Mexiko / Soziales

Ein Jahr nach dem Erdbeben in Mexiko: Opfer beklagen Korruption der Behörden

Die Organisation "Mexikaner gegen Korruption und Straflosigkeit" kommt nach Untersuchungen zu dem Schluss: nicht Erdbeben töten, sondern Korruption

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"Korruption tötet": Zwei der Betroffenen des Erdbebens vom 19. September 2017 in Mexiko-Stadt, die Auskunft für die Studie gaben (Screenshot)
"Korruption tötet": Zwei der Betroffenen des Erdbebens vom 19. September 2017 in Mexiko-Stadt, die Auskunft für die Studie gaben (Screenshot)

Mexiko-Stadt. Ein Kollektiv von Journalisten in Mexiko hat die Gründe für den Einsturz von 28 Gebäuden bei dem Erdbeben vor rund einem Jahr untersucht und nun seinen Bericht vorgelegt. Ausgehend von 800 Behördenanfragen, Augenzeugeninterviews und Expertenberichten stellen sie zwei Befunde: nicht Erdbeben töten, sondern Korruption. Und: die Lokalregierung hat massiv Informationen vertuscht.

Am 19. September 2017 um 13:14 Uhr hat ein Erdbeben mit 7,1 auf der Richterskala Zentralmexiko erschüttert. Erst wenige Stunden zuvor hatten hunderttausende Mexikaner an einer Katastrophenübung teilgenommen. Denn auf den Tag genau 32 Jahre zuvor ereignete sich das verheerendste Erdbeben der jüngeren Geschichte Mexikos: 1985 kamen bis zu 40.000 Menschen um und hunderttausende wurden obdachlos. Damals war vor allem Mexiko-Stadt betroffen, wo ganze Stadtteile verwüstet wurden.

Als Reaktion auf das Desaster von 1985 wurde ein nationales Erdbebenwarnsystem eingerichtet und die Baurichtlinien verschärft. Damit sollten zukünftige Katastrophen verhindert werden.

Doch schon ein Erdbeben vom 9. September 2017 zeigte die Ausmaße staatlichen Versagens auf. Teile der armen Bundesstaaten Chiapas und Oaxaca wurden durch das Beben mit einer Stärke von 8,2 und Epizentrum im Pazifik verwüstet. Über hundert Menschen starben und zehntausende verloren ihre Häuser. Mexikos Präsident Enrique Peña Nieto versprach schnelle Hilfe. Doch auch Tage danach erbrachten Freiwillige die relevanten Hilfsleistungen. Helfer sprachen davon, dass die regierende Partei der Institutionalisierten Revolution (PRI) "die per Helikopter eingeflogenen Güter nur an Getreue" verteile.

Nach dem Beben vom 19. September glichen sich die Bilder. Vor allem Mexiko-Stadt und die zentralmexikanischen Bundesstaaten Morelos und Puebla waren betroffen. Laut offiziellen Angaben starben 370 Menschen und mehrere tausend wurden verletzt. In der Hauptstadt kollabierten über 40 Gebäude, darunter eine Grundschule. Aus Angst vor Nachbeben schliefen viele Menschen noch Tage danach auf der Straße oder verließen die Stadt.

In den Folgetagen erlebte Mexiko eine selten gesehene Solidaritätswelle. Bereits unmittelbar nach dem Beben begannen Anwohner mit den Bergungsarbeiten. Freiwilligenverbände schlossen sich zusammen, um die Hilfsarbeiten zu organisieren. Selbst aus dem 2.000 Kilometer entfernten Tijuana kamen Hilfsgüter.

Die offiziellen Rettungskräfte von Polizei und Militär begannen erst Stunden nach dem Beben ihre Arbeit und behinderten zum Teil die der Freiwilligen. Versprochene Hilfsleistungen erreichten die Geschädigten nie. Wurde versucht, in den wohlhabenden Vierteln von Mexiko-Stadt die gröbsten Schäden schnell zu beseitigen, gab es in machen Vororten auch nach Monaten noch kein fließendes Wasser. Ländliche Gebiete in Morelos und Puebla lagen noch Wochen nach dem Beben in Trümmern.

Die Organisation "Mexikaner gegen Korruption und Straflosigkeit" stellte nun einen Bericht vor, in dem das Versagen der Behörden dokumentiert wird. In allen 28 von dem Journalistenkollektiv untersuchten Fällen wurden Gemeinsamkeiten entdeckt: Vorschriften wurden durch Bauunternehmer und Behörden missachtet, Baustoffe schlechter Qualität benutzt und Häuser auf alten Fundamenten errichtet. Ein großer Teil der versprochenen, teils durch andere Staaten getätigten Hilfszahlungen sei in einem undurchsichtigen Netz aus Fonds und Konten verschwunden.

Der Historiker Héctor De Mauleón kritisiert, dass das "nicht rennen, nicht schreiben, nicht drängeln" das einzige sei, was die Behörden in den letzten 30 Jahren an die Menschen weitergegeben hätten. Bis heute sei es zu keinem Verfahren gegen Verantwortliche gekommen. Für Empörung sorgte die Linkspolitikerin Claudia Sheinbaum, welche die Bürgermeisterwahlen am 1. Juli gewonnen und immer wieder versprochen hatte, sich für die Erdbebenopfer einzusetzen. Die Einladung zur Veranstaltung hatte sie jedoch ausgeschlagen. "Sie haben nicht verloren, sie haben den 1. Juli gewonnen. Und wir sind für sie von geringstem Interesse", kommentierte Juan Pedro Filomeno, dessen Cousine beim Beben vor einem Jahr umkam.