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Erste Festnahmen im Mordfall Marielle Franco in Brasilien

Ex-Polizist verhaftet. Rechter Abgeordneter Siciliano stellt sich Polizeiverhör. Armee-General bestätigt, dass Ermordung seit 2017 geplant gewesen war

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Die brasilianische Menschenrechtsaktivistin und Links-Politikerin, Marielle Franco, wurde am 14. März in Rio de Janeiro erschossen
Die brasilianische Menschenrechtsaktivistin und Links-Politikerin, Marielle Franco, wurde am 14. März in Rio de Janeiro erschossen

Rio de Janeiro. Die Ermittlungsbehörden haben im Zusammenhang mit dem Mord an der linken Abgeordneten Marielle Franco (PSOL) und ihrem Fahrer eine Person aus dem Umfeld der paramilitärischen Milizen festgenommen. Der ehemalige Polizist Renato Nascimento Santos wird dem organisierten Verbrechen zugeordnet, das große Teile im Westen von Rio kontrolliert. Der rechte Abgeordnete Marcello Siciliano hatte sich außerdem der Polizei zum Verhör gestellt. Verbindungen von Milizen zu Abgeordneten auf lokaler und bundesstaatlicher Ebene wurden mittlerweile nachgewiesen, berichtet die Zeitung O Diario.

Die Festnahme von Santos am Dienstag ist die erste eines Verdächtigen seit den Morden an der Linkspolitikerin Franco im März dieses Jahres. Die Ermittlungsbehörden gehen davon aus, dass Santos in dem Wagen saß, von dem aus auf das Auto mit Franco geschossen wurde, berichtet die Zeitung Ultimo Segundo aus Rio.

Die Behörden ordnen Santos der Gruppe des bekannten Milizenchefs Orlando de Oliveira zu. Dieser sitzt bereits wegen anderer Verbrechen in Haft. Ein Zeuge hatte Oliveira als Auftraggeber für den Mord an Franco und Gomes benannt. Gegen den nun festgenommenen Ex-Polizisten lagen bereits zwei Haftbefehle wegen anderer Delikte vor.

Die Ermittlungsbehörden hatten bereits am vergangenen Freitag versucht, einzelne Mitglieder der Milizen dingfest zu machen und Beweismaterial sicherzustellen. Mehrere hundert Polizisten waren zu 15 Adressen in vier Städten in den Bundesstaaten Rio de Janeiro und Minas Gerais ausgerückt – jedoch ohne Erfolg. Grund dafür sollen undichte Stellen innerhalb der Polizei gewesen sein. Teile des Sicherheitsapparates sollen die Verdächtigen vor dem Einsatz gewarnt haben, schreibt O Globo unter Berufung auf leitende Beamte. Bei dem Versuch einer Festnahme in Angra dos Reis gerieten die Polizisten unter Beschuss lokaler Drogenbanden und mussten Verstärkung und einen Hubschrauber rufen, um zur Adresse des Verdächtigen zu kommen.

Der inhaftierte Milizenchef Oliveira selbst hatte die Mordkommission als Teil der Ermittlungspolizei (Policia Civil) beschuldigt, kein Interesse an der Aufklärung der Morde an Franco und Gomes zu haben. Sie werde von einer Gruppe von Auftragskillern bestochen, wird Oliveira in O Globo zitiert. Am Mittwoch wurde bekannt, dass aus den Händen der Mordkommission Teile der Überwachungsvideos verschwunden sind, die Aufschluss über den Tathergang und Tatfahrzeuge geben. Dies führte dazu, dass die ermittelnde Staatsanwaltschaft von Rio die Zusammenarbeit mit der Polizei einstellte und beantragte, die Ermittlungen von Bundesbehörden weiterführen zu lassen.

Im Zuge der Aktion vom Freitag stellte sich einzig der rechtsgerichtete Abgeordnete im Rathaus von Rio de Janeiro, Marcello Siciliano, im Beisein von sechs Anwälten der Polizei zum Verhör. Er steht seit April im Verdacht am Mord an der früheren Kollegin beteiligt zu sein. Ein Kronzeuge hatte ihn und Oliveira beschuldigt. Der Vorwurf lautet, dass Siciliano und andere fürchteten, durch das starke Engagement der Aktivistin und Linkenpolitikerin im Westteil Rios politischen Einfluss zu verlieren. Siciliano bestreitet sowohl die Tatbeteiligung als auch, mit Oliveira bekannt zu sein.

Auch die brasilianische Armee verfolgt die These, dass Franco ermordet wurde, weil sie durch ihre politische Basisarbeit in den Randgebieten die Geschäfte der Milizen bedroht haben soll. Der Armeegeneral und Sicherheitschef von Rio, Richard Nunes, bestätigte vergangenen Freitag, dass die Milizen davon ausgingen, dass Marielle Franco die illegalen Geschäfte der Grundbuchfälschungen und den Landraub stören könnte. Das Verbrechen sei bereits seit 2017 geplant gewesen. "Sie [Franco] engagierte sich in einer von Milizen kontrollierten Region von Rio, wodurch deren ökonomischen Interessen bedroht waren. In dem Moment, in dem eine gewisse politische Führerin, Mitglied des Parlaments, beginnt, die [lokalen] Netzwerke öffentlich zu hinterfragen, die das Leben dieser Gemeinde bestimmen, greift sie die Interessen dieser kriminellen Gruppen an", so Nunez im Interview mit O Estado de São Paulo. Die Streitkräfte sind seit Januar 2018 für die öffentliche Sicherheit im Staat Rio de Janeiro zuständig.

Der Linken-Politiker und Francos ehemaliger Kollege, Marcelo Freixo, bezeichnete die Morde unlängst als "das ausgeklügeltste Verbrechen in der Geschichte von Rio de Janeiro". Kurz zuvor war ein für Samstag geplanter Mordanschlag auf Freixo vereitelt worden. Im Jahr 2008 hatte er die parlamentarische Untersuchungskommission über Milizen geleitet. Der Abschlussbericht identifizierte Personen und forderte Anklagen gegen 225 Politiker, Polizisten, Gefängniswärter, Justizangestellte, Feuerwehrmänner und Zivilisten. 200 Anführer wurden zu langen Haftstrafen verurteilt.

In diesem Kontext startete die Polizei am Donnerstag die sogenannte Megaoperation Heracles. Mehr als 500 Polizisten und 1.700 Soldaten waren ausgerückt, um 97 Festnahmen zur Haftvollstreckung und 296 Haftbefehle gegen Mitglieder einer Miliz in den Stadtteilen Jacarepaguá, Santa Cruz, Campo Grande und Itaguaí durchzusetzen. Am Abend der Aktion waren 20 Personen festgenommen.