Amerikas / Deutschland

Beziehungen zu Lateinamerika stärken

Bundestagsdebatte vom 9. Mai 2008 - wenige Tage vor dem EU-Lateinamerikagipfel in Lima

Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Vor vielen Jahren war Lateinamerika in unseren Köpfen der Kontinent der Militärdiktaturen, der schweren Menschenrechtsverletzungen und der sozialen Ungleichheit. Viele, auch hier in Europa, haben lange Zeit für einen friedlichen Übergang zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit gekämpft, darunter auch Stiftungen, Menschenrechtsorganisationen und vor allen Dingen die Kirchen. Wer sich heute, mit mehr als 30 Jahren Abstand zu den frühen 70er-Jahren, über die Entwicklung dieser Region informiert, der wird sagen müssen: Viele Länder Südamerikas sind auf ihrem Weg sehr weit vorangekommen. In vielen dieser Länder - davon habe ich mich überzeugen können - werden die Verbrechen, die unter Militärdiktaturen begangen wurden, inzwischen aufgearbeitet, in einigen Ländern auch gesühnt. Wir können feststellen, dass die aus demokratischen Wahlen hervorgegangenen Wahlergebnisse auf den Straßen überwiegend nicht mehr infrage gestellt und dass auch nicht mehr geputscht wird. Südamerika ist ein Kontinent im Aufbruch.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich habe mich ganz neu auf Südamerika konzentriert. Demnächst steht meine dritte Reise in diese Region an. Viele dieser Länder haben nicht nur ihre demokratischen Strukturen deutlich gestärkt, sondern können auch beeindruckende Wachstumsraten von überwiegend mehr als 6 Prozent und eine Beschleunigung ihrer industriellen Entwicklung vorweisen. All das verändert das Gesicht dieses Kontinents weitaus mehr, als es hierzulande oft wahrgenommen wird. Wer weiß zum Beispiel, dass einer der Marktführer beim Bau mittelgroßer Flugzeuge aus Brasilien kommt? Wer weiß, dass einer der weltweit größten Beton- und Zementhersteller aus Mexiko kommt?

Mit Blick auf solche Entwicklungen ist klar: Wo neue Märkte und neue Nachfrage entstehen, da erwächst auch ein Exportmarkt, der für uns relevant ist. Insofern haben wir allen Anlass, die wirtschaftliche Entwicklung, die in Mittel- und Südamerika im Augenblick im Gange ist, zu unterstützen und die globale Partnerschaft, um die wir uns bemühen, auszubauen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das wird auch die Botschaft sein, die von der Europäischen Union auf dem gemeinsamen Gipfel mit den lateinamerikanischen Staaten in wenigen Tagen in Lima ausgehen wird.

Es gibt aber durchaus auch gegenläufige Prozesse; das konnten wir durch die Medien wahrnehmen. Die Hungerproteste in Mexiko, Honduras und vor allen Dingen Haiti sind ein deutlicher Weckruf, der uns nicht vergessen lassen sollte, dass es neben den vielen Gewinnern der Globalisierung auch Verlierer gibt und dass manche Kosten der Globalisierung für die betroffenen Bevölkerungsgruppen dort in der Tat größer sind, als es unsere euphorische Zeichnung gelegentlich vermittelt.

Diese Krisensignale zeigen auch: Es wäre sicherlich nicht ausreichend, auf die Selbstheilungskräfte des Marktes zu setzen.

(Beifall bei der SPD)

Politik ist gefordert, zumal internationale Politik, daneben natürlich eine faire Welthandelsordnung, aber auch nationale Politik. Mit Blick darauf können wir feststellen, dass in Ländern wie Mexiko und Brasilien jedenfalls das Bemühen besteht, die Kluft zwischen Arm und Reich auch aufgrund nationaler Maßnahmen zu verringern. In bescheidenem Maße trifft das nach meiner Kenntnis inzwischen auch für Panama zu.

Meine Damen und Herren, als Deutsche und als Europäer müssen wir dafür werben, dass die von mir angesprochenen Anstrengungen überall in Lateinamerika und auch in der Karibik ganz vorn auf der Agenda Platz finden. Nicht nur wir wollen verdeutlichen, sondern auch diese Staaten in Südamerika haben allen Anlass, zu zeigen, dass der Weg einer nationalen Politik zur Verringerung der Kluft zwischen Arm und Reich allemal richtiger und besser ist als die Rezepte von Hugo Chávez und anderen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wegen der Herausforderungen, die vor uns liegen, brauchen wir aus eigenem Interesse ein stabiles, ein langfristig denkendes Lateinamerika. Der Ressourcenreichtum und die Biodiversität Lateinamerikas spielen auch für uns eine zentrale Rolle; dies wird bei der internationalen Konferenz in Deutschland in der nächsten Woche sicherlich vielfach hervorgehoben werden. Zugleich ist diese Region, etwa mit Blick auf Brasilien und das Regenwaldgebiet, eine der verwundbarsten Regionen der Welt. Ich war deshalb froh, feststellen zu können, dass beides erfolgt: Einerseits wächst die Sensibilität für diese Fragen, andererseits stößt unsere Bereitschaft, unser Angebot zur Zusammenarbeit in diesen Fragen in den südamerikanischen Ländern auf Interesse und Unterstützung.

Nehmen Sie das Beispiel Peru. Dort hängt die gesamte Wasserversorgung im Grunde genommen an einem Gletschergebiet, von dem wir wegen der zugrunde zu legenden Annahmen zu den klimatischen Veränderungen wissen, dass es in 20 Jahren überwiegend nicht mehr vorhanden sein wird, während gleichzeitig aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung der Wasserbedarf in der gesamten Region extrem steigt.

Das zeigt: Nicht nur wir sind daran interessiert, unsere den Umweltbereich betreffenden Technologien zu exportieren; es gibt auch in dieser Region ein extrem hohes Interesse, daran zu partizipieren. Wir sollten zum Teilen von Know-how bereit sein und Unterstützung für entsprechende Kooperationen anbieten.

Man kann in diesen Wochen nicht auf Südamerika, auf Lateinamerika schauen, ohne den Blick auch auf Kuba zu richten; das wäre nicht richtig, auf jeden Fall wäre es nicht vollständig. Ich will hier wie an anderer Stelle sagen: Kuba ist auch mit seinem neuen Präsidenten Raúl Castro nicht über Nacht zu einer Demokratie geworden. Wer so etwas behauptet, liegt sicherlich falsch. Wir sollten die kleinen und vorsichtigen Schritte in Richtung auf eine Öffnung - nach der sich die Menschen auf Kuba so sehr sehnen - aber auch nicht kleinreden. Der vorsichtige Wandel auf Kuba bietet Chancen. Wir sollten diese Chancen im Sinne der Menschen, die sich nach Öffnung sehnen, nutzen. Was meine Person angeht, so will ich sagen: Wir diskutieren auf der europäischen Ebene zurzeit mit den Kollegen, welche Handlungsspielräume gegenwärtig bestehen und genutzt werden können. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Alles in allem haben wir eine Situation, in der sich eine Erneuerung der Partnerschaft mit den lateinamerikanischen Staaten lohnt: erstens wegen der Eigenentwicklung in Südamerika selbst, zweitens wegen der gemeinsamen Herausforderungen, denen wir nur mithilfe der südamerikanischen Staaten begegnen können, und drittens, weil wir als Europäische Union eine Form regionaler Kooperation entwickelt haben, an der in Südamerika Interesse besteht, seitens der Andengemeinschaft und seitens des Mercosur. Wir sind in den entsprechenden Vertragsverhandlungen leider noch nicht weit genug gekommen; aber wir bestärken die Kommission darin, diesen Weg weiterzugehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich plädiere für eine Partnerschaft mit Südamerika auf Augenhöhe. Machen wir etwas daraus!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion. (Beifall bei der FDP)

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich, dass sich der Außenminister für Lateinamerika interessiert und sich engagieren will. Wir werden ihn an dieser Ankündigung messen. Sein Amtsvorgänger hat sich sieben Jahre lang nicht die Bohne für Lateinamerika interessiert.

(Beifall bei der FDP - Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Aber Steinmeier war schon mehrfach da!)

Lateinamerika ist für uns ein natürlicher Partner. Wer kommt einem als Erste in den Sinn, wenn es darum geht, die Gemeinschaft der aufgeklärten, rechtsstaatlichen Demokratien des Westens zu organisieren? Natürlich die meisten Länder Lateinamerikas. Das ist sicherlich noch ein weiter Weg, und wir müssen beharrlich dranbleiben. Deswegen liegt der Gedanke einer strategischen Partnerschaft nahe.

Der SPD-Vorsitzende hat diese Woche die Forderung erhoben, die EU solle auf Lateinamerika zugehen und mit Lateinamerika eine strategische Partnerschaft begründen. Genau das ist 1999 geschehen; seither haben wir eine strategische Partnerschaft EU-Lateinamerika. Darüber hinaus ist jedoch nichts geschehen; die Defizite sind da.

(Beifall des Abg. Harald Leibrecht (FDP))

Wir sind in Lateinamerika verdammt schwach vertreten. In diese Lücke stoßen andere vor: die Vereinigten Staaten sowieso - sie haben es allerdings seit dem 11. September 2001 schwer -; aber auch China und Russland haben Lateinamerika mittlerweile entdeckt.

Im Hinblick auf Wirtschaft und Demokratie gibt es positive Entwicklungen - Sie haben sie zu Recht beschrieben -, die wir nicht unterschätzen dürfen. Es gibt aber auch Rückschläge, zum Beispiel die rückwärtsgewandten neuen Autokraten. Diese Caudillos geben uns, auch wenn sie demokratisch gewählt sind, großen Anlass zur Sorge. Noch mehr Sorgen macht mir allerdings, dass sich trotz der Öl- und Gasmilliarden, die verschiedene lateinamerikanische Länder Jahr für Jahr einnehmen, an der sozialen Schieflage nichts geändert hat, dass sie sogar zugenommen hat. Offensichtlich fühlen sich große Teile der Eliten nicht dafür verantwortlich, eine nachhaltige Entwicklung in Gang zu setzen, die Ölmilliarden zu nutzen, um endlich in Bildung, Forschung und Technologie, in Zukunftssicherung zu investieren. Ich sehe auch mit Sorge, dass Lateinamerika - übrigens der Halbkontinent, der als Erster, schon vor über 40 Jahren, zur kernwaffenfreien Zone erklärt worden ist - sehr wohl über ein Massenvernichtungsmittel verfügt, nämlich über Kokain. Wir haben keine Rezepte, damit klarzukommen. Es gibt also viel zu tun.

Ich glaube, die Europäer müssen sich überlegen, ob sie weiterhin eher als Entwicklungshilfegeber auftreten wollen oder ob eine strategische Partnerschaft nicht mehr erfordert. Ich meine das gemeinsame Diskutieren und Vereinbaren von Zielen auf der Grundlage abgestimmter Interessen und das gemeinsame Entwickeln von Strategien, um diese Ziele tatsächlich zu erreichen. Das ist das, was Sie zum Schluss angesprochen haben: Partnerschaft auf Augenhöhe. Davon spüre ich gegenwärtig noch recht wenig. Es kann nicht sein, dass in gewissen zeitlichen Abständen große Gipfel stattfinden, während Lateinamerika bei uns ansonsten im Ressort Entwicklungszusammenarbeit angesiedelt ist. Das ist zu wenig.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE))

Es gibt große globale Themen, bei denen wir unsere Freunde in Lateinamerika mit in die Pflicht nehmen wollen. Die Abrüstung habe ich eben genannt. Es gibt noch andere, zum Beispiel im Bereich der Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Wir sollten nicht nur mit Brasilien, einem BRIC-Land, sondern auch mit anderen Ländern darüber reden, wie wir große Weltprobleme in den Griff bekommen können.

