Mercosur: Ohne Venezuela gen Europa?

Rechtsregierte Staaten und Uruguay paktieren gegen Caracas. Unrealistische Anforderungen an Regierung von Präsident Nicolás Maduro. Abkommen mit EU geplant

Montevideo. Das südamerikanische Freihandelsbündnis Mercosur hat beschlossen, ein Handelsabkommen mit der Europäischen Union (EU) anzustreben. "Ausgewogen, ambitioniert und umfassend" solle der neue Vertrag sein, verkündeten die Staatschefs von Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay. Die Südamerikaner scheinen sich einig zu sein: Das Bündnis will seinen Markt dem reichen Norden öffnen und Handelsschranken abbauen. Doch bei dem Treffen am Rande der UN-Generalversammlung in New York fehlte ein Vertreter von Venezuela, dem fünften Mercosur-Mitgliedsstaat. Venezuela hat sich an den Gesprächen mit der EU bisher nicht beteiligt, es sieht zu große Risiken im Freihandel mit dem wirtschaftlich mächtigeren Europa.

Die Verhandlungen mit der EU, die nun neuen Schwung erhalten sollen, laufen bereits seit 17 Jahren. Lange scheiterte eine Einigung am Protektionismus der Europäer. So wollte Frankreich seinen Agrarmarkt nicht für Lebensmittel aus Südamerika öffnen. Rindfleisch, für das die Mercosur-Staaten einen komparativen Handelsvorteil haben, wurde auf Drängen der EU aus den Gesprächen ausgeklammert. Gleichzeitig sollten die Südamerikaner ihre Zölle auf europäische Autos, Maschinen und Kapitalgüter abschaffen. Paraguay hat nun eine Liberalisierung von 89 Prozent aller Mercosur-Zölle angeboten. Dies wäre das erste größere Freihandelsabkommen des Blocks seit vielen Jahren.

Dabei ist das Bündnis intern tief zerstritten: Seit dem Rechtsruck in Argentinien und Brasilien sieht sich das sozialistisch regierte Venezuela zunehmend isoliert. Im Sommer weigerten sich die konservativen Regierungen, Venezuela den rotierenden Vorsitz in der Handelsorganisation zu übergeben. Seitdem führen die vier anderen Mitgliedsstaaten zusammen die Geschäfte. Im August ließ der brasilianische Außenminister verlauten, man wolle Venezuela aus dem Bündnis ausschließen, wenn das Land nicht bis Dezember bestimmte Regularien erfüllt hätte. 300 Gesetze und 40 internationale Abkommen müsste das venezolanische Parlament demnach verabschieden, um Teil des Mercosur zu bleiben.

Während sich die Beziehungen zu Venezuela in Zeiten der linksgerichteten Präsidentinnen von Argentinien, Cristina Fernández de Kirchner und Brasilien, Dilma Roussef, kooperativ gestalteten, hat sich der Kurs des Mercosur merklich geändert. Seit dem knappen Wahlsieg des neoliberalen Mauricio Macri in Argentinien und dem parlamentarischen Putsch des brasilianischen Rechtspolitikers Michel Temer richtet sich das Bündnis immer mehr nach der überwunden geglaubten Doktrin des neoliberalen Freihandels. Neben der Marktöffnung gegenüber der EU ist nun auch eine Annäherung an die neoliberal ausgerichtete Pazifik-Allianz, bestehend aus Chile, Peru, Kolumbien und Mexiko, im Gespräch.

Venezuelas verstorbener Präsident Hugo Chávez hatte 2004 den Beitritt zum Mercosur gesucht. Er sah das Modell der regionalen Integration als Chance, ein Gegengewicht zu den USA zu schaffen: "Hier in Südamerika wird gerade ein Großmacht geboren, und Mercosur ist ihr größter Motor", sagte er bei der Aufnahme seines Landes. Im Gegensatz zum neoliberalen Modell des Freihandels, das auch im Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA, USA, Kanada, Mexiko) betrieben wird, setzte der Mercosur auf ein Zusammenwachsen der südamerikanischen Nationen, bei der auf die Unterschiede zwischen den Volkswirtschaften Rücksicht genommen wurde.

Nun könnte Chávez' Traum ein unrühmliches Ende nehmen. Nach Paraguay, Brasilien und Argentinien stimmte auch die sozialdemokratische Regierung von Uruguay, bislang Venezuelas letzter Verbündeter im Block, dem Vorschlag zu, Caracas den Mercosur-Vorsitz vorzuenthalten.

Zwar sagte die argentinische Außenministerin Susana Malcorra, es gebe "keine Absicht, Venezuela auszuschließen, denn wir haben die Hoffnung, dass das Land seinen Verpflichtungen nachkommt". Dieses Vorgehen habe nichts mit der politischen Situation in Venezuela zu tun, sondern sei rein wirtschaftlich begründet.

Jedoch sind die Anforderungen an die Regierung von Nicolás Maduro nicht nur handelstechnischer Natur. Neben der Vereinheitlichung der Zollbezeichnungen und der endgültigen Streichung der Zölle für Mercosur-Waren soll Venezuela auch das Menschenrechtsprotokoll von Asunción unterzeichnen. Die De-facto-Regierung Brasiliens bezichtigte Maduro, "politische Gefangene" zu halten und die Opposition zu unterdrücken. Darin sehen die Venezolaner ein politisches Manöver: "Eine juristische List, um den Mercosur zu zerstören" sei die Verweigerung der Präsidentschaft, schrieb die Außenministerin Delcy Rodríguez auf Twitter. 300 Gesetze in 72 Tagen zu erlassen dürfte dem politisch gespaltenen Venezuela schwer fallen, die Zukunft des Handelsbündnisses ist ungewiss.

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