Amerikas / Politik

Lateinamerika stellt Obama auf den Prüfstand

Der US-Präsident kommt zum 5. Amerika-Gipfel nach Port of Spain, "um zuzuhören"

Wenn sich vom heutigen Freitag bis Samstag 34 amerikanische Staats- und Regierungschefs in Trinidad und Tobago treffen, folgen sie zunächst einem sperrigen Motto: "Die Zukunft unserer Bürger sichern - Für die Förderung des menschlichen Wohlstands, der Energiesicherheit und der Nachhaltigkeit der Umwelt". Die Realität wird viel spannender und konkreter sein, als der klotzige Titel vermuten lässt. Bei dem fünften Amerika-Gipfel werden die Beziehungen der USA mit den Staaten Lateinamerikas und der Karibik neu definiert werden. Mit einer Region also, die sich in den vergangenen Jahren massiv verändert hat.

Die brisanten Themen dieser ersten Zusammenkunft Barack Obamas mit 33 Amtskollegen vom amerikanischen Kontinent kommen weder im Titel noch in der Abschlusserklärung vor, die in den vergangenen Wochen ausgehandelt wurde: In Port of Spain wird es tatsächlich um die Erwartungen an einen politischen Neuanfang mit den USA gehen, um die weiter eskalierende Weltwirtschaftskrise - und um Kuba.

Spätestens seit der sozialistische Karibikstaat im vergangenen Dezember in die Rio-Gruppe aufgenommen wurde, fordern alle Staaten Lateinamerikas und der Karibik ein Ende der völkerrechtswidrigen Blockade Washingtons. Brasiliens Präsident Luiz Inácio "Lula" da Silva hat das Thema in zwei Beratungen mit Obama angesprochen, seit dieser am 20. Januar die Regierung übernommen hat. Und Venezuelas Staatschef Hugo Chávez stimmte in den beiden Tagen vor dem Amerika-Gipfel mit den Mitgliedern der alternativen Bolivarischen Alternative für Amerika (ALBA) ein gemeinsames Auftreten gegen die US-amerikanische Kuba-Politik ab. Die jüngsten Lockerungen von US-Sanktionsmaßnahmen ändern daran nichts.

Nicht nur die Kuba-Debatte belegt, dass sich der Wind in Lateinamerika gedreht hat. Die Geschichte der Amerika-Gipfel selbst dokumentiert den Wandel. Im Dezember 1994 wurde das erste Treffen dieser Art in Miami im US-Bundesstaat Florida unter der Ägide Washingtons organisiert. Nach dem Ende des Kalten Krieges sollte ein neuer Mechanismus etabliert werden. Die Amerika-Gipfel waren damit von Beginn an ein Hauptinstrument, um unilateral einen US-dominierten Freihandel auf dem Kontinent durchzusetzen. Anfang 1994 bereits hatte die US-Regierung Mexiko und Kanada in die Nordamerikanische Freihandelszone (NAFTA) eingebunden.

Schon die Gründung der Freihandelszone NAFTA war von einem Aufstand in Mexiko begleitet. Die damalige Rebellion der Zapatistischen Armee zur Nationalen Befreiung (EZLN) war nur ein Vorgeschmack auf die bevorstehenden Auseinandersetzungen.

Als der damalige US-Präsident George W. Bush sen. beim dritten Amerika-Gipfel 2001 in Quebec einen festen Zeitrahmen für die Gründung der ALCA-Freihandelszone verkündete - sie sollte 2005 in Kraft treten -, widersprach ihm nur Venezuelas Präsident Chávez. Bei dem folgenden Treffen 2005 im argentinischen Mar del Plata konnte Chávez bereits die »Beerdigung des ALCA« bekannt geben. Das Treffen war von massiven sozialen Protesten begleitet. Auf einem Gegengipfel versammelten sich linksgerichtete Politiker, soziale Aktivisten und Künstler. Nach Mar del Plata war klar, dass die US-Pläne für eine Freihandelszone unter dem neoliberalen Regime Washingtons gescheitert sind.

Nun steht der neue US-Präsident vor dem Scherbenhaufen der Lateinamerika-Politik seiner Vorgänger. Und er sieht sich einer geeinten und selbstbewussten lateinamerikanischen Staatengemeinschaft gegenüber. Sein Sonderberater für den Amerika-Gipfel, Jeffrey Davidow, äußerte sich entsprechend vorsichtig. Obama werde nach Trinidad und Tobago reisen, "um zuzuhören". Er habe keine fertigen Pläne im Gepäck.

Am Samstag wird Obama, wie aus Washington verlautet, mit den Mitgliedern der Südamerikanischen Staatenunion (UNASUR) zusammenkommen. Dieses Bündnis hatte unlängst einen "Südamerikanischen Verteidigungsrat" gegründet. Die Teilnahme Russlands als Beobachter wurde zwar dementiert, ist aber im Gespräch. Die USA, so hieß es aus Brasilien, müssten vor einer Eingliederung in die neue Militärstruktur zunächst ihre Beziehungen zu Kuba normalisieren. Auch das ist ein Indiz für das neue Selbstbewusstsein in Lateinamerika.

Die bedeutenden Absprachen werden am Rande des Gipfels getroffen werden. Auch die Abschlusserklärung wird die wahre Dimension des Wandels nicht widerspiegeln. Ecuadors Präsident Rafael Correa kritisierte das Dokument bereits als "seicht", Kubas Revolutionsführer Fidel Castro beanstandete aus Havanna "unangemessene Konzepte". Der Amerika-Gipfel, so scheint es, hat sich schon vor seinem Beginn überholt.


Den Originaltext aus der Tageszeitung Neues Deutschland finden Sie hier.