Meine Damen und Herren, ich denke, wir werden auch über etwas sprechen müssen, was uns und übrigens auch Investoren - aber bei Weitem nicht nur - besonders besorgt, die Frage der Rechtsstaatlichkeit in Lateinamerika. Das steht wiederum in einem Zusammenhang mit unserer Entwicklungszusammenarbeit. Ich habe sehr große Sorgen in Bezug auf Budgethilfen für Staaten, bei denen von Rechtssicherheit und Transparenz des Regierungshandelns nicht gesprochen werden kann. Es gibt gegenwärtig das recht krasse Beispiel Nicaragua. Ich finde, die Bundesregierung sollte da konsequent bleiben. Durch das Moratorium hinsichtlich der Budgethilfe sind wir in einer guten Ausgangsposition. Der Bericht des Bundesrechnungshofs für Nicaragua ist vernichtend. Folglich muss man sich selber treu bleiben.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Christian Ruck (CDU/CSU))

Ich bitte darum, dass wir auch mit unseren Elitepartnern in Lateinamerika offener und klarer sprechen. Es reicht nicht aus, dass es sich mittlerweile erfreulich viele Menschen in Lateinamerika leisten können, ihre Kinder auf gute Privatschulen und anschließend zum Beispiel nach Miami oder auf gute amerikanische Ivy League Schools und Universitäten zu schicken. Wir müssen erreichen, dass das in Lateinamerika selbst für alle möglich wird. Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Ich denke, hier müssen wir auch gegenüber unseren Freunden deutliche Erwartungen artikulieren.

Schließlich noch etwas zum Thema wirtschaftliche Zusammenarbeit; das wird beim Gipfel sicherlich wieder eine große Rolle spielen. Gerade wir als Liberale haben eine Idealvorstellung davon, wie man den Welthandel organisieren kann. Deswegen wünschen wir uns so sehr einen Fortschritt bei den WTO-Verhandlungen. Wir werden aber immer wieder hingehalten; es passiert nichts.

Als gute Europäer sagen wir: Wir sind von unserem regionalen Integrationsmodell so überzeugt und begeistert, dass die anderen das jetzt auch so machen müssen. - Wir predigen dies gegenüber Mercosur, der Andengemeinschaft und anderen regionalen Zusammenschlüssen, übrigens nicht erst seit heute. Wir kommen aber nicht voran, weil die Bereitschaft wichtiger kongenialer Partner in Lateinamerika nicht vorhanden ist, die Form von Souveränitätsverzicht zugunsten einer regionalen Wirtschaftsintegration zu leisten, die wir uns vorstellen. Deswegen werden wir uns als drittbeste Lösung ernsthaft damit befassen müssen, ob man nicht zumindest mit einigen der Schlüsselländer bilaterale Handelsvereinbarungen treffen kann, weil wir ansonsten in Lateinamerika an Boden verlieren. Nicht nur die Vereinigten Staaten wollen an eine früher erfolgreiche Strategie zur Entwicklung von Freihandelszonen mit Lateinamerika anknüpfen; auch China ist auf diesem Gebiet außerordentlich aktiv. Selbst Russland ist auf dem Markt zu sehen. Die Europäer verstecken sich immer hinter ihren Idealvorstellungen von regionaler Wirtschaftsintegration im Sinne von Mercosur nach EU-Modell, die ich nachhaltig teile. Ich glaube aber, dass das auf lange Zeit nicht funktionieren wird. Deswegen sollten wir uns auch in der Handelspolitik flexibler zeigen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege Eckart von Klaeden das Wort.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Wir befinden uns in Zeiten großer politischer und wirtschaftlicher Umwälzungen. Die Haupttriebfeder für diese Umwälzungen ist die Globalisierung. Gerade in den letzten Jahren ist deutlich geworden, dass die Welt von morgen weniger euroatlantisch geprägt sein wird als heute. Die Konsequenz daraus ist: Wenn wir wollen, dass sich auch die zukünftige Weltordnung an den Prinzipien Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, soziale Gerechtigkeit und Achtung der Menschenrechte orientiert - wenn wir also wollen, dass wir nach unseren Prinzipien auch in einer Weltordnung leben können, die nicht mehr so stark euroatlantisch geprägt sein wird -, dann müssen wir uns stärker nach verlässlichen Partnern umsehen als bisher. Dafür bietet sich Lateinamerika wegen seiner Geschichte, seiner Werte und seines Selbstverständnisses als Teil der westlichen Welt und der Gemeinschaft der Demokratien besonders an. Es gibt keine andere Entwicklungsregion, mit der wir, was unsere Prinzipien und Werte angeht, eine so große Übereinstimmung haben wie mit Lateinamerika.

Lateinamerika bringt mit seinen 36 Staaten in der internationalen Ordnung ein großes Gewicht auf die Waagschale. Da wir in diesen Tagen auch über 60 Jahre Israel diskutieren, weise ich darauf hin, dass ohne die Stimmen der lateinamerikanischen Staaten der Staat Israel mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Vereinten Nationen nicht anerkannt worden wäre.

Wir müssen unsere Partnerschaft mit Lateinamerika pflegen und ausbauen, und zwar vor allem vor dem Hintergrund - das hat der Kollege Hoyer schon angesprochen -, dass Deutschland und Europa dort zunehmend an Bedeutung zu verlieren scheinen, da mit China und anderen aufstrebenden asiatischen Staaten neue Partner bereitstehen, die zumindest aus wirtschaftlicher Sicht nicht weniger attraktiv sind als Europa. Der seit Jahren propagierten strategischen Partnerschaft müssen daher endlich konkrete und substanzielle politische Initiativen folgen.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Wer sitzt denn in der Regierung?)

Lateinamerika hat in den vergangenen Jahren eine tiefgreifende politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderung erfahren. Unser Lateinamerikabild ist noch zu sehr von den 70er- und 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts geprägt. Aber während in den 70er-Jahren noch autoritäre Regimes die politische Landschaft Lateinamerikas dominiert haben, werden mittlerweile fast alle Staaten außer Kuba von demokratisch gewählten Regierungen geführt.

Herr Minister, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass wir die kleinen Schritte, die Raúl Castro in Kuba unternimmt, nicht kleinreden sollten; denn dann wären sie ja nicht mehr zu erkennen. Es müssen daher noch wesentlich mehr Schritte hinzukommen, zum Beispiel die Freilassung politischer Gefangener. Gerade ist der weltberühmten Bloggerin Yoani Sánchez die Ausreise nach Spanien verweigert worden, die dort den renommierten Ortega-y-Gasset-Preis der Zeitung El País entgegennehmen sollte. Sie ist mit ihren Bloggerforen eine Hoffnung für die bürgerliche Gesellschaft, die Zivilgesellschaft und die demokratische Opposition in Kuba. Ich finde, wir alle sollten das Anliegen unterstützen, dass sie ausreisen darf und auf diese Weise ein Zeichen für das demokratische Kuba in Spanien setzen kann.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Heute wurde über die Agenturen verbreitet, dass Morales in Bolivien ein Referendum zu seiner Amtsenthebung akzeptiert. Auch Herrn Chávez sind bei seinem Referendum wegen seines autoritären und populistischen Kurses und wegen seiner offenen Sympathie für Terrorgruppen wie der FARC auch von der eigenen Bevölkerung deutliche Grenzen gesetzt worden.

(Dr. Karl Addicks (FDP): Die Linken sympathisieren auch mit der FARC!) - Ich weiß, dass sie mit ihnen sympathisieren und dass ihnen der Ausgang des Referendums nicht gefällt. Deswegen halte ich es für sinnvoll, das zu erwähnen.

Das Fehlen etablierter und stabiler Parteiensysteme und das zunehmende Wohlstandsgefälle sind gerade für die jungen Demokratien in Lateinamerika eine besondere Gefahr. Deswegen ist es unsere Aufgabe - wir haben die Möglichkeit -, diese Transformationsprozesse weiter zu unterstützen; gleichzeitig ist aber auch zur Kenntnis zu nehmen, dass diese Prozesse schon erhebliche Erfolge zeigen. Ich habe das schon im Hinblick auf die demokratische Entwicklung festgestellt, aber es gilt auch für die wirtschaftliche Entwicklung.

Das neue Lateinamerika, dem wir uns zuwenden müssen, erzielt zum Beispiel seit Jahren deutlich höhere Wachstumsraten als wir. Unternehmen dieses neuen Lateinamerikas - die sogenannten Multilatinas - sind heute auf dem Weltmarkt zu einer Herausforderung als Konkurrenten und zu Partnern im Hochtechnologiebereich geworden. Ich erinnere zum Beispiel an den brasilianischen Flugzeugbauer Embraer. Lateinamerikas Reichtum an Bodenschätzen und Energieressourcen sowie sein landwirtschaftliches Potenzial haben die Region zu einem begehrten Partner in der Weltwirtschaft werden lassen. Gerade wenn wir uns die Struktur der chinesischen Wirtschaft anschauen, stellen wir fest, dass die lateinamerikanische und die chinesische Wirtschaft außerordentlich komplementär sind. China braucht wegen seines gigantischen Wirtschaftswachstums große Rohstoffmengen, und Lateinamerika ist langfristig in der Lage, sie zu liefern. Im Gegenzug kann China nahezu alle Güter produzieren, die in Lateinamerika nachgefragt werden.

Obwohl unsere Volkswirtschaften ähnlich komplementär sind, müssen wir feststellen, dass insbesondere die Agrarpolitik als ein Hindernis für eine vertiefte Kooperation zwischen der Europäischen Union und Lateinamerika erscheint.

(Dr. Werner Hoyer (FDP): Sehr wahr!)

Ich glaube, dass die aktuelle Entwicklung auf den Nahrungsmittelmärkten die Möglichkeit bietet, dieses Hindernis nach und nach zu beseitigen. Gerade das Beispiel China zeigt, dass Lateinamerika nicht auf uns wartet. In Zukunft werden wir auf Lateinamerika mehr angewiesen sein als Lateinamerika auf uns.

Diese Herausforderung anzunehmen, erfordert Handeln auf drei Ebenen: erstens in Deutschland selbst, zweitens in unseren bilateralen Beziehungen zu den lateinamerikanischen Staaten und drittens in der Europäischen Union bei ihren multilateralen Bemühungen. Wir müssen also eine aktive und vor allem eine kontinuierliche Lateinamerikapolitik betreiben, die die Region wieder stärker in den Mittelpunkt unseres Interesses rückt. Entwicklungspolitik sollte sich stärker an der Stabilisierung der fragilen demokratischen Systeme und an der Überwindung defizitärer Verwaltungsstrukturen orientieren sowie für eine Verbesserung der sozioökonomischen und politischen Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen sorgen, damit die demokratischen Strukturen gestärkt werden können.

Auf die vielfältigen Möglichkeiten der Kooperation mit Lateinamerika auf internationaler Ebene - sei es bei der Reform der Vereinten Nationen, sei es bei der Kooperation im Klimaschutz - kann ich leider nicht mehr zu sprechen kommen. Die Stichpunkte sind Ihnen aber sicherlich bekannt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollegin Heike Hänsel, Fraktion Die Linke. (Beifall bei der LINKEN)

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Herr Hoyer, Lateinamerika ist mehr als eine Marktlücke. Lateinamerika ist ein Kontinent mit Millionen von Menschen, die auf ein besseres Leben hoffen. Auch darum müsste es auf dem Gipfel in Lima in der nächsten Woche gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die politischen Rahmenbedingungen und die neuen Entwicklungen, vor deren Hintergrund dieser Gipfel stattfindet, sind entscheidend. Wir erleben, dass soziale Bewegungen in Lateinamerika es geschafft haben, den Widerstand gegen die neoliberale Globalisierung auszubauen und ihre Folgen teilweise einzudämmen.

