Venezuela

Stahlharter Staat

Venezuela nationalisiert nach langem Arbeitskampf Industriekonzern Sidor. Präsident Chávez: Folgen der Privatisierung waren auf Dauer nicht haltbar

Nach einem über 15 Monate währenden Arbeitskampf in Venezuela wird das Unternehmen Sidor, einer der größten Stahlkonzerne Südamerikas und der Karibik, wieder verstaatlicht. Nach einer entsprechenden Entscheidung Mitte vergangener Woche sind die Regierung in Caracas und die Führung des argentinisch-italienischen Konzerns Techint nun in Verhandlungen über die Übernahme der Mehrheit durch den venezolanischen Staat getreten. Seit der Privatisierung 1997 hatte die öffentliche Hand nur noch 20 Prozent der Anteile behalten, die Belegschaft kontrollierte weitere 20 Prozent. Nun will die Regierung privatisierte Anteile zurückkaufen, um künftig wieder 60 Prozent zu halten. Sidor war vor elf Jahren für umgerechnet 1,2 Milliarden US-Dollar gekauft worden.

Der erneuten Verstaatlichung vorausgegangen war ein fast eineinhalb Jahre währender Arbeitskampf. Auslöser des Streits war die zunehmende Auslagerung von Unternehmensteilen nach dem Verkauf. Vor 1997 waren bei Sidor mit Sitz in der Hafenstadt Puerto Ordaz noch gut 13000 Arbeiter regulär beschäftigt. Nach der Privatisierung dann wurde ein Großteil entlassen und über Subunternehmen wieder eingestellt. Mit den neuen Arbeitsverträgen kam die Mehrheit der Beschäftigten aber nicht mehr in den Genuss der üblichen Sozialleistungen. Nach Berichten lokaler Medien waren zuletzt nur noch 5000 Arbeiter fest angestellt, weitere 9000 wurden über Unterfirmen beschäftigt.

Seit Ende 2006 hatten die Arbeiter für eine Festanstellung aller Kollegen gekämpft. Der Fall Sidor wurde in dieser Zeit in Venezuela auch innenpolitisch zum Thema, weil sich das Arbeitsministerium wiederholt auf die Seite des Techint-Konzerns gestellt hat. Mehrfach war bei Aktionen der Belegschaft auch die Nationalgarde gegen protestierende Arbeiter eingesetzt worden.

In der vergangenen Woche dann sprach Präsident Hugo Chávez ein Machtwort. »Ich habe den Minister für Basisindustrie und Bergbau in die Region geschickt, um den Übergang auszuhandeln«, sagte der Staatschef während einer Veranstaltung in Caracas: »Sidor wird wieder Eigentum der venezolanischen Nation.« Mit der Entscheidung setzt Chávez die Politik der Renationalisierung in strategisch wichtigen Wirtschaftsbereichen fort. Vor wenigen Tagen erst war die Zementindustrie vom Staat übernommen worden. Im vergangenen Jahr hatte die Regierung die Telefongesellschaft CANTV zurückgekauft und die mehrheitliche Staatskontrolle über Erdölressourcen im Orinoco-Becken per Gesetz festgelegt.

Im aktuellen Fall begründete Chávez seine Entscheidung mit der starren Politik der argentinischen Techint-Gruppe. Diese sei auf wiederholte Mahnungen aus Caracas nicht eingegangen. Zudem seien dem privaten Stahlkonzern in den 1997 geschlossenen Abkommen staatliche Subventionen über verbilligte Stromlieferungen zugesichert worden. Der so produzierte günstigere Stahl sei dann exportiert worden, Venezuela habe zugleich jedoch deutlich teurere Endprodukte wieder importieren müssen. Dieser Zustand sei auf Dauer nicht haltbar gewesen.

Die Betriebsgewerkschaft Sutiss begrüßte die Rückverstaatlichung Ende vergangener Woche als »Beginn der Entwicklung hin zum Sozialismus«. Gewerkschaftschef José Melendez ergänzte: »Wir alle im Unternehmen fühlen uns nun verpflichtet, mit mehr Eifer und Einsatz als sozialistische Arbeiter für das Wohl der Nation beizutragen«.


Den Originaltext der Tageszeitung junge Welt finden Sie hier.