Argentinien / Politik

Ex-Präsidentin Kirchner zu Korruptionsvorwürfen in Argentinien verhört

Beamte und Privatunternehmer wegen Verdachts auf Schmiergeldzahlungen bei Vergabe öffentlicher Aufträge in Haft. Experten kritisieren Verfahrensmängel

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Die Ex-Präsidentin von Argentinien, Cristina Kirchner, hier im Senat, geht selbstbewusst mit den gegen sie erhobenen Vorwürfen um
Die Ex-Präsidentin von Argentinien, Cristina Kirchner, hier im Senat, geht selbstbewusst mit den gegen sie erhobenen Vorwürfen um

Buenos Aires. Bei ihrer Vernehmung vor einem Bundesgericht in Buenos Aires hat die ehemalige Staatspräsidentin Cristina Fernández de Kirchner keine Aussage zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen gemacht. Stattdessen übergab sie eine schriftliche Stellungnahme, in der sie das Verfahren als nichtig bezeichnet und den mit dem Fall befassten Richter Claudio Bonadío sowie Staatsanwalt Carlos Stornelli als  nicht zuständig ablehnt. Ihre Forderung nach einem Untersuchungsausschuss, der die Vergabe sämtlicher öffentlicher Aufträge zwischen 2003 und 2015 unter die Lupe nehmen soll, sei seitens der Justiz bislang abgelehnt worden. Deren Vorgehen sei in Wahrheit Teil einer regionalen Strategie, um sich fortschrittlicher politischer Kräfte zu entledigen, so die Erklärung. Als Senatorin für die Provinz Buenos Aires genießt Fernández derzeit Immunität. Ein künftiges Amtsenthebungsverfahren ist jedoch keineswegs ausgeschlossen.

Auslöser für die neuen Korruptionsvorwürfe sind Kopien von acht handgeschriebenen Heften, die der Justiz von der Tageszeitung La Nación zugespielt wurden. Der Autor der Hefte, Óscar Centeno, war Fahrer des ehemaligen Staatssekretärs im Planungsministerium der Ära Kirchner, Roberto Baratta. Von 2005 bis 2015 soll Centeno darin seine Dienstfahrten penibel dokumentiert haben. Mehrere Einträge erwähnen Treffen zwischen Baratta und verschiedenen Vertretern der Privatwirtschaft, bei denen jeweils größere Geldsummen übergeben worden seien. Die Aufzeichnungen machen sogar Angaben zur Höhe der jeweils ausgehändigten Summen. Insgesamt seien so in zehn Jahren etwa 160 Millionen Dollar geflossen. Laut Centeno waren die Empfänger der Zahlungen die Staatsoberhäupter Néstor beziehungsweise Cristina Fernández de Kirchner sowie der damalige Planungsminister Julio de Vido.

Mit den lediglich als Kopien vorliegenden Heften als Hauptbeweismittel leitete die Staatsanwaltschaft im Auftrag von Richter Bonadío Untersuchungen wegen des Verdachts auf Gründung einer kriminellen Vereinigung ein. Laut Hypothese der Justiz handelt es sich bei den übergebenen Summen um Bestechungsgelder für öffentliche Aufträge, größtenteils im Bausektor, welche danach in die Finanzierung von Wahlkämpfen geflossen seien. In der Zwischenzeit ist es zu fast 40 Anklagen und zahlreichen Festnahmen von Politikern, Staatsbediensteten und leitenden Angestellten mehrerer Privatunternehmen gekommen. Unter Letzteren befindet sich auch der ehemalige leitende Manager des Bauunternehmens IECSA, welches ursprünglich ein Teil des Firmenkonsortiums der Familie von Staatspräsident Mauricio Macri war. Der aktuelle Inhaber von IECSA, Ángelo Calcaterra, ein Cousin Macris, wurde von der Justiz dagegen auf freiem Fuß belassen.

Angesichts der Tatsache, dass lediglich Kopien der inkriminierenden Hefte vorliegen, betonen Kritiker indes deren geringen Beweiswert. Laut Aussage Centenos habe er selbst die Originale verbrannt. Ein stichhaltiges graphologisches Gutachten und eine forensische Untersuchung zur Entstehungszeit der Hefte sind so nicht mehr möglich. Ebenso wurden bislang keinerlei Konten, Depots oder ähnliches identifiziert, die einen Nachweis über den Fluss der Gelder liefern könnten. Aufgrund der dünnen Beweislage baut die Justiz ihre Anklage daher auf Kronzeugen. Voraussetzung für einen Kronzeugenstatus ist ein Geständnis. Keiner der bislang zur Zusammenarbeit mit der Justiz bereiten Vertreter von Privatunternehmen, unter ihnen auch Ángelo Calcaterra, hat bislang jedoch die Zahlung von Bestechungsgeldern gestanden. Vielmehr seien sie nach eigenen Aussagen "unter Druck gesetzt worden", um Geld für den Wahlkampf bereitzustellen.

Ein weiterer Kritikpunkt an dem Verfahren betrifft die Zuständigkeit des umstrittenen Richters Claudio Bonadío. Obwohl Richter in Argentinien nach einem dem Zufallsprinzip folgenden Auswahlverfahren bestellt werden, leitet Bonadío derzeit fünf der sechs gegen Cristina Fernández laufenden Verfahren wegen Korruption und Amtsmissbrauchs. Im aktuellen Verfahren sicherte er sich die Zuständigkeit, indem er es an eine bereits laufende Untersuchung knüpfte, die Kritikern zufolge jedoch in keinerlei inhaltlichem Bezug dazu steht.

Der renommierte Journalist Horacio Verbitsky stellt indes eine Verbindung zwischen dem aktuellen Fall und dem jüngsten Skandal um falsch deklarierte Wahlkampfspenden an die Partei Cambiemos von Präsident Macri her. In Spenderlisten von Cambiemos waren kürzlich die Namen von Personen aufgetaucht, die nach eigenen Aussagen die Partei gar nicht unterstützen bzw. dazu finanziell nicht in der Lage wären. Verbitsky sieht hier zwei komplementäre Fälle, da es im aktuellen Fall Indizien für die Herkunft illegaler Wahlkampfgelder gibt, im Fall von Cambiemos dagegen klare Hinweise auf deren Tarnung und Weiterverwendung. Obwohl sie auf zwei Seiten ein und desselben Problems verweisen, würde die Justiz im einen Fall Verhaftungen ohne entsprechende Beweisgrundlage vornehmen, während sie im anderen untätig bleibe.