(Widerspruch bei der FDP)

Das sind Hoffnungsträger, die wir unterstützen müssen. Diese sozialen Bewegungen haben dazu beigetragen, dass neue Regierungen in Lateinamerika an die Macht gekommen sind. Diese versuchen teilweise, neue Ansätze im Rahmen ihrer Regierungsprogramme umzusetzen, manchmal gut, manchmal schlechter.

(Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Meistens schlechter!)

Die Regierungen werden von den Bewegungen kritisch begleitet. Es gibt Aufbrüche. Sie sind ein Zeichen der Hoffnung, weil sie gegen die bisherige neoliberale Globalisierung stehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Bewegungen sind breit gefächert. Es gibt Millionen Landlose und indigene Bevölkerungen, die aufstehen, sich um den Regenwaldschutz bemühen und ein Recht auf Land einfordern. Es gibt Frauenorganisationen und Kleinbauern, die sich auf den Weg machen. All das ist Lateinamerika. Diese Menschen brauchen unsere Solidarität.

(Beifall bei der LINKEN - Hans-Joachim Otto (Frankfurt) (FDP): Wie stehen Sie zur FARC? Nehmen Sie dazu einmal Stellung!)

Für mich sind Länder wie Venezuela, Bolivien, Ecuador, Paraguay, Brasilien, Argentinien und Guatemala Hoffnungsträger. Wir müssen sie unterstützen. Wir dürfen nicht von oben herab sagen, welche Politik sie betreiben sollen. Die entscheidende Frage ist: Wie reagiert die Europäische Union auf die aktuellen Entwicklungen in Lateinamerika? Was hat sie eigentlich anzubieten? Unterstützt sie diese Prozesse und versucht sie, diese zu befördern, oder boykottiert sie eher alternative Ansätze wie die Süd-Süd-Kooperation, die regionale Integration und die Entwicklung einer Bank des Südens als Alternative zu IWF und Weltbank?

Wir sehen ganz klar, dass die Europäische Union mit ihren Wirtschafts- und Freihandelsabkommen, die sie plant, diese Ausrichtung boykottieren will. Wir erleben, dass eine politische Strategie ausgearbeitet wird - das ist in der Lissabon-Strategie festgehalten -, Europa zur größten Wirtschaftsmacht und zum größten Wirtschaftsraum der Erde zu entwickeln. Der Anspruch eines globalen Europas wird doch formuliert. Es gibt aber auch dazu eine Gegenbewegung in der Europäischen Union. Auch hier stehen viele Menschen zum Beispiel gegen den EU-Vertrag und diese neoliberale Politik auf.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Menschen in Lateinamerika und hier in der Europäischen Union müssen sich vernetzen und gemeinsam gegen diese Politik arbeiten. Sie werden sich - das ist interessant - nächste Woche auf einem alternativen Gipfel in Lima treffen und genau diese Forderungen formulieren. Sie haben bisher dazu nicht einmal die Möglichkeit. Die peruanische Regierung verhindert, dass sie sich legal treffen können. Ich fordere hier die Bundeskanzlerin, die sich weltweit für Menschenrechte einsetzt, auf, sich auch dafür einzusetzen, dass sich die Menschen dort treffen können und auf dem Alternativgipfel in Lima friedlich demonstrieren können.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt so viele hoffnungsvolle Prozesse in Lateinamerika. Es finden Verfassungsprozesse in Ecuador und in Bolivien statt. Herr Steinmeier, es ist eine Katastrophe, dass es keine massive Unterstützung für den Verfassungsprozess und den gewählten Präsidenten von Bolivien, Evo Morales, gibt. Er braucht unsere Unterstützung.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Karl Addicks (FDP): Um Gottes willen!)

Von den dortigen Eliten wird eine Sabotagepolitik betrieben. Ich würde von Ihnen gerne einmal eine Stellungnahme zu den Abspaltungstendenzen der Ostprovinzen in Bolivien hören. Dazu muss es doch eine Haltung der Bundesregierung geben. Hier werden zukunftsvolle Prozesse massiv boykottiert. Wir fordern eine offensive Unterstützung der bolivianischen Politik.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt viele andere hoffnungsvolle Ansätze, die wir im Rahmen der Entwicklungspolitik besprochen haben. Ich nenne als Beispiel Ecuador. Ecuador will Kompensationszahlungen dafür, dass es kein Erdöl im Nationalpark Yasuní fördert. Wir müssen Ecuador dabei unterstützen. Das ist richtige Klimaschutzpolitik, im Gegensatz zu den neuen Abkommen mit Brasilien, durch die der Anbau von Agrarprodukten für Treibstoffe noch weiter ausgebaut wird. Solche Prozesse wie in Ecuador müssen wir massiv unterstützen. Diese kommen hier viel zu wenig zur Sprache, ebenso wie das, was die Menschen an der Basis entwickeln.

(Dr. Karl Addicks (FDP): Unterstützen Sie mal die Freilassung von Frau Betancourt! Das wäre eine Unterstützung! - Gegenruf des Abg. Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Dazu sage ich Ihnen etwas!)

Schauen Sie sich Kolumbien an. Es gibt Friedensgemeinden in Kolumbien, in denen sich Menschen mit großem Mut zusammengeschlossen haben, um inmitten von Regionen des Krieges humanitäre, gewaltfreie Zonen zu entwickeln. Sie werden massiv von Paramilitärs, von der Armee und auch von der Guerilla angegriffen. Diese Friedensgemeinden brauchen Unterstützung, weil sie Hoffnungsträger für eine friedliche Entwicklung Kolumbiens sind,

(Beifall bei der LINKEN)

aber nicht Präsident Uribe und seine Regierung, die immer tiefer im paramilitärischen Sumpf versinkt.

(Beifall des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Mittlerweile gibt es sogar Untersuchungen gegen den Präsidenten Uribe. Herr Steinmeier, Sie müssen sich wirklich fragen lassen, wer Ihr Kooperationspartner für mehr Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte in Lateinamerika ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir wollen eine Neuausrichtung der Kolumbienpolitik. Wir glauben, dass wir auf die zivilen friedenspolitischen Initiativen von unten setzen müssen und diese Menschen unterstützen müssen.

Ich habe ein ganz konkretes Anliegen: In meinem Wahlkreis in Tübingen wurden Patenschaften für diese Friedensgemeinden übernommen. Bürgerinnen und Bürger aus Tübingen haben mir gestern Abend eine Liste mit Unterschriften mitgegeben, weil sie wissen, dass ich nach Lateinamerika fahre. Sie fordern, dass die Bundesregierung offiziell die Friedensgemeinden in Kolumbien unterstützen soll.

(Dr. Karl Addicks (FDP): Die Freilassung von Frau Betancourt!)

Diese Unterschriftenliste würde ich gerne der Kanzlerin mitgeben. Wir brauchen eine neue Politik gegenüber Kolumbien.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Jürgen Trittin, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich glaube, dass der Außenminister an einem Punkt sehr recht hatte, nämlich in dem, dass Lateinamerika in einer sehr positiven Entwicklung ist. Für mich ist das am deutlichsten geworden, als Frau Bachelet in Chile zur Präsidentin gewählt wurde. Sie ist eine Person, die in den 70er-Jahren noch vor dem Putsch in Deutschland Asyl beantragen musste und es bekommen hat.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): In der DDR!) - In der DDR, das zu erwähnen, ist an der Stelle wichtig. - Was lehrt uns das? Das lehrt uns, dass wir in der Lateinamerikapolitik in Sachen Menschenrechte und Demokratie fest stehen müssen, aber dass wir uns vor einseitiger Parteinahme gegenüber Regimes hüten sollten, die uns scheinbar nahestehen.

Das gilt etwa mit Blick auf Herrn Uribe, der nun wahrlich kein großer Bündnispartner im Bereich der Menschenrechte ist.

(Zuruf: Nennen Sie lieber Chávez!)

Im Kampf gegen den Terrorismus möchte ich den, ehrlich gesagt, nicht an meiner Seite haben. Wir müssen uns natürlich nicht nur - Herr Hoyer hat darauf hingewiesen - mit dem Drogenanbau beschäftigen, sondern auch mit der Form von Drogenbekämpfungspolitik, die weite Teile der dortigen Ökosysteme zerstört.

Nehmen wir ein anderes Beispiel: Da mit Evo Morales zum ersten Mal ein Vertreter der Linken und der indigenen Völker gewählt worden ist, versuchen nun bestimmte Teile der bolivianischen Bevölkerung, ein Referendum durchzuführen, das im Kern auf die Spaltung des Landes zielt.

(Zuruf von der LINKEN: Genau!)

Es verfolgt ein bisschen das Motto: Wir wollen unsere Steuern behalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Was würden Sie sagen, wenn in Hamburg eine Volksabstimmung darüber erfolgen würde, dass alle Steuern in Hamburg bleiben? Dann würden die Umländer, auch die Niedersachsen, lieber Kollege von Klaeden, das nicht akzeptieren.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Dann müssten die Grünen zustimmen! - Dr. Werner Hoyer (FDP): Wie wollen die Grünen das in Hamburg überhaupt hinkriegen?)

Die Ablehnung solcher Praktiken darf allerdings umgekehrt - und das sage ich ganz deutlich - auch nicht zum Abfeiern von anderen Regimes und anderen Richtungen führen. Ich bin sehr gespannt, was aus dem Prozess folgt, den Raúl Castro begonnen hat, und wie weit und wie mutig er ihn fortführen wird. Das darf aber kein Anlass sein, zu Themen wie Menschenrechtsverletzungen, Reiseverbote und dergleichen zu schweigen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, man muss auch Hugo Chávez nicht für die Inkarnation des Bösen halten - das kann man so oder so sehen -,

(Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber auch nicht des Guten!)

aber man sollte sich mit ihm auch nicht gemein machen. Ich habe etwas Lustiges gelesen. Unter der Überschrift Zu Gast bei Hugo Chávez heißt es:

Am 24. Februar hat der venezolanische Präsident Hugo Chávez die Abgeordnete Nele Hirsch in seiner TV-Show Aló Presidente empfangen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die 28-Jährige wurde in einem Airbus A 319 der Präsidentenflotte - immerhin fliegt er nicht Boeing -(weiße Ledersessel mit eingesticktem Wappen, Süßigkeiten in den Nationalfarben) und im Helikopter Typ Super Puma (beschützt von der präsidialen Eliteeinheit Kobra) eingeflogen. Der TV-Auftritt war der Auftakt einer einwöchigen Delegationsreise, an der auch Dorothée Menzner und Paul Schäfer teilnahmen.

Das Ganze stammt nicht aus der Bunten,

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Schade!)

sondern aus der Zeitung Klar. Das ist das Organ der Linksfraktion.

(Beifall bei der LINKEN -Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Danke für den Werbeblock!)

Gnädige Frau, ich glaube, da haben Sie sich für Propaganda hergegeben,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

und das ist das Gegenteil einer vernünftigen Partnerschaft mit Lateinamerika.

Wenn wir die Lateinamerikapolitik fortentwickeln wollen, dann müssen wir dies auf der Basis gemeinsamer Interessen und gemeinsamer Werte tun. Nur auf dieser gemeinsamen Basis können wir drängende globale Probleme angehen.

Die Voraussetzungen dafür sind nicht schlecht: Die Entwicklung Lateinamerikas in Richtung Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie das Bekenntnis zu Multilateralismus sind gute Voraussetzungen.

