Chávez on Tour

Der venezolanische Präsident hat sich als linke Integrationsfigur in Lateinamerika profiliert. Jetzt betritt er die globale Bühne

Das Bild hat große Symbolkraft. Venezuelas Staatschef sitzt auf der Pressekonferenz vor einem Pulk von Mikrophonen. Hinter ihm ist eine Weltkarte zu sehen, neben ihm sein neuer Verbündeter: Baschar Al Assad, Syriens Staatschef und einer der Gegenspieler Washingtons im Nahen Osten.

Mit Assad verbänden ihn die gleichen Positionen, verkündete Hugo Chávez vor laufenden Kameras: "Wir beide weisen den Imperialismus und die hegemonistischen Vorstöße des US-Imperiums zurück". Indem westliche Medien den Auftritt in Damaskus Ende August mit empörten Kommentaren bedachten, bestätigten sie eines der zentralen Elemente der venezolanischen Außenpolitik. Im achten Jahr seiner Präsidentschaft ist Chávez nicht mehr nur eine Integrationsfigur für die lateinamerikanische Linke. Inzwischen schmiedet er an weltweiten Allianzen gegen die Dominanz der USA.

Ende Juli hatte der Linksnationalist bereits Belarus, Rußland, Iran, Vietnam, Katar und Mali besucht. Unlängst folgten Gespräche in China, Malaysia und Angola. Der unerwartete Abstecher nach Syrien war ein wohlkalkulierter Mediencoup, der seine Wirkung nicht verfehlte. Wenige Wochen nach den israelischen Angriffen auf Libanon forderte der Südamerikaner in Damaskus das sofortige Ende der andauernden Blockade des Nachbarstaates von Syrien. Und er unterstützte die Forderung nach der Räumung der seit 1967 durch die israelische Armee besetzten Golan-Höhen.

Einsatz für Multilateralismus

Ob in Zentralasien, im Nahen Osten oder in Lateinamerika - Chávez ist inzwischen zu einer festen Größe in der internationalen Politik geworden. Die überhebliche Berichterstattung, mit der westliche Medien der venezolanischen Außenpolitik unter Hugo Chávez mehrheitlich begegnen, verschleiert, oft mit Vorsatz, den wahren Sinn dieser Bündnissuche: In dem Maße, wie die USA und ihre Alliierten die nach dem Zweiten Weltkrieg etablierten völkerrechtlichen Grundsätze aushebeln, knüpft Venezuela ein Netzwerk zu deren Schutz. Schon Ende Juli 2000 hatte Hugo Chávez im Gespräch mit junge Welt erklärt: "Wir glauben nicht an eine bipolare Welt oder gar an die Herrschaft einer einzigen Großmacht. Viele Menschen haben in den vergangenen Jahrzehnten gegen eine solche Zentralisierung von Macht in ganz unterschiedlichen Bereichen (...) gekämpft. Wir sehen unsere Politik in dieser Tradition."

Diese geopolitische Strategie hat Venezuela weit gebracht. Jüngst unterzeichnete Handelsabkommen mit China und Rußland haben zumindest die Basis für ein Ende der exportwirtschaftlichen Abhängigkeit von den USA geschaffen. Nach China will der weltweit fünftgrößte Erdölproduzent die Exporte auf bis zu 500000 Barrel pro Tag erhöhen, bei dem jüngsten Besuch im Reich der Mitte wurden zudem weitere Geschäfte in Milliardenhöhe vereinbart.

Diese Schritte zur Befreiung von der US-Dominanz haben ihre politische Wirkung nicht verfehlt. Wenn im Oktober fünf der zehn nichtständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates neu gewählt werden, hat Caracas beste Chancen, für Lateinamerika in das Gremium zu kommen. Nach Angaben des Außenministeriums haben schon jetzt mehr als die notwendigen 128 Länder Venezuela ihre Stimme zugesagt. Nach der Wahl Kubas in den UN-Menschenrechtsrat im Mai dieses Jahres wäre es eine weitere Niederlage für die USA, wenn sich das südamerikanische Land gegen den Washingtoner Favoriten Guatemala durchsetzt.

Allianzen schaffen Sicherheit

Venezuela liefert sich ein außenpolitisches Kräftemessen mit den USA, indem es die Bedenken der "dritten Welt" gegen die geopolitische Neuordnung nach 1989 formuliert und seinem Vorgehen zugrunde legt. Ein Beispiel: Seit einigen Jahren ruft Washington weltweit nach eigenem Gusto "Schurkenstaaten" aus, mit denen - erfahrungsgemäß als Vorbereitung einer militärischen Aggression- der Umgang verboten wird. Venezuela war ab Chávez' Amtsantritt 1999 einer der ersten Staaten, der sich diesem Diktat entzogen hat. Von Caracas motiviert, regt sich inzwischen in und über Lateinamerika hinaus Widerstand. Auf dem Gipfeltreffen der blockfreien Staaten wird Chávez mit Unterstützung der kubanischen Gastgeber einmal mehr versuchen, diese ersten Erfolge institutionell abzusichern.

Doch die Hürden bei der Rückkehr zu einer multipolaren, also friedlicheren Weltordnung sind hoch. Unter dem Eindruck des politischen Mainstreams tun sich politische Analytiker gerade im industrialisierten und medial straff kontrollierten Norden schwer, sich von den Vorgaben des (von Washington) Erlaubten zugunsten eines selbständigen Denkens zu lösen. Ein Beispiel dafür lieferte jüngst der Kolumnist des deutschen Monatsmagazins Konkret, indem er die "Verbrüderung eines lateinamerikanischen Sozialisten mit einem iranischen Dschihadisten" anprangerte, um nach einem zurechtgestutzten Zitat des venezolanischen Staatschefs zu seinem Urteil zu kommen: Nicht nur Irans Präsident Ahmadinedschad, auch Chávez sei "ein Gotteskrieger".

Ein solcher Kurs führt in die Sackgasse, auch weil er unnötig polarisiert und notwendige Debatten über das mittel- und langfristige Verhältnis fortschrittlicher Staaten mit Gesellschaften wie der des Iran über die taktischen Allianzen hinaus verhindert. Der Negativismus der Konkret (und anderer) vernebelt den Blick auf eine zweite, positivere Perspektive: Die Zusammenarbeit zwischen sogenannten Pariastaaten und anderen Ländern könnte schließlich auch zur Emanzipation der rückständigen Gesellschaften beitragen. Eine solche Prognose muß, zugegeben, im Konjunktiv formuliert werden. Was aber sind die Alternativen? Ohne einen raschen Schulterschluß der sogenannten dritten Welt angesichts der aggressiven US-Außenpolitik ist der Angriff auf Iran und weitere "Schurken" nur noch eine Frage der Zeit. Und in dem Maße, in dem Venezuelas neue Bündnisse wieder zerschlagen werden, geraten auch die fortschrittlichen Kräfte wieder in das Visier der militärischen Aggressoren. Das wäre dann - ganz konkret - ein Sieg für die imperialistischen Zentren.