäre in ein Krankenhaus gebracht worden. Dann jedoch wurde berichtet, er sei direkt zur Generalstaatsanwaltschaft geflogen worden.

Die Nachfolgepartei der Guerilla, Alternative Revolutionäre Kraft des Volkes (Fuerza Alternativa Revolucionaria del Común, Farc), gab am gestrigen Sonntag über Twitter bekannt, dass Santrich zunächst zu einer Intensivstation geflogen und von dort wenig später in die "Bunker" genannte Zelle der Staatsanwaltschaft gebracht wurde. Gleichzeitig äußerte sie sich besorgt, da es keinen medizinischen Bericht gebe. Die Partei fordert seine unverzügliche Freilassung und spricht von einem "abgekarteten Spiel der Justiz" und von "Demütigung".

Der 52-Jährige ist seit vielen Jahren sehbehindert und sein Gesundheitszustand hat sich stark verschlechtert. Er konnte sich während der Vorgänge nicht aus dem Rollstuhl erheben und seine Arme waren bandagiert.

Präsident Iván Duque begrüßte hingegen die erneute Verhaftung.

Santrich war im April 2018 von kolumbianischen Behörden auf Druck der US-Antidrogenbehörde DEA festgenommen worden und sitzt seitdem in Haft. Er wird in Kolumbien und den USA beschuldigt, nach seiner Demobilisierung eine Kokain-Lieferung in die USA geplant zu haben. Die USA fordern seine Auslieferung. Laut der JEP haben die US-Behörden allerdings zu keinem Zeitpunkt belastbare Beweise für den Drogendeal vorgelegt. Auch ohne Beweise vorzulegen, hatte die US-Botschaft die kolumbianischen Behörden "dringend gebeten", den Ex-Guerillero nicht zu entlassen.

Am Mittwoch hatte die JEP nun endgültig die Haftentlassung angeordnet und das Auslieferungsgesuch abgelehnt. Der politische Machtkampf begann damit, dass der Generalstaatsanwalt, Néstor Humberto Martínez, aus Protest gegen die Entscheidung der JEP noch am selben Tag sein Amt niederlegte. Am Tag darauf gab auch die Justizministerin ihre Demission bekannt. Beim Verlassen der Justizvollzugsanstalt in der Hauptstadt Bogotá wurde Santrich nun von Mitgliedern der Staatsanwaltschaft empfangen und wieder verhaftet.

Martínez erklärte derweil, das Urteil der JEP widerspreche der Rechtsstaatlichkeit. Die Staatsanwaltschaft legte gegen den Beschluss der JEP Berufung ein. Sie zeigt sich auch weiterhin offen gegenüber dem Auslieferungsersuch der USA. Präsident Duque unterstützte offiziell das Vorgehen der Behörde. Er ist expliziter Gegner der JEP und hatte bereits auf rechtlichem Weg versucht, sie einzuschränken oder abzuschaffen.

Die Aufsichtsbehörde (Procuraduría) legte am Sonntag Berufung gegen die Festnahme ein. Für den heutigen Montag ist nun eine erste Anhörung im Fall Santrich geplant.

Die JEP wirft der Staatsanwaltschaft und der DEA "irreguläre Methoden" in der Beweisbeschaffung vor. In einem Bericht hebt sie vor allem drei Kritikpunkte hervor: Der verdeckte Einsatz von in Kolumbien nicht registrierten US-Beamten, Einmischung in interne Angelegenheiten seitens der DEA, illegaler Einsatz von Agents Provocateur.

Martínez gab indes bekannt, dass für Montag ein Treffen mit Präsident Duque angesetzt sei, bei dem der Zustand des "Postkonflikts", die Auslieferungen und die JEP allgemein auf der Tagesordnung stünden.

Die Vereinten Nationen forderten von Kolumbien, die rechtsstaatlichen Normen im Prozess gegen Santrich nicht zu verletzten.

Die Aufgabe der JEP ist die Aufklärung der Kriegs- und Menschenrechtsverbrechen während der 53 Jahre des bewaffneten Konflikts. Für weniger schwere Verbrechen kann sie Amnestien und Begnadigungen aussprechen. Dies gilt allerdings nicht für Straftaten nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens im Dezember 2016. Alle vermeintlich nach der Demobilisierung verübten Delikte werden vor normalen Gerichten verhandelt, ohne Möglichkeit auf Amnestie und ohne den Schutz vor Auslieferungen. Daher ist umstritten, welches Gericht im Falle von Santrich zuständig ist. Denn der Vorwurf der USA bezieht sich auf die Zeit nach der Unterzeichnung. Santrich soll allerdings als ehemaliger Kommandant laut JEP zur Aufklärung beitragen.

Die Bilder der Entlassung und erneuten Festnahme erschütterten die kolumbianische Linke und vor allem die Farc-Partei. Die Parteiführung hielt noch am Wochenende eine Sitzung ab, bei der auch Vertreter der Vereinten Nationen anwesend waren. Seit der ersten Festnahme 2018 gibt es regelmäßig Proteste für die Freilassung. Santrich war mehrmals in den Hungerstreik getreten.