In Lima werden wir über ein Thema reden, das auf der Tagesordnung steht, nämlich über die Frage, wie wir gemeinsam mit dem Klimawandel und der Bekämpfung von Armut umgehen. Dabei müssen wir natürlich festhalten: Diese beiden Themen gehören unmittelbar zusammen. Wir haben ein massives Interesse daran, dass die sensiblen Ökosysteme Lateinamerikas erhalten werden. Sie bieten nämlich nicht nur einen unvorstellbaren Artenreichtum, sondern sind auch für das globale Klima von zentraler Bedeutung. Sie sind allerdings einem massiven Nutzungsdruck ausgesetzt.

Wenn wir diese Ökosysteme erhalten wollen, dann müssen wir uns solchen Initiativen wie dem Angebot der Regierung Ecuadors öffnen. Ecuador bietet an, auf die Ausbeutung von Ölvorräten im Yasuni-Nationalpark zu verzichten. Da Ecuador dadurch Einnahmen entgehen, bedarf es zwar keines kompletten Ausgleichs,

(Zuruf von der LINKEN: Aber zur Hälfte!)

aber die Europäer sollten sich im Gegenzug an einem fairen und gemeinsamen Interessenausgleich beteiligen. Wir sagen also: Ihr verzichtet auf die Reichtümer, die sich daraus ergeben können. Als Ausgleich für diesen Verzicht transferieren wir als diejenigen, die mitverantwortlich für den Klimawandel sind und die Masse des Öls nachfragen, Geld an euch für eine vernünftigere und nachhaltigere Entwicklung. Dies könnte wirklich ein Musterbeispiel dafür sein, was auf der Vertragsstaatenkonferenz des Übereinkommens über die biologische Vielfalt in den nächsten Wochen in Bonn verhandelt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Deutschland hat gerade im Bereich der Technologiezusammenarbeit zum Urwaldschutz etwas zu bieten. Das Projekt PPG7, das von Helmut Kohl und Angela Merkel begonnen wurde, von der Folgeregierung und der jetzigen Regierung fortgesetzt wurde, ist ein Musterbeispiel dafür, wie man Fragen der Nutzung und des Schutzes des Urwaldes in Brasilien zusammenbringen kann.

Ebenso zählt für mich zur Partnerschaft auch, in bestimmten Punkten Klartext zu reden. Herr Hoyer, Sie haben zu Recht darauf hingewiesen, dass Lateinamerika der erste Kontinent gewesen ist, der sich komplett zur nuklearfreien Zone erklärt hat. Wie passt es zu dieser Grundidee, wenn ausgerechnet der brasilianische Präsident, der Präsident eines Landes, das 80 Prozent seiner Elektrizität aus erneuerbaren Energien erzeugt, das gerade riesige Ölvorräte im Atlantik gefunden hat, das über Gasvorkommen verfügt, im Energiebereich also absolut autark ist und sogar Energie exportiert, fordert, Brasilien müsse unbedingt den nuklearen Brennstoffkreislauf von der Anreicherung bis zur Wiederaufbereitung beherrschen? Meine Damen und Herren, das hat nichts, aber auch gar nichts mit Energiepolitik zu tun, sondern hier steht der Verdacht der Proliferation im Raum. Deswegen sind wir, wie ich glaube, gut beraten, darauf zu drängen, dass das deutsch-brasilianische Atomabkommen endlich in ein Abkommen zur Zusammenarbeit auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien und der Energieeffizienz überführt wird.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Gerade im Bereich der energetischen Zusammenarbeit liegen ja unglaubliche Chancen, zum einen für den Klimaschutz. So können wir durchaus noch etwas von Brasilien lernen: Unser Bundesumweltminister ist ja mit dem Projekt, 10 Prozent Bioethanol dem Benzin beizumischen, gescheitert; dagegen beträgt die Beimischungsrate in Brasilien heute schon 27 Prozent, und die Motoren vertragen das dort. Das scheinen die Brasilianer besser zu können als die Produzenten in Deutschland; allerdings stammen dort viele Autos von deutschen Automobilherstellern. Irgendetwas scheint da also nicht zu stimmen. Zum anderen kann man deutlich machen, dass die Erzeugung von Bioenergie und die Nutzung von erneuerbaren Energien auf der einen Seite große Risiken bergen - ich nenne den Nutzungsdruck, der zur Vernichtung von Primärwäldern führen kann -, auf der anderen Seite aber auch die Chance bieten, Armut zu überwinden. Das sieht man ja ganz deutlich am brasilianischen Biodieselprogramm.

Was sollen wir also tun? Wir müssen zu einem Zertifizierungssystem kommen, das sich nicht auf Biokraftstoffe beschränkt, sondern alle Agrarprodukte umfasst, also Lebensmittel, Nahrungsmittel und Treibstoffe.

(Zuruf von der LINKEN: Wann denn?)

Um das bei den WTO-Verhandlungen zu erreichen, müssen wir den Mut aufbringen, eines der Haupthindernisse hierfür abzuschaffen, nämlich die marktprotektionistischen Schutzzölle, die sich Europa immer noch gönnt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und der LINKEN)

Das ist nämlich nicht fair, wie wir mit denen hier umgehen. Es müssen also soziale und ökologische Standards verankert werden, und auf der Basis dieser sozialen und ökologischen Standards muss Freihandel ermöglicht werden. So sieht mein Verständnis von Partnerschaft aus.

Zum Abschluss - auch das gehört zu diesem Thema -: Wir müssen die Rolle Lateinamerikas in den globalen Systemen ernst nehmen. Ich finde, man kann nicht über Partnerschaft mit Lateinamerika sprechen und zugleich die Frage ausklammern, dass Lateinamerika bis heute im wichtigsten Gremium der Vereinten Nationen, nämlich im Sicherheitsrat, nicht repräsentiert ist.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der LINKEN)

Hier besteht akuter und dringender Nachholbedarf. Partnerschaft zum gemeinsamen Vorteil - das muss die Grundlinie unserer Lateinamerikapolitik sein.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Eckart von Klaeden (CDU/CSU))

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Sascha Raabe, SPD-Fraktion.

Dr. Sascha Raabe (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Lateinamerika ist ein faszinierender Kontinent, in Anbetracht der Vielfalt der Natur vielleicht der schönste Kontinent. Er steht uns auch aufgrund vieler gemeinsamer kultureller Traditionen sehr nahe. Auch in Deutschland erfreuen sich viele an der Farbenpracht und der Lebensfreude, die wir oft auch unmittelbar durch die Menschen aus Lateinamerika, die bei uns leben, erfahren.

Es ist aber auch ein Kontinent mit großen Widersprüchen. Denn trotz des Reichtums und der Schönheit können nicht alle Menschen auf diesem Kontinent ohne Hunger und Armut leben, und das, obwohl viele Böden sehr fruchtbar sind, obwohl Rohstoffe vorhanden sind und obwohl viel Reichtum, auch finanzieller Reichtum, vorhanden ist, der sich allerdings in den Händen einiger weniger Menschen befindet. Genau das ist eines der Probleme: Nirgendwo sonst gibt es eine so große Ungleichverteilung zwischen Arm und Reich.

Wir haben in den letzten Jahren viele Fortschritte in Richtung Demokratie gesehen. Ich sage ganz klar, dass an der Armut zu einem großen Teil auch die Industrieländer schuld sind, und zwar aufgrund des ungerechten Welthandelssystems. Das wurde schon erwähnt; ich komme später darauf zurück. Aber wahr ist auch, dass es - unabhängig von den äußeren Einflüssen und trotz Fortschritten in Richtung Demokratie - oft immer noch eine schlechte Regierungsführung, viel Korruption und eine ungenügende finanzielle Beteiligung der Eliten und Oberschichten in diesen Ländern gibt, die sich nicht genug um die armen Menschen kümmern.

Vor diesem Hintergrund setzt die deutsche Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika seit vielen Jahren die richtigen Schwerpunkte. Wir setzen uns für eine gute Regierungsführung ein. Wir unterstützen Länder bei Antikorruptionsmaßnahmen, bei der Einführung transparenter Ausschreibungsregeln im öffentlichen Beschaffungswesen, bei der Stärkung der Justiz- und Rechtssysteme oder auch bei einer effizienten Steuer- und Haushaltspolitik. Das ist ganz wichtig. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung hat neulich erst einen Kongress mit unseren lateinamerikanischen Partnern veranstaltet, um die Einführung von Steuersystemen zu unterstützen, durch die die Eliten in diesen Ländern durch höhere Zahlungen zu mehr Einnahmen beitragen, die für soziale Zwecke ausgegeben werden können, die zum Beispiel in Bildung oder den Aufbau sozialer Sicherungssysteme fließen können.

Wir stärken viele lokale Prozesse, damit auch benachteiligte Menschen oder Menschen aus finanziell schwachen Familien auf der kommunalen Ebene in der Lage sind, Haushaltspolitik vor Ort mit zu kontrollieren, sich an der Demokratie zu beteiligen und für ihre Interessen zu streiten.

Die Ergebnisse dieser Form der Entwicklungszusammenarbeit sind natürlich nicht so konkret messbar wie bei dem Bau einer Schule oder einer Trinkwasserversorgungseinrichtung. Aber die Tatsache, dass es in den letzten Jahren, vielleicht sogar im letzten Jahrzehnt, keine militärischen Putschversuche mehr gab und dass sich die Demokratie in allen Ländern - eigentlich bis auf Kuba; wir haben es gehört - durchgesetzt hat, ist auch ein Erfolg der deutschen und der internationalen Entwicklungszusammenarbeit.

Auch die Tatsache, dass bei den jüngsten Wahlen in vielen lateinamerikanischen Ländern endlich die soziale Frage die dominierende Rolle gespielt hat, ist zu einem Teil darauf zurückzuführen, dass wir das dort über unsere Durchführungsorganisationen und politischen Stiftungen immer wieder zum Thema gemacht haben und dass wir Oppositionspolitikern, Menschen aus der Zivilgesellschaft, Gewerkschaftern und anderen immer wieder die Chance gegeben haben, mit unseren politischen Stiftungen Dialoge zu führen, um so auch die parlamentarische Opposition zu stärken.

Ich glaube schon, dass wir dort eine sehr gute Arbeit geleistet haben. Messbare Erfolge sind an einigen Personalien erkennbar. Mittlerweile sind in einigen Regierungen prominente Führungspersönlichkeiten vertreten, die früher Mitarbeiter der GTZ oder der Friedrich-Ebert-Stiftung waren. Ich nenne nur den Generalstaatsanwalt Kolumbiens, Iguarán, der für die GTZ einmal ein Gutachten zum Justizsystem erstellt hat und deshalb in diese Position gekommen ist. Der Präsident der Verfassunggebenden Versammlung in Ecuador, Alberto Acosta, war über zehn Jahre lang Mitarbeiter der Friedrich-Ebert-Stiftung. Das sind Beispiele dafür, dass wir über die breitangelegte Art der Zusammenarbeit in diesen Ländern durchaus einen positiven Einfluss haben.

Ich möchte an der Stelle all denen, die dazu beigetragen haben, Dank aussprechen, aber auch denjenigen, die wir im Rahmen des - ein weiterer Schwerpunkt - zivilen Friedensdienstes in Länder Lateinamerikas schicken, wo sie durch Prävention, Konfliktbewältigung und Versöhnung einen unschätzbaren Dienst leisten und dabei an ihre psychischen und physischen Grenzen gehen. Ihnen sollten wir alle ein herzliches Dankeschön aussprechen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Beim Stichwort ziviler Friedensdienst fällt mir sofort Kolumbien ein. Frau Hänsel, Kolumbien ist schwerpunktmäßig ein Partnerland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Natürlich stärken wir nur die Kräfte, die für Menschenrechte eintreten. Wir wollen die Rechtsstaatlichkeit fördern und unterstützen deswegen das Justizsystem. Wir stärken natürlich auch die Friedensgemeinden.

Es ist schon erstaunlich, dass ausgerechnet Sie von der Linkspartei - Herr Trittin hat eben zu Recht darauf hingewiesen - sich von Herrn Chávez hätscheln lassen und ihn im Gegenzug quasi als sozialen Friedensengel bezeichnen. Es handelt sich aber um einen Präsidenten, der die FARC direkt unterstützt. Es gibt fast erdrückende Beweise, dass Präsident Chávez der FARC 300 Millionen US-Dollar zukommen lässt und sie an Öleinnahmen Venezuelas beteiligen will. Er möchte ihr auch Waffen aus den Altbeständen der Armee liefern. Das wird von Interpol untersucht. Heute läuft die Meldung über den Ticker, dass es Anzeichen dafür gibt, dass das alles wahr ist.

Es ist wirklich ein Skandal, dass Sie in Ihrem Antrag fordern, die FARC von der Terrorliste zu streichen. Da wird schon ein gewisses Muster deutlich. Die Organisation, die die meisten Morde, Entführungen und Bombenanschläge in Kolumbien verübt, ist die FARC. Aber Sie sind auf diesem Auge blind und preisen einen Präsidenten, der diese Terrororganisation unterstützt. Dies ist unglaubwürdig. Sie müssen schon Menschenrechtsverletzungen auf beiden Seiten anprangern.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Hänsel von der Fraktion Die Linke?

Dr. Sascha Raabe (SPD):

Ja.

(Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt revoltiert sie!)

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Danke schön, Herr Präsident. - Herr Raabe, haben auch Sie vielleicht die Berichte von US-Wissenschaftlern gelesen, die den Computer des zweiten FARC-Kommandierenden, der getötet worden ist, untersucht haben und die die Aussagen der kolumbianischen Regierung bisher für nicht sehr belastbar halten? Es ist sehr viel übertrieben und spekuliert worden. Bis jetzt gibt es keine Ergebnisse von Interpol, die zeigen, dass das, worauf Sie sich berufen, den Tatsachen entspricht.

(Dr. Karl Addicks (FDP): Jetzt macht sie sich zum Anwalt der FARC! Das ist nicht zu fassen!)

Glauben Sie nicht auch, dass es in Kolumbien eine friedliche Lösung dieses Konfliktes geben muss und dass es nicht möglich ist, diese Auseinandersetzung militärisch in irgendeiner Form zu gewinnen?

Wenn wir uns dafür einsetzen, dass die FARC von der Terrorliste gestrichen wird, dann tun wir dies nicht, um die FARC zu entlasten, sondern deswegen, um die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Friedensverhandlungen und Friedensgespräche umfassend möglich werden, indem die FARC als Verhandlungspartner in der Europäischen Union auftreten kann.

(Ernst Hinsken (CDU/CSU): Das ist keine Frage! Das ist eine Kurzintervention!)

Diese Perspektive müssen wir doch eröffnen. (Thomas Oppermann (SPD): Eine Frage stellen, keine Propaganda machen! - Gegenruf von der LINKEN: Die Geschäftsordnung lesen, Herr Kollege!)

Sie sprachen von den Friedensgemeinden. Natürlich bekommen sie Entwicklungsunterstützung. Aber wenn die kolumbianische Regierung öffentlich die Mitglieder der Friedensgemeinden und auch viele Menschenrechtsaktivisten in die Nähe von Terroristen rückt, dann wird dadurch der Erfolg dieser Arbeit gefährdet.

(Reinhard Grindel (CDU/CSU): Herr Präsident, das ist keine Frage!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Frau Kollegin, Sie sollten eine Frage stellen!

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Ich frage: Wie stehen Sie dazu, dass Präsident Uribe

(Zurufe von der FDP)

  • könnte ich bitte einmal ausreden? -

(Zurufe von der FDP: Nein!)

und viele Mitglieder der Regierung Kolumbiens Menschenrechtsaktivisten und Mitglieder der Friedensgemeinden offiziell diffamieren und sie in die Nähe von Terroristen rücken? Ist das Friedenspolitik?

Dr. Sascha Raabe (SPD):

Sehr geehrte Kollegin Hänsel, ich bin nicht der Pressesprecher von Herrn Uribe. Deswegen möchte ich nicht kommentieren, was Herr Uribe angeblich gesagt und was er nicht gesagt hat.

Ich habe schon dargelegt - diesen Punkt haben auch Sie angesprochen -, dass wir auf eine friedliche Lösung in Kolumbien setzen. Wir unterstützen im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit seit vielen Jahren diese Prozesse; wir unterstützen auch die jetzige Regierung Kolumbiens auf diesem Weg. Natürlich ist der von der Regierung eingeschlagene Weg noch mit großen Mängeln behaftet. Aber so negativ, wie es oft geschildert wird, ist die Situation nicht.

(Beifall des Abg. Dr. Karl Addicks (FDP))

Die Zahl der Morde und Entführungen ist zurückgegangen. Menschen können sich endlich wieder in den Großstädten und zwischen den Großstädten frei bewegen.

Sie sagen, man könne den Konflikt nicht militärisch lösen. Aber einem Staat muss es erlaubt sein, Polizeikräfte einzusetzen. Genau das macht Kolumbien. Es macht keinen Sinn, mit einer menschenverachtenden Terrororganisation, die Bomben legt und die die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt immer noch unter menschenunwürdigen Bedingungen fast wie ein Tier gefangen hält,

(Dr. Werner Hoyer (FDP): So ist es leider! - Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Ein Verbrechen ist das!) zu reden. Es macht keinen Sinn, dass sich Herr Uribe - wie Sie das fordern - mit denen zum Kaffeetrinken trifft. Das sind Kriminelle.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das sind Verbrecher!)

Wir haben damals den RAF-Terroristen auch nicht Bayern als neutrale Verhandlungszone angeboten.

(Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Jetzt aber vorsichtig! Bisher war es eine gute Rede!)

Sie fordern von der kolumbianischen Regierung, einer Terrororganisation ein riesiges Gebiet zur Verfügung zu stellen - über das diese Terrorgruppe dann offiziell herrscht - und dann jahrzehntelang über Frieden zu verhandeln. Ich finde es richtig, dass eine Terrororganisation als Terrororganisation behandelt wird.

Aber wir prangern auch ganz entschieden alle Übergriffe des Militärs auf die Zivilbevölkerung an. Wir fordern die kolumbianische Regierung auf, besser dagegen vorzugehen. Wir halten da beide Augen auf und sind wachsam.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU) Frau Hänsel, eines muss ich Ihnen schon noch sagen. Was die auf diesem Computer gespeicherten Daten angeht: Gerade heute, am 9. Mai - mein Büro hat mich soeben über eine entsprechende Tickermeldung informiert -, haben US-Wissenschaftler gesagt, nach Recherchen sei die Authentizität dieser Daten eigentlich bewiesen. Es ist ja nicht so, dass das Ganze nur eine Theorie ist. In Costa Rica wurden bereits 480 000 Dollar gefunden; es wurden auch 30 Kilogramm Uran gefunden. Die entscheidenden Hinweise waren auf diesem Computer gespeicherte Daten.

Mir macht das große Angst. 30 Prozent des Drogenschmuggels der FARC wird über die venezolanische Grenze abgewickelt. Warum sind sämtliche Terrorcamps der FARC denn nicht in Kolumbien, sondern an der Grenze Kolumbiens? Wer glaubt, Präsident Chávez unterstütze die FARC nicht, der täuscht sich; man muss das ganz einfach offen ansprechen, Frau Hänsel. Sie sind auf dem linken Auge blind, und das ist nicht lauter.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Was gute Regierungsführung angeht, geben wir keine Unterstützung im Rahmen einer unkonditionierten Budgethilfe. Herr Hoyer, ich möchte Ihnen noch einmal sagen - Sie haben das Beispiel Nicaragua genannt -: Wir haben aus den auch von Ihnen angesprochenen Gründen die Budgethilfe für Nicaragua mittlerweile gestoppt.

(Dr. Werner Hoyer (FDP): Das habe ich ja nur gelobt!) Wir werden auch in Zukunft natürlich nur denjenigen Budgethilfe geben, die die Bedingungen dafür erfüllen. Budgethilfe kann dann ein sinnvolles Instrument sein.

Ich glaube, dass der Wissenschaftsaustausch, den wir über den DAAD und über kulturelle Einrichtungen durchführen, ein wichtiger Beitrag ist, Demokratie und Menschenrechte zu stärken und vor Ort für wirtschaftlichen Aufschwung zu sorgen.

Leider komme ich aus Zeitgründen nicht mehr dazu, auf Folgendes ausführlich einzugehen - es wurde schon oft gesagt; Sie kennen meine Position -: Natürlich müssen wir endlich unsere Märkte für Agrarprodukte der lateinamerikanischen Länder öffnen.

(Beifall des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Wir dürfen da keinen Protektionismus betreiben und müssen endlich unsere Exportsubventionen und unsere handelsverzerrenden Subventionen abbauen. Wir müssen im Rahmen der WTO, der Welthandesrunde, endlich zu fairen Ergebnissen kommen. Dann können wir diesen Kontinent von außen und von innen auf dem guten Weg, auf dem er schon ist, deutlich weiter nach vorne bringen.

Ich bin zuversichtlich im Hinblick auf die Reise zum EU-Lateinamerika-Gipfel, die die Kanzlerin bald macht; ich werde sie begleiten können. Ich hoffe, dass die in dem Koalitionsantrag formulierten Schwerpunkte berücksichtigt werden und auch das Strategiepapier, das die SPD dazu neulich gemeinsam mit unserem Außenminister entwickelt hat. Er wird dieses Jahr wieder nach Lateinamerika reisen und dadurch zeigen, dass Lateinamerika für ihn wichtig ist. Wir sollten diesem Kontinent die nötige Aufmerksamkeit schenken. Wir brauchen über Armut in Lateinamerika hoffentlich bald nicht mehr zu reden, weil sie dann überwunden sein wird.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Karl Addicks, FDP-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Karl Addicks (FDP):

Vielen Dank. - Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir reden heute zum zweiten Mal in dieser Legislaturperiode über die Beziehungen der EU zu Lateinamerika. Vor dem Gipfel in Lima werden jetzt wieder einmal wie damals in Wien die besonderen Beziehungen beschworen. Die Bundesregierung beteuert treuherzig, wie wichtig die Beziehungen der EU und Deutschlands zu Lateinamerika seien.

Ich darf an dieser Stelle einmal fragen: Was haben Sie seit 2006 eigentlich getan, um Ihren Beteuerungen und Ihren Worten Taten folgen zu lassen? Sie haben als Zeichen Ihrer besonderen Wertschätzung für Lateinamerika vier Länder von der Liste der Partnerländer gestrichen: Costa Rica, El Salvador, Paraguay und Chile. Keine andere Region war von so vielen Streichungen betroffen. Stattdessen haben Sie freundlicherweise die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit mit China um 10 Millionen Euro erhöht. Da frage ich mich schon: Was meinen Sie eigentlich mit ?besonderen Beziehungen der EU und Deutschlands zu Lateinamerika?? Wo sind eigentlich die vielbeschworenen Konzepte, die diese Partnerschaft einmal mit Leben füllen sollten?

(Dr. Sascha Raabe (SPD): Das ist doch alles Unsinn!)

Ein zentrales Thema auf diesem Gipfel wird wieder die Armutsbekämpfung sein. Gestatten Sie mir in diesem Zusammenhang zwei Länder in Lateinamerika herauszugreifen, die mir für die Behandlung durch die Bundesregierung exemplarisch erscheinen.

Erstens: Bolivien. Das Land wird mit 52 Millionen Euro gefördert. Damit ist es das meistgeförderte Land der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika. Außerdem ist Bolivien am häufigsten entschuldet worden. Entschuldungen sind sicherlich ein Weg, um einem Land, das in der Sackgasse steckt, einen Neuanfang zu ermöglichen. Nur sollten die dadurch freiwerdenden Mittel tatsächlich für die Bekämpfung der Armutsursachen genutzt werden. In Hinblick darauf ist Bolivien leider ein absolutes Negativbeispiel.

(Beifall bei der FDP)

Nach wie vor ist Bolivien eines der ärmsten Länder der Welt. Im Bertelsmann-Transformation-Index ist Bolivien von Platz 49 im Jahr 2006 auf Platz 74 zurückgefallen. Ich frage Sie: Halten Sie das für ein Zeichen von wirksamer Entwicklungszusammenarbeit?

Wenn die Regierung eines Landes die von uns in der Entwicklungszusammenarbeit aufgestellten Bedingungen einer Good Governance nicht erfüllt, wenn ein Land eine Entwicklung nimmt, die ganz klar undemokratisch und nicht rechtsstaatlich ist, müssen deutsche Leistungen infrage gestellt werden dürfen.

(Beifall bei der FDP)

Gerade Bolivien ist hierfür ein gutes Beispiel. Die verkehrte Politik Boliviens hat mit den Verstaatlichungen der Erdöl- und Gasindustrie angefangen;

(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Das war klar!)

sie endet mit dem Versuch, dem Land ohne ausreichende Beteiligung der Bevölkerung eine neue Verfassung zu oktroyieren.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Unsere Bevölkerung wird nie daran beteiligt!)

Man sieht die Konsequenzen: Das Land fängt an, in autonome Regionen zu zerfallen. Das ist der Erfolg der linken Politik von Herrn Morales.

(Beifall bei der FDP - Volker Schneider (Saarbrücken) (DIE LINKE): Für die autonomen Regionen sind Sie zuständig!)

Diese Entwicklungen bestätigen die in unserem Antrag geäußerten Befürchtungen in vollem Umfang. Wir haben in unserem Antrag bereits gefordert, dass die Bundesregierung ihren Einfluss geltend macht und den geplanten Verfassungsprozess entsprechend begleitet. Davon hat die Bundesregierung leider nichts umgesetzt.

(Dr. Sascha Raabe (SPD): Was machen Sie eigentlich im Ausschuss? Die Ohren zuhalten?)

Zweitens: Nicaragua. Das Land wurde heute schon mehrfach genannt. Nicaragua ist der Empfänger der zweithöchsten Leistungen der deutschen Entwicklungszusammenarbeit in Lateinamerika. Auch Nicaragua hat große Schuldenerlasse erhalten und hätte damit die Möglichkeit zu einem Neuanfang gehabt. Trotzdem ist Nicaragua seit Amtsantritt Ihres Freundes Ortega, seit 2007, in eine Abwärtsspirale sondergleichen gekommen. Die Bundesregierung hat deshalb zu Recht - mein Kollege Hoyer hat es erwähnt - die Budgethilfe für Nicaragua gestrichen. Trotzdem zahlt Deutschland über den Umweg Europa weiterhin Budgethilfe an Nicaragua. Ich frage Sie: Halten Sie das - gerade in einer Zeit, in der die Kohärenz der Entwicklungszusammenarbeit von Europa und den Nationalstaaten erörtert wird - für kohärente Politik? Welches Signal wollen Sie damit an die Regierung Ortega senden?

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind das Spiegelbild zur Linken! Was die gut finden, finden Sie schlecht und umgekehrt!)

Die Bundesregierung muss sich dafür einsetzen, dass die EU gegenüber Nicaragua mit einer Stimme spricht. Auch die EU muss gegenüber Staaten, die gemeinsame Werte fortgesetzt unterlaufen, konsequent handeln. Dafür brauchen wir jetzt eine entschlossene Bundesregierung, die ihr Gewicht in Europa nutzt, um in den beiderseitigen Beziehungen bessere Bedingungen für die Menschen vor Ort zu erreichen. In diesem Sinne hoffen wir auf eine ehrgeizige Politik der Bundesregierung, auf eine neue Lateinamerikapolitik.

Zum Schluss sollten wir alle die Führung der FARC in Kolumbien auffordern, endlich Frau Betancourt freizulassen. Es ist eine Schande, was mit dieser Frau dort gemacht wird. Ich würde mich über Applaus aus allen Fraktionen freuen.

Danke sehr.

(Beifall im ganzen Hause)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Eduard Lintner, CDU/CSU-Fraktion.

Eduard Lintner (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! An der heutigen Debatte finde ich besonders positiv, dass sich - ich muss hinzufügen: endlich - alle Fraktionen offenbar sehr intensiv mit den Beziehungen Europas und Deutschlands zu Südamerika befasst haben.

(Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE): Sind Sie auch schon so weit?)

Die große Zahl von Anträgen und die Art und Weise, wie darin Aufforderungen formuliert sind, zeigen, dass es ein gestiegenes Interesse gibt, das wir in Zukunft dynamisch nutzen sollten. Wir alle sind nämlich ein bisschen daran schuld, dass dieses Thema in der Vergangenheit nicht mit dem nötigen Gewicht versehen worden ist.

Es gibt, wenn ich es richtig gesehen habe, eine erfreuliche Übereinstimmung in wichtigen Punkten. Allerdings möchte ich da die Fraktion der Linken ausnehmen, weil ihr Antrag - das war Gegenstand der Erörterung - erkennbar darunter leidet, dass zentrale Aussagen zu dieser Thematik aus einem ideologischen Blickwinkel heraus getroffen werden.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Sie sind ja völlig ideologiefrei!)

  • Nein, nein, Herr Kollege. Damit verschließen Sie aber zwangsläufig, das ist gerade deutlich geworden, die Augen vor der Tatsache, dass die demokratische Legitimation mancher Machthaber und ihres Handelns sehr kritisch bewertet werden muss.

Bereits beim ersten Gipfeltreffen zwischen der EU und den lateinamerikanischen Staaten im Juli 1999 in Rio wurde festgelegt, dass man künftig eine strategische Partnerschaft pflegen wolle. Das ist schon vom Wort her ein ganz gewaltiges Vorhaben, wenn man sich die beiden Begriffe einmal inhaltlich vergegenwärtigt. Man muss selbstkritisch feststellen - auch das ist schon zum Ausdruck gekommen -, dass die konkrete Politik diesem hohen Anspruch in der Vergangenheit nicht gerecht geworden ist. Neue Dynamik ist deshalb in der Tat vonnöten. In diesem Zusammenhang wird immer mit Recht darauf hingewiesen, dass zwischen Europa und Lateinamerika vielfältige geschichtliche, kulturelle, wirtschaftliche oder auch gesellschaftliche Verbindungen bestehen - mehr als zu jedem anderen Kontinent, ausgenommen vielleicht Nordamerika.

Natürlich gibt es schon heute eine Vielzahl von Abkommen, Institutionen und Verbindungen, die zusammengenommen bereits eine breite Palette denkbarer Kooperationsfelder abdecken. Aber es war eben mehr ein Beharren auf dem Vorhandenen und kein dynamisches Drängen nach mehr und nach vorne. So stehen zum Beispiel die wichtigen vertraglichen Regelungen mit dem Mercosur immer noch aus; die Gründe dafür sind heute bereits genannt worden. Aber hier gibt es immerhin einen Hoffnungsschimmer; denn Frau Dr. Ferrero-Waldner - sie ist als EU-Kommissarin für diese Dinge zuständig - hat gestern auf einem lateinamerikanischen Kongress der CDU/CSU-Fraktion gesagt, dass die EU-Kommission derzeit prüft, ob jetzt Fortschritte möglich sind. Es wäre in der Tat ein ermutigendes Zeichen, wenn dieses schon lange versprochene Handelsabkommen endlich zustande käme. Dies wäre ein echtes Aufbruchsignal.

Ich will den Antrag mit dem Titel Eine starke Partnerschaft - Europa und Lateinamerika/Karibik, zu dem ich speziell sprechen möchte, jetzt nicht in seinen Einzelheiten vortragen; dies kann ja nachgelesen werden. Ich finde, dass die dort aufgezeigten Ansatzpunkte für unsere Lateinamerikapolitik sehr richtig sind.

Da geht es zum Ersten natürlich um die Pflege und Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Beziehungen. Deutschland ist daran maßgeblich beteiligt. Aber unser Anteil ist rückläufig. Es wäre wünschenswert, wenn sich künftig noch mehr kleine und mittelständische Unternehmen engagieren würden. Ich kann mir im Übrigen gut vorstellen, dass sich insbesondere das gesellschaftliche Engagement der großen Zahl der ansässigen deutschen Firmen - Südamerika ist dafür ein herausragendes Beispiel - etwa bei der beruflichen Ausbildung junger Menschen, im Kampf gegen die Armut und bei der Sicherung der Nachhaltigkeit in der Ressourcennutzung sowie beim Umweltschutz ausbauen lässt.

Ein zweiter Schwerpunkt sollte der Sektor Bildung sein - von den Schulen bis zu den Universitäten und Forschungseinrichtungen. Dabei dürfen wir durchaus eigene Interessen im Blick haben. Die Globalisierung zwingt uns, die Kooperationsfähigkeit mit einzelnen Ländern und Gesellschaften gezielt zu entwickeln und zu stärken. Auch dazu enthält unser Antrag konkrete Vorschläge.

Ein dritter Ansatzpunkt wäre: Die engen geschichtlichen und kulturellen Bezüge befähigen uns Europäer in besonderer Weise, den lateinamerikanischen Ländern zu helfen. Das ist jetzt nicht überheblich gemeint; aber gerade Deutschland hat reiche Erfahrungen zum Beispiel mit der Ausgestaltung und Effizienz der kommunalen Selbstverwaltung. Wir wissen um die Vorteile der Aufteilung von Zuständigkeiten gemäß den Prinzipien der Subsidiarität und des föderalen Staatsaufbaus. Wir können unsere jahrzehntelangen Erfahrungen mit einer Demokratie sowie einer sozialverträglichen Programmatik von Parteien und ihrer konstruktiven Rolle im demokratischen Staat weitergeben.

Es muss den lateinamerikanischen Staaten gelingen, alle Teile der Bevölkerung am wachsenden Wohlstand und an den Bildungsmöglichkeiten des Landes zu beteiligen. Gerade auf diesem Gebiet scheinen die Eliten in vielen lateinamerikanischen Staaten bisher versagt zu haben. Anders sind die eruptiven Erfolge autoritärer Führer, die sie mit ihren populistischen Programmen haben, gar nicht zu erklären.

Ein vierter Ansatzpunkt ist der multilaterale Ansatz der lateinamerikanischen Staaten in ihrer Außenpolitik. Dazu ist schon vieles ausgeführt worden, sodass ich mich darauf nicht konzentrieren muss. Es gilt, die gemeinsamen Überzeugungen bei den vielfältigen Initiativen zu nutzen.

Ich kann nur hoffen, dass der heutige Tag für uns Anlass ist, die Dynamik, die sich in dieser Debatte gezeigt hat, die mit Sicherheit mit dem Besuch der Bundeskanzlerin in Zusammenhang steht, zu nutzen, und wir uns künftig öfter mit diesem wichtigen politischen Feld befassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich sehe auf der Besuchertribüne den Botschafter Boliviens. Ich freue mich, Exzellenz, dass Sie hier sind und die Diskussion in diesem Parlament verfolgen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ich finde, so viel Zeit und Höflichkeit muss sein, diesen Gruß auszusprechen.

Zur Sache: Der eigentliche Hintergrund der Debatte ist doch, dass wir es in Lateinamerika mit einem sehr kräftigen politischen Wind nach links zu tun haben, und zwar in einer großen Zahl der Länder. Der Wind hat sich gedreht. Der Wind nach links ist so stark, dass er sogar die SPD erreicht und sie zu einem neuen Strategiepapier gebracht hat.

(Dr. Sascha Raabe (SPD): Da haben wir keinen Nachholbedarf!)

Ich habe das Strategiepapier der SPD, das viele vernünftige Punkte enthält, mit dem verglichen, was Willy Brandt zum Nord-Süd-Dialog geschrieben und geleistet hat. Da haben Sie noch großen Nachholbedarf.

(Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Das müssen Sie gerade sagen!)

Arbeiten Sie ruhig weiter. Der Wind geht nach links, und das finde ich sehr vernünftig.

(Beifall bei der LINKEN - Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Wer hat denn damals Willy Brandt bekämpft? - Zuruf des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)) - Der Wind treibt nach links.

Wenn man sich die Frage stellt, warum die Linke in Lateinamerika trotz ihrer Vielfalt und Unterschiedlichkeit so viele Erfolge erreicht hat, kommt man nicht darum herum - Herr Lintner, Sie haben es mit anderen Worten gesagt -, über die Spur der Zerstörung zu sprechen, die der Neoliberalismus in Lateinamerika hinterlassen hat. Das war der Ausgangspunkt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe jetzt leider nicht die Zeit, Ihnen im Einzelnen zu schildern, wie es in den Ländern aussieht, die sich dem neoliberalen Diktat gebeugt haben.

(Dr. Karl Addicks (FDP): Dann gucken wir einmal, was der Neomarxismus jetzt hinterlässt!)

Ich war in einer Stadt nahe der Hauptstadt San Salvador, einer Stadt mit 100 000 Einwohnern: kein Strom, kein Wasser. Der einzige Brunnen ist privatisiert, man muss Wasser kaufen. Selbst der Friedhof ist privatisiert, sodass die Armen ihre Toten irgendwo verscharren müssen und nur die Reichen ihre Toten dort beerdigen können.

(Beifall bei der LINKEN)

So ist das in vielen Ländern Lateinamerikas. Das ist einer der Hintergründe; da muss man Klartext sprechen.

Ich hoffe, dass die Zeit zu Ende geht, in der die USA Lateinamerika als ihren Hinterhof behandeln und misshandeln konnten. Wenn man sich die Frage stellt, warum es zu autoritären Regimen, zu Diktaturen gekommen ist, kommt man zu dem Schluss, dass die Machthaber in diesen Ländern alle nicht ohne Duldung bzw. Hilfe der USA an die Macht gekommen sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie hier nicht darüber reden wollen, wenn Sie das verschweigen wollen, ist das Ihr Problem.

(Dr. Karl Addicks (FDP): Reden Sie lieber über die Diktatoren, die die Sowjetunion unterstützt haben!)

Herr Außenminister, ich habe sehr interessiert zur Kenntnis genommen, was Sie zu Kuba gesagt haben. Kuba bewegt und entwickelt sich. Das ist eine interessante Entwicklung. Ich habe auch zur Kenntnis genommen, dass sich die deutsche Kuba-Politik verändert, und zwar stärker, als es anderen Fraktionen in diesem Hause lieb ist. Sie wissen, dass eine Entwicklungszusammenarbeit mit Kuba heute möglich ist. Eine solche Entwicklungszusammenarbeit wäre aber leichter, wenn Sie von diesem Pult aus auch gesagt hätten, dass die USA ihren Boykott und ihre Sanktionen gegen Kuba endlich aufzuheben haben

(Beifall bei der LINKEN)

und die Europäische Union diesbezüglich öffentlichen Druck auf die USA ausüben wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn Sie immer die Hälfte verschweigen, kommen Sie nicht weiter. Sie wissen genauso gut wie ich, dass sich die amerikanische Politik verändern muss.

Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass sich mit Paraguay eines der letzten diktatorisch geführten Länder durch Wahlen verändert hat. Ich freue mich über den neuen Präsidenten, Ex-Bischof Lugo, der aus der Befreiungstheologie kommt. Ich bin sehr gespannt, was sich in Paraguay entwickeln wird.

Ich habe ein ähnliches Gefühl wie Kollege Trittin: An der Seite von Uribe möchte ich, wenn es um Demokratisierung geht, nicht stehen. Dort stehe ich auch nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Dr. Karl Addicks (FDP): Lieber auf der Seite von Castro!) - Nein, ich stehe auf einer ganz anderen Seite.

Auch in Kolumbien, wo noch Bürgerkrieg herrscht, wird sich die offene Wunde durch Verhandlungen und Demokratisierung schließen. Ich sage, weil es immer wieder angesprochen wird, von diesem Platz aus ganz deutlich an die FARC gerichtet: Geiseln zu nehmen, ist keine linke Politik.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Ich bin dagegen, dass Geiseln genommen werden. Ich finde es unverantwortlich, Menschenleben und die Freiheit von Menschen als Waffe in der Politik einzusetzen. Wenn die FARC auf eine sozialistische Kritik hört, kann ich ihr nur sagen: Lasst die Geiseln in Kolumbien sofort frei.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Karl Addicks (FDP): Das war einmal gut!)

Das ist die Entscheidung, die wir fordern. Sie wollen es nicht hören; Sie sind auf diesem Auge blind. Es wäre eine sozialistische Politik, wenn man sich in diese Richtung verändern würde.

Ein letzter Gedanke - der Präsident macht mich darauf aufmerksam, dass meine Redezeit abgelaufen ist -: Ich habe mich sehr gefreut, dass viele Redner den Umstand, dass Lateinamerika eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen ist, positiv gewürdigt haben. Herr Außenminister, wenn es nicht nur bei Worten bleiben soll, muss man sich dafür einsetzen, dass auch Europa eine atomwaffenfreie Zone wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Dann können wir auch auf dieser Ebene eine Partnerschaft mit Lateinamerika eingehen, und zwar glaubwürdiger und besser, als wenn wir nur über die anderen reden, uns freuen und selber nichts tun.

Danke sehr.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos) - Dr. Karl Addicks (FDP): Vielen Dank für diese Rede!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Lothar Mark, SPD-Fraktion.

Lothar Mark (SPD):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Das Problem der Lateinamerikapolitik beginnt aus unserer Sicht eigentlich schon mit der Begrifflichkeit, die hier heute auch zutage kam. Wenn wir die Beziehungen zu Nordamerika betrachten, wird von den transatlantischen Beziehungen gesprochen, ohne daran zu denken, dass die Beziehungen zu Lateinamerika auch transatlantisch sind. Das wollte ich ganz besonders hervorheben; ich habe dazu bereits vor vielen Jahren eine provokative Vorlesung und ein Proseminar an der Uni in Mannheim gehalten mit dem Titel: Transatlantische Beziehungen: Europa - Lateinamerika.

Es ist schon sehr viel zu den jeweiligen Themenfeldern gesagt worden. Ich will diese nicht im Einzelnen wiederholen. Ich möchte aber auf einige Schwerpunkte eingehen.

Zunächst einmal ist immer wieder vom Wirtschaftswachstum in Lateinamerika gesprochen worden, das exorbitant hoch sei. Das ist richtig. Aber wenn man genau hinschaut, stellt man fest, dass dieses Wachstum nicht unbedingt mit Nachhaltigkeit, sozialen Auswirkungen und Entwicklungen für die jeweiligen Länder verbunden ist. Das kann man sehr gut an dem Beispiel Peru zeigen, das jährlich ein Wachstum zwischen 6 und 7 Prozent hat. Dies hängt aber in erster Linie mit der Ausfuhr von Kupfer als Rohstoff zusammen.

Wenn wir den Handel zwischen Europa und Lateinamerika betrachten, dann können wir feststellen, dass noch unendlich viele Möglichkeiten in fast allen Bereichen bestehen. Wenn wir uns den Handel zwischen Deutschland und Lateinamerika anschauen, dann müssen wir ernüchternd feststellen, dass der Anteil nur zwischen 2,2 und 2,3 Prozent liegt; also auch hier gibt es ungeahnte Möglichkeiten für eine Ausweitung. Als Vergleichszahl nenne ich sehr gerne den Handel mit der Schweiz: Er beträgt 3,8 bzw. 3,9 Prozent. Damit wird deutlich, was sich hinter diesen Dimensionen verbirgt.

Auch auf die Frage der Verteilungsgerechtigkeit und darauf, dass die Europäische Union und Deutschland hier sehr viel tun können, wurde eingegangen. Ich will das im Einzelnen nicht wiederholen. Ich will auch nicht auf die Energie- und Klimapolitik eingehen; sie wurde bereits mehrfach angesprochen. In diesem Bereich bestehen für die Bundesrepublik Deutschland wirklich interessante Kooperationsmöglichkeiten. Eine solche Kooperation wäre zum beiderseitigen Vorteil.

Das Stichwort Ernährungssicherheit ist schon gefallen. Von der Explosion der Lebensmittelpreise sind Lateinamerika und insbesondere Zentralamerika besonders heftig betroffen. In diesem Zusammenhang nenne ich eine Zahl - solche Dinge hört man in Deutschland sonst nicht so gern -: Nach UN-Angaben leiden in Lateinamerika 53 Millionen Menschen an Hunger, und 9 Millionen Kinder sind in Lateinamerika unterernährt. Das sollte für uns Ansporn sein, über verschiedene politische Entwicklungsprozesse erneut nachzudenken.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, die strategische Partnerschaft wurde mehrfach erwähnt, und ihre Wirksamkeit wurde bezweifelt. Es ist zutreffend, dass von Wien keine großen Impulse ausgegangen sind. Nichtsdestotrotz ist zutreffend, dass wir seit 1999 eine intensive strategische Partnerschaft mit dem gesamten lateinamerikanischen Raum und insbesondere mit Mexiko und Brasilien pflegen. Hier ist Deutschland, wie ich denke, an führender Position zu nennen. Gerade diese Bundesregierung mit Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier leistet im Rahmen dieser Zusammenarbeit permanent beste Arbeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Auf die Problematik der Sicherheitspartnerschaft hat Herr Dr. Hoyer hingewiesen; auch diesem Thema will ich mich nicht zuwenden, weil das, was dazu bisher gesagt wurde, richtig ist.

Was Mercosur betrifft, mache ich deutlich: Es ist kein Ruhmesblatt für die Europäische Union, dass sie es seit 1999 nicht geschafft hat, eine Partnerschaft mit Mercosur einzugehen. Allerdings muss ich auch sagen: Das liegt nicht nur an der Europäischen Union, sondern auch an Mercosur; denn die Mitgliedstaaten des Mercosur verfolgen unterschiedliche Interessen.

(Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): So ist es!)

Dennoch muss man den Mut finden, die Probleme anzusprechen und auch einmal über den eigenen Schatten zu springen. Die Vorteile eines solchen Abkommens wären für beide Seiten enorm.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Verhandlungen mit SICA und der Andengemeinschaft sind ebenfalls schon thematisiert worden; auch das will ich nicht wiederholen. Ich mache nur darauf aufmerksam: Es ist unabdingbar, dass wir mit diesen Ländern bzw. regionalen Gemeinschaften Fortschritte erzielen. Denn es ist notwendig, dass die Andengemeinschaft neue Akzente setzt und zur Kenntnis nimmt, dass die Europäische Union sie als wichtigen Partner betrachtet.

Zu den Energiefragen und den kulturellen und wissenschaftlichen Kooperationen im Rahmen der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik will ich mich nicht äußern. Ich möchte nur noch ganz kurz auf ein paar Länder eingehen; denn die Zeit schreitet sehr schnell voran.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja! Das ist das Problem mit der Zeit!)

Bolivien ist in einer schwierigen Situation und bedarf unser aller Aufmerksamkeit und - das betone ich ganz besonders - unser aller Unterstützung. Niemandem wäre gedient, wenn Bolivien auseinanderbrechen würde. Das Referendum, das gerade in Santa Cruz durchgeführt wurde, und die Referenden, die im Juni dieses Jahres noch stattfinden werden, sind widerrechtlich. Sie verstoßen gegen die Verfassung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Dr. Karl Addicks (FDP): Dort wird doch permanent gegen die Verfassung verstoßen!)

Deswegen möchte ich deutlich machen, dass wir die rechtmäßig gewählte Regierung unterstützen. Ich begrüße es, dass sich Evo Morales bereit erklärt hat, sich einem Referendum zu stellen. Auch wenn die Opposition dies im Senat durchgesetzt hat, muss man sagen: Immerhin ist er bereit, sich diesem Konflikt zu stellen.

Mit Blick auf Venezuela will ich darauf hinweisen, dass Hugo Chávez immer wieder als die dämonisierte Person angesehen wird.

(Dr. Karl Addicks (FDP): Das ist er doch auch!)

In diesem Zusammenhang könnte man über vieles diskutieren. Man muss aber zur Kenntnis nehmen, dass alle Schritte, die von ihm unternommen wurden, demokratisch abgesegnet und abgesichert waren.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wenn es im Parlament in Venezuela keine oder fast keine Opposition gibt, ist dies nicht der Regierung anzulasten, sondern der Opposition, denn sie hat keine Kandidaten für die Wahl aufgestellt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist beispielhaft, wie die OAS und die Rio-Gruppe quasi die Lösung der in Lateinamerika bestehenden Schwierigkeiten mit Ecuador, Kolumbien und Venezuela in die Hand genommen haben, ohne dass es weiterhin große Probleme gab. Hinsichtlich der Computerfunde stehe ich allerdings im Gegensatz zu meinem Kollegen Sascha Raabe; denn der US-Geheimdienst verkündet - so war heute wieder zu lesen -, was alles in diesen Computern zu finden sei. Die OAS hat in der Vergangenheit ganz klar gesagt, dies sei nicht zutreffend. Meines Erachtens sind weder Kollege Raabe noch ich in der Lage, das zu beurteilen.

(Dr. Karl Addicks (FDP): Der erste Anschein spricht dafür!)

Lassen wir die Weltöffentlichkeit dies näher untersuchen, um dann zu weiteren Schritten zu kommen.

Meine Zeit hier ist ablaufen, sehe ich.

(Dr. Karl Addicks (FDP): Zum Glück!)

Ich bedaure dies sehr, weil ich gern noch einiges zu Kuba gesagt hätte.

(Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Sag es doch!)

Das muss ich dann eben auf die nächste Debatte verschieben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN - Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE): Das hätte ich gerne gehört!)

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollegin Anette Hübinger, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Anette Hübinger (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lateinamerika muss von Deutschland, aber auch von Europa neu entdeckt werden. Lateinamerika muss wieder einen Platz im Zentrum unseres Handelns einnehmen.

(Dr. Karl Addicks (FDP): Sehr richtig!)

In den heute zu debattierenden Anträgen wird unser Gestaltungswille für eine neue Partnerschaft mit Lateinamerika aufgezeigt. Die Welt hat sich seit dem Ende des Ost-West-Konflikts und seit Beginn der Globalisierung verändert. In vielen Ländern Lateinamerikas beobachten wir in den letzten Jahren einen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandel, der uns in Europa und in Deutschland nicht gleichgültig sein darf und kann. Deutschland muss es ein Herzensanliegen sein, gemeinsam mit unseren lateinamerikanischen Partnern eine lebendige Wertegemeinschaft zu entwickeln. Unsere gemeinsamen kulturellen Wurzeln, unsere gemeinsamen Wertevorstellungen wie Freiheit, Chancengleichheit und Verantwortung sowie unsere demokratischen Überzeugungen sind eine gute Grundlage für eine vertrauensvolle Partnerschaft.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Heute ist es trotz dieser engen Bindungen eben nicht mehr selbstverständlich, dass Deutschland und Europa für Lateinamerika unweigerlich die wichtigsten Partner sind. Deshalb müssen wir bei den Menschen in Lateinamerika für unsere Werte werben, die wirtschaftlichen Erfolg und soziale Verantwortung miteinander vereinen.

Für die Pflege unserer kulturellen Nähe und für das vertiefende Verständnis füreinander brauchen wir einen zielgerichteten Austausch in den Bereichen Kultur, Bildung und Wissenschaften. Der Austausch im universitären Bereich, eine intensivere Kooperation von Forschungseinrichtungen, aber auch die Auslandsschulen in Lateinamerika sind in diesem Zusammenhang wichtige Ansätze. Sie bilden eine wichtige menschliche Brücke zwischen diesen beiden Kontinenten. Dieser Austausch bietet die Chance, dass wir auf die großen globalen Fragen wie Klimawandel und Energiesicherheit gemeinsame Antworten suchen und finden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die größten Herausforderungen für viele Länder in Lateinamerika sind jedoch die Bewältigung des wachsenden sozialen Ungleichgewichts und der Kampf gegen die Armut. Trotz des guten Wirtschaftswachstums der letzten Jahre leben immer noch mehr als 200 Millionen Menschen - das sind 40 Prozent der Bevölkerung - von weniger als 2 Dollar pro Tag, und 80 Millionen Menschen erleiden täglich Hunger. Diese Kluft bei der Einkommensverteilung und im Wohlstandsniveau birgt gefährlichen sozialen Sprengstoff und gefährdet erzielte demokratische Transformationsgewinne. Fehlende oder schwache staatliche Institutionen geben immer wieder Raum für Menschenrechtsverletzungen, für Korruption und kriminelle Gewalt; dies führt zur steigenden Migration. Die Bekämpfung der Armut ist dabei der Schlüssel zur Demokratie. Es ist die Aufgabe der lateinamerikanischen Regierungen, diesen gewaltigen Herausforderungen konsequent zu begegnen.

Die Aufgabe unserer Entwicklungszusammenarbeit ist es, sie dabei zu begleiten. Deutschland hat ein elementares Interesse daran, dass der Demokratisierungsprozess in Lateinamerika fortgesetzt und stabilisiert wird. Demokratische Wahlen führen nämlich nicht automatisch zu demokratischer Regierungsführung. Die wachsende Unzufriedenheit der Bevölkerung führt immer häufiger zu konfliktgeladenen Auseinandersetzungen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb müssen wir unsere entwicklungspolitischen Instrumente auf die Stärkung von demokratischen Strukturen, von Good Governance und von sozialen Sicherungssystemen ausrichten. Dass die indigene Bevölkerung an diesen Prozessen teilhaben muss, erklärt sich von selbst.

Unzureichende gesellschaftliche und soziale Verantwortung der wirtschaftlichen Elite - wir haben heute mehrfach davon gehört - ist in vielen Teilen Lateinamerikas ein großes Problem. Zur Lösung können und müssen wir mehr auf die erfolgreiche Arbeit unserer politischen Stiftungen zurückgreifen. Wir müssen die Eliten darin bestärken, sozialstaatlich zu denken und Verantwortung zu übernehmen; bei der Bevölkerung müssen wir ein besseres Demokratieverständnis fördern.

Mit den linkspopulistischen Regierungen müssen wir einen kritischen Dialog führen, im Rahmen dessen wir für demokratische Grundprinzipien und für die Unteilbarkeit der Menschenrechte werben.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Sascha Raabe (SPD))

Lateinamerika birgt eine der größten biologischen Schatzkammern der Welt, die jedoch durch kurzfristige Interessen höchst gefährdet ist. Deshalb steht der Umwelt- und Ressourcenschutz einschließlich des Tropenwaldschutzes in unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit an herausragender Stelle. Auch beim Gipfel in Lima in der nächsten Woche wird der Umweltschutz ein zentrales Thema sein. Die Einbeziehung der Entwicklungs- und Schwellenländer in den Umweltschutz ist von entscheidender Bedeutung: Diese Länder werden von den Folgen des Klimawandels am meisten bedroht; gerade sie können aber durch ihr künftiges Verhalten diesen Wandel positiv beeinflussen.

Deutschland verfügt im Umwelt- und Ressourcenschutz über viel Know-how und ist ein gefragter Partner. Das Instrument einer Entwicklungspartnerschaft mit der Wirtschaft sollte daher mehr einbezogen werden. Ein gutes Beispiel dafür ist das Tropenwaldprogramm Brasiliens.

Angesichts der weltweit steigenden Nachfrage nach Nahrungsmitteln und der Ausweitung der Herstellung von Treibstoff aus Agrarprodukten müssen wir die Förderung der ländlichen Entwicklung und der Agrarforschung in den Mittelpunkt unserer Zusammenarbeit rücken. Dazu gehören Ansätze zu einer umfassenden Landreform, der Aufbau von effizienten, mittelständischen Produktionsstrukturen, die Bereitstellung von Mikrofinanzierungen, aber auch Unterstützung beim Aufbau von Katastern und Flächennutzungsplänen.

Die ländliche Entwicklung dient nicht zuletzt der Eindämmung des Drogenanbaus und hilft den Menschen, aus der nur zu oft unfreiwilligen Kriminalität herauszukommen.

Der Erfolg der ländlichen Entwicklung hängt auch davon ab, ob es uns gelingt, zu einem gerechten Welthandelssystem zu kommen. Die Zusage der EU, die Agrarexportsubventionen bis 2013 schrittweise auslaufen zu lassen, ist ein Schritt dorthin. Dennoch bedarf es auf multilateraler Ebene noch erheblicher Anstrengungen, wenn die Doha-Runde zu einer erfolgreichen Entwicklungsrunde werden soll.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Mit einem Anteil von 40 Prozent ist die EU der größte entwicklungspolitische Akteur in Lateinamerika. Sie hat einen erheblichen Beitrag geleistet, innenpolitische Reformen zu unterstützen, die zu dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Wachstum in vielen Ländern geführt haben. Wir müssen uns aber fragen, ob unser eigener Einsatz wirksam genug ist. Die eingeleiteten Reformen der europäischen Entwicklungszusammenarbeit müssen konsequenter umgesetzt werden, um durch ein besseres Miteinander die Wirksamkeit zu erhöhen.

Die Menschen in den meisten Ländern Lateinamerikas stehen vor großen Herausforderungen. Wir in Deutschland und in Europa tragen für die Bewältigung dieser Probleme eine besondere Verantwortung. Mit unserer entwicklungspolitischen Zusammenarbeit wollen wir einen Beitrag dazu leisten, dass durch das wirtschaftliche Wachstum der letzten Jahre auch die soziale Gerechtigkeit stärker berücksichtigt wird und letztendlich zu einer nachhaltigen Armutsbekämpfung beigetragen werden kann.

Ich meine, wir können uns glücklich schätzen, dass Lateinamerika und Deutschland über gemeinsame kulturelle Wurzeln und so viele gemeinsame Wertevorstellungen und Prägungen verfügen. Nutzen wir diese bei der Bewältigung der Probleme und globalen Herausforderungen zugunsten eines tieferen Verständnisses füreinander.

Unserer Bundeskanzlerin wünsche ich in der nächsten Woche in Lima ein gutes Gelingen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Hellmut Königshaus (FDP))

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Ich schließe die Aussprache.


Die komplette Dokumentation des Bundestages finden Sie hier.