Agenturen in Wahlkampfzeiten

Über die Einseitigkeit der kommerziellen Meinungsmacher

Am gestrigen Samstag (07.02.2009) demonstrierten in Caracas auf dem Höhepunkt der Wahlkampagne tausende für und gegen die Verfassungsänderung, die am kommenden Wochenende zur Wahl steht und für alle Mandatsträger die unbegrenzte Kandidaturmöglichkeit einführen soll.

In der deutschsprachigen Presse tauchten umgehend Meldungen über die Demonstration der Oppositionskräfte auf, die die Verfassungsänderung ablehnen.

Egal ob Deutsche Presse Agentur (DPA), Reuters oder France Press (AFP): Keine Agentur erwähnte die zeitgleich stattfindende Pro-Demonstration mit Hugo Chávez an der Spitze.

Doch diese offensichtliche Einseitigkeit der kommerziellen Meinungsmacher wird noch auf die Spitze getrieben. Die Größe der Demonstration wird maßlos übertrieben.

DPA beruft sich auf die "Veranstalter" und nennt 600.000 als Teilnehmerzahl. Doch selbst der oppositionelle Fernsehsender Globovisión spricht auf seiner Homepage nur von "tausenden Teilnehmern" ohne sich auf unglaubwürdige Spekulationen einzulassen. Die schweizer Agentur SDA meldet 200.000, staatliche Medien in Venezuela reden von einem Misserfolg, auch wenn das ebenfalls übertrieben sein mag.

Schaut man auf die Seite der offen regierungsfeindlichen Zeitung El Nacional, so findet sich die Quelle der Deutschen Qualitätsjournalisten von DPA: Ein Sprecher der rechtsextremen Partei Primero Justicia, die der Konrad-Adanauer-Stiftung nahe steht. Dessen Teilnehmerrechnung schafft es bei El Nacional in die Schlagzeile.

Doch laut Agenturen und Privatpresse in Venezuela waren es im Wesentlichen nicht die unbeliebten Parteien, die diese Demonstration organisiert hatten, sondern "Studentengruppen". Bei der gemäßigten konservativen Privatzeitung El Universal werden dann zwei Teilnehmer zitiert, 31 und 51 Jahre alt – sind das etwa Langzeitstudenten?

Bei der Abschlusskundgebung spricht dann auch der Student Manuel Rosales, seines Zeichens Bürgermeister von Maracaibo im westlichen Bundesstaat Zulia und ehemaliger Präsidentschaftskandidat der Opposition. Er gehört der Partei Un Nuevo Tiempo an.

An der Spitze der Demonstration wird der Direktor des Oppositionssenders Globovisón, Federico Ravell, gesichtet. Er hatte in den vergangenen Wochen offensichtlich die Oppositionskampagne gegen die Verfassungsänderung organisiert – mit dieser Demonstration als Höhepunkt.

Um glaubwürdig zu machen, dass oppositionelle Studenten in Venzuela in der Lage sind, eine solche Demonstration zu organisieren, schreibt DPA:

"Gegen das Referendum gab es in den vergangenen Wochen wiederholt massive Studentenproteste, die teils von Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst wurden."

Bei der schweizer Agentur SDA wird das anders dargestellt:

"In den vergangenen Wochen war es bei kleineren Protesten häufig zu Zusammenstössen mit der Polizei gekommen."

Amerika21.de hat jedenfalls eher den Eindruck der Schweizer, wie hier berichtet wurde. Zudem berichteten wir im Gegensatz zu den westlichen Agenturen auch über die echten, großen Studentenproteste. Nach Ausschreitungen von gewaltbereiten "Studenten" gingen regierungsnahe Studenten zu einer Großdemonstration gegen Gewalt und für die Verfassungsänderung auf die Straße. Doch so etwas interessiert die Agenturen nicht. Der Norden soll sich schließlich auf die Seite der Oberschichten stellen. Und deren Parteien, Kommerzmedien und Studentengruppen stemmten diese Demo.

Eine weitere Verdrehung von DPA, der die anderen Agenturen mehr oder weniger folgen:

"Die Venezolaner hatten die Verfassungsänderung bereits im Dezember 2007 abgelehnt."

Im Dezember 2007 stand jedoch eine umfangreiche Verfassungsreform zur Abstimmung, die zudem nur äußerst knapp abgelehnt worden war. Richtig ist: Auch die Begrenzung auf zwei Amtszeiten für den Präsidenten sollte damals abgeschafft werden. Aber nur für den Präsidenten. Bei der jetzigen Abstimmung geht es generell um die Änderung dieses Prinzips für alle Mandatsträger und nichts weiter.

Wie die Venezolaner die nun angestrebte Verfassungsänderung schon einmal abgelehnt haben können, bleibt das Geheimnis der Agenturen.

Bei der österreichischen Tageszeitung Standard heißt es wenigstens:

"Ein erstes Referendum zu dieser Thematik war im Dezember 2007 gescheitert. Damals hatte sich die unbegrenzte Wiederwahlmöglichkeit nur auf das Präsidentenamt bezogen. Diesmal soll es für alle gewählten Volksvertreter gelten."

Doch auch hier wird ungenau Berichtet: Das Referendum 2007 war eben nicht "zu dieser Thematik" – sondern zu einer umfangreichen Verfassungsreform, die einen Teilaspekt der nun angestrebten Änderung enthielt.

Differenzierung scheint bei Berichterstattung über Bananenrepubliken nicht notwendig, so der Eindruck über die Agentur-Redaktionen.