Das TPP-Abkommen vollendet, was mit der Diktatur in Chile begann

Kurz bevor er gestürzt wurde warnte Salvador Allende vor den katastrophalen Auswirkungen des Neoliberalismus und hatte Recht, beunruhigt zu sein

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Am frühen Morgen des 11. September 1973: Allende auf dem Balkon des Präsidentenpalastes La Moneda
Am frühen Morgen des 11. September 1973: Allende auf dem Balkon des Präsidentenpalastes La Moneda

Dieser 11. September war der 42. Jahrestag des US-gestützten Putsches gegen die von dem Sozialisten Salvador Allende geführte demokratisch gewählte chilenische Regierung und er bildete den Auftakt zu einer Schlacht, die bis heute andauert: In Chile sind die von Studenten, indigenen Völkern und Arbeitern geführten Proteste um die Zurückdrängung der "Neoliberalisierung" oder "Pinochetisierung" der Gesellschaft weiterhin ein Bestandteil des täglichen Lebens.

Der Neoliberalismus ist schwer zu definieren. Er könnte sich auf eine intensivierte Ausbeutung von Ressourcen, auf Finanzialisierung, Austeriät oder auch auf etwas Vergänglicheres, nämlich auf eine Lebensart beziehen, in der kollektive Ideale von Bürgerschaftlichkeit dem Weg zu einem vermarkteten Individualismus und Konsumismus Platz machen.

Allende lieferte jedoch schon 1972 in einer Rede vor den Vereinten Nationen weniger als ein Jahr vor seinem Sturz und seinem Tod eine ziemlich gute Definition dafür. Er sagte: "Wir stehen vor einer direkten Konfrontation zwischen den großen transnationalen Konzernen und den Staaten. Die Konzerne mischen sich in die grundlegenden politischen, ökonomischen und militärischen Entscheidungen der Staaten ein. Die Konzerne sind globale Organisationen, die von keinem Staat abhängig sind und deren Aktivitäten von keinem Parlament oder irgend einer anderen für das kollektive Interesse repräsentativen Institution kontrolliert werden und sind diesen auch nicht rechenschaftspflichtig. Kurzum, die gesamte politische Struktur der Welt wird untergraben."

Genau wie Rost schläft der Neoliberalismus nie. Die globale Klasse von Rentiers, die sich an den neoliberalen Besitzrechten bereichert, hatte ein Jahrzehnt zuvor gehofft, Lateinamerika unter dem die Hemisphäre überspannenden Freihandelsabkommen der Amerikas (ALCA) abzuriegeln. In seiner ursprünglichen Version war ALCA als spezielle Ausnahme für Washington und die Wall Street gedacht, die als globaler "Freihandel" unter dem Schirm der Doha-Runde der WHO fortentwickelt werden sollte. Es stellte eine Art ökonomischer Monroedoktrin dar, durch die die USA ihre regionale Hegemonie über Lateinamerika aufrecht zu erhalten vermochten, während sie, wenn es ihnen angebracht erschien, die Globalisierung weiter vorantreiben konnten. Dieses Vorhaben zerfiel jedoch mit der Rückkehr der lateinamerikanischen Linken nach dem "Washingtoner Konsens", die zu jener Zeit von Brasilien, Venezuela und Argentinien angeführt wurde. Und die Doha-Runde kam zum Stillstand.

So kam Washington auf die Transpazifische Partnerschaft (TPP), einen Vertrag zwischen zwölf Ländern — darunter Chile, Peru und Mexiko — zurück, der von der Obama-Administration energisch vorangetrieben wurