Venezuela / Politik

Proteste, Streik und erneute Gewalt in Venezuela

Opposition rief diese Woche zu Protest und Arbeitsniederlegung auf. Auch Chavisten mobilisieren. Politische Lager halten dennoch an Dialog fest

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MUD-Aufruf zum Streik für die Durchführung des Abwahlreferendums 2016: "Die Straßen Venezuelas werden aus Protest gegen das Regime leer sein"
MUD-Aufruf zum Streik für die Durchführung des Abwahlreferendums 2016: "Die Straßen Venezuelas werden aus Protest gegen das Regime leer sein"

Caracas. Am Mittwoch und Freitag dieser Woche haben in Venezuela Regierungsgegner in mehreren Städten gegen die regierende sozialistische Partei demonstriert. Bei der Räumung einer Straßenbarrikade wurde ein Polizist getötet. Für den gestrigen Freitag rief das Oppositionsbündnis Tisch der demokratischen Einheit (MUD) zu einem Generalstreik auf. Die Opposition forderte zugleich die umgehende Anberaumung eines Abwahlreferendums gegen Präsident Nicolás Maduro.

Ein solches Referendum kann nach der unter den regierenden Sozialisten reformierten Verfassung nach der Hälfte der Amtszeit durchgeführt werden. Die Opposition hat die dafür notwendige Anzahl gültiger Unterschriften gesammelt, allerdings hat die Wahlbehörde CNE darüber hinaus eine extrem hohe Anzahl gefälschter Unterschriften festgestellt. Die Justiz ermittelt gegen die Organisatoren der Unterschriftensammlung, der CNE hat den Prozess zu einem Referendum vorläufig ausgesetzt. Die Rechte wirft diesen Institutionen vor, den politischen Intentionen der Regierung zu folgen; die "Chavisten" – benannt nach dem ehemaligen Präsidenten (1999-2013) Hugo Chávez bezichtigen ihre Kritiker der Wahlfälschung. In dieser angeheizten Stimmung rief die Opposition nun in kriegerischer Rhetorik zur "Einnahme von Venezuela" auf.

Allein in Caracas sollen nach Angaben des Internetportals Venezuelanalysis am Mittwoch mehrere hunderttausend Menschen dem Protestaufruf der Opposition gefolgt sein. Während die Demonstrationen in der Hauptstadt weitgehend friedlich verliefen, griffen Demonstranten die Polizei im Teilstaat Miranda während der Räumung einer Straßenbarrikade auf einer Schnellstraße mit Schusswaffen an. Dabei wurde ein Beamter getötet, drei weitere verletzt. Aus dem Staat Táchira wurden Angriffe gegen Einrichtungen der Wahlbehörde CNE sowie der staatlichen Universitäten gemeldet; in Aragua wurden Busse des öffentlichen Nahverkehrs zerstört. In der Andenstadt Mérida zündeten Bewaffnete ein Polizeiauto an und eröffneten mit Schusswaffen das Feuer, ein Polizist wurde verletzt. Aus den Staaten Cojedes und Amazonas wurde über Angriffe auf Linksaktivisten mit Steinen und Eisenstangen berichtet.

Indes wurde im Staat Zulia nach Polizeiübergriffen gegen oppositionelle Demonstranten der Polizeichef des Bezirkes San Francisco auf Anweisung von Innen- und Justizminister Néstor Reverol abgesetzt und festgenommen. Reverol kündigte Ermittlungen gegen die gesamte Polizeieinheit an und bedauerte das gewaltsame Vorgehen gegen die Protestierenden, bei dem mehrere Personen verletzt wurden.

Wie Generalstaatsanwältin Luis Ortega Díaz am Freitag informierte, wurden am Mittwoch insgesamt 97 Personen wegen Gewaltakten festgenommen, darunter auch sieben Polizisten, unter anderem fünf Beamte in Aragua, die eine Frau zusammengeschlagen hatten. Gegen den Polizeichef von San Francisco in Zulia und einen Polizisten, der einem Protestteilnehmer mit einer Gummipatrone ins Auge geschossen hatte, sei Haftbefehl wegen versuchten Mordes ergangen. Nach einer ersten Bilanz ihrer Behörde gab es im Verlauf des Proteste einen Toten und 87 Verletzte, darunter 26 Polizisten und Nationalgardisten, so Ortega Díaz.

Auch die chavistische Basis mobilisiert seit Wochenbeginn landesweit zu Kundgebungen und Demonstrationen. So versammelten sich am Mittwoch am zweiten Tag in Folge Tausende in der Umgebung des Präsidentenpalastes Miraflores in Caracas, vor dem Parlament und auf den zentralen Plätzen zahlreicher Städte, um gegen einen "parlamentarischen Putschversuch" der Opposition gegen Maduro zu protestieren. Die Aktivitäten sollen in den kommenden Tagen fortgesetzt werden. Für den 3. November ist eine Großkundgebung vor dem Präsidentenpalast "zur Verteidigung des Bolivarischen Revolution, des Friedens und der Verfassung" vorgesehen. Das Oppositionsbündnis Tisch der demokratischen Einheit (MUD) hat für diesen Tag einen "Marsch auf Miraflores" angekündigt.

Im Vorfeld des als Generalstreik ausgerufenen Protestes der Opposition am Freitag hatte Präsident Maduro angekündigt, die Produktionstätigkeit von Betrieben im Land überprüfen zu lassen. Mit dieser Aufgabe seien 720 sogenannte Produktionskomitees beauftragt worden, regierungsnahe Basisgruppen, die nach eigener Darstellung wirtschaftliche Sabotage durch Produktionsstopps oder Hortung von Waren verhindern sollen. "Wir antworten mit Arbeit und noch mehr Arbeit (der Komitees) auf die Sabotage und Verschwörung", so Maduro. Jedes Unternehmen, das dem Streikaufruf der Opposition folge und seine Produktion am Freitag einstelle, müsse mit der Verstaatlichung rechnen, so Maduro im Vorfeld bei einer Liveschaltung in Radio und Fernsehen.

Indes bezeichnete Kommunikationsminister Ernesto Villegas den Aufruf der Opposition zum Generalstreik am Freitagnachmittag (Ortszeit) als gescheitert. Der öffentliche Personennahverkehr funktioniere normal "und 96 Prozent der öffentlichen Institutionen arbeiten wie gehabt", sagte der Politiker der regierenden PSUV. "Das ist eine weitere Niederlage all jener, die eine Destabilisierung anstreben und dafür zu einem landesweiten Streik aufgerufen haben", so Villegas.

Das Oppositionsbündnis MUD zog erwartungsgemäß eine andere Bilanz. "Trotz der Drohungen und der Verfolgung durch das Regime von Maduro hat das venezolanische Volk das Land an diesem Freitag zum Stillstand gebracht, um Respekt vor der Verfassung zu fordern", heißt es in einer Stellungnahme des Parteienbündnisses. Dem Text sind zum Beleg rund drei Dutzend Fotos leerer Straßen und Plätze angefügt.

Ungeachtet der neuen Proteste der Opposition und der politisch motivierten Gewalt mit Toten und Verletzten halten beide Lager offenbar an einen anvisierten Treffen am Montag auf der Insel Margarita vor der venezolanischen Karibikküste fest. Die Zusammenkunft ist auf Vermittlung der Regionalorganisation Unasur und des Vatikans zustande gekommen.

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