Vortrag von Juristen aus Brasilien sorgt für Kritik an der Uni Heidelberg

Aktivisten kritisieren Einladung von Bundesrichter. Ist Sergio Moro Teil einer Kampagne gegen die ehemalige Regierungspartei PT? Soziologe verteidigt Einladung

Heidelberg. Der Vortrag eines Juristen aus Brasilien sorgt derzeit für Debatten an der Universität Heidelberg. Menschenrechtsaktivisten werfen dem Bundesrichter Sergio Moro vor, Ermittlungen gegen den ehemaligen Präsidenten Luiz Inacio Lula da Silva aus einer politischen Motivation heraus beeinflusst und interne Informationen an Medien weitergegeben zu haben. Während Moro an der Uni Heidelberg einen Vortrag über Korruption in Brasilien hält, läuft daher gegen ihn selbst ein Verfahren. Im Falle einer Verurteilung würde ihm die Arbeitserlaubnis entzogen, zudem drohten ihm bis zu sechs Monate Haft.

Im Verfahren gegen Lula da Silva soll Moro seine Kompetenzen bei den Ermittlungen erheblich überschritten haben. Der Jurist wird beschuldigt, im vergangenen März ohne ausreichende rechtliche Grundlage den Ex-Präsidenten zu einem dreistündigen Verhör abgeführt sowie Hausdurchsuchungen in privaten und Arbeitsräumen der Familie da Silva angeordnet zu haben. Hierbei waren mehr als 200 Polizisten im Einsatz. Die vorübergehende Festnahme und das Verhör da Silvas seien "unverhältnismäßig und missbräuchlich" und damit unrechtmäßig gewesen, da er sich keiner richterlichen Vorladung zur Aussage im Korruptionsfall Fall Lava Jato um den halbstaatlichen Erdölkonzern Petrobras widersetzt hatte, so Lula da Silvas Anwälte. Diesen Vorwürfen haben sich inzwischen auch zahlreiche Persönlichkeiten angeschlossen.

Medien wurden scheinbar vorab über die Festnahme Lula da Silvas informiert. Die Aktion sei offenbar darauf angelegt gewesen, ihn größtmöglich zu diskreditieren, hieß es seitens seiner Verteidigung. Zuvor hatte der Jurist bereits veranlasst, dass Telefonate zwischen Lula da Silva und seiner Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff abgehört werden. Auch diese Abhörprotokolle wurden umgehend regierungskritischen Medien zugespielt.

Die Philosophin und Schriftstellerin Marilena Schaui sieht das Vorgehen Moros im Korruptionsskandal um Petrobras als Teil einer politischen Destabilisierungskampagne gegen Lula da Silva und Rousseff, die der linksgerichteten Arbeiterpartei (PT) angehören. Schaui weist in diesem Zusammenhang auch darauf hin, dass Moro durch das FBI in den USA ausgebildet worden ist.

Der Jurist leitet die im Jahr 2014 begonnenen Ermittlungen zur Aufklärung des Petrobras-Korruptionsskandals. Dieses Verfahren und der ihm folgende Sturz der demokratisch gewählten Präsidentin Rousseff hatten nach Ansicht von Schaui ein vorrangiges Ziel: Das Förderrecht für das Pré-Sal-Erdölfeld im Atlantik soll an US-Konzerne vergeben werden. Die inzwischen abgesetzte Präsidentin habe diesem Vorhaben im Wege gestanden, so Schaui in einem Interview.

Gegenrecherchen zu den von Moro geleiteten Ermittlungen haben inzwischen ergeben, dass nicht nur die PT Schmiergelder von Petrobras erhalten hat, sondern auch Vertreter der PSDB, die am Sturz Rousseffs beteiligt war. Von der PSDB sind die Politiker Aécio Neves, Antonio Anastasia, Fernando Henrique Cardoso, José Serra und Sergio Guerra (2014 verstorben) ausdrücklich genannt. Angeklagt wurden von Moro Aber nur Politiker der PT und anderer Parteien, jedoch keine Politiker der PSDB.

Auf Anfragen von amerika21 verteidigte Prof. Dr. Markus Pohlmann vom Max-Weber-Institut für Soziologie an der Universität Heidelberg die Einladung Moros. Der brasilianische Jurist werde im Rahmen einer wissenschaftlichen Konferenz sprechen, auf der es sich um Korruption und Korruptionsbekämpfung dreht und unter anderem der Petrobras-Fall aus einer wissenschaftlichen Perspektive beleuchtet werde. "Da er als Bundesrichter mit dem Fall betraut war, wollen wir ihn als Experten dazu anhören", so Pohlmann. Dabei stehe vor allem die Kartellbildung der Bauunternehmen im Vordergrund. "Obwohl wir wissen, dass die politische Seite des Vorganges sehr umstritten ist, möchten wir ihn zur Korruptionsbekämpfung in der Wirtschaft hören", sagte der Heidelberger Soziologe. Im übrigen sei der Vortrag öffentlich, geplant sei zudem eine halbstündige Aussprache, in der auch Kritiker das Wort ergreifen und an Sergio Moro richten können – "nach den Regeln der Diskussion", so Pohlmann.

Die Kritiker besänftigt das nicht. "Die verbreitete Korruption im Land muss aufgearbeitet und beendet werden. Dabei hat die Justiz neutral zu sein und nicht den Interessen der politischen Machthaber Vorschub zu leisten", heißt es seitens des Arbeitskreises Solidarität mit brasilianischen Gewerkschaften beim Deutschen Gewerkschaftsbund in Mannheim, dessen Mitglieder die Einladung Moros an die Universität Heidelberg kritisieren. Moro gelte in Brasilien schlichtweg als ein PSDB-naher Bundesrichter, der eine politische Kampagne gegen die PT und gegen Ex-Präsident Lula da Silva anführt.


In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Temer gehöre der Partei PSDB an. Richtig ist, dass er der PMDB angehört. Wir bitten diesen Fehler, der bei der redaktionellen Bearbeitung unterlaufen ist, zu entschuldigen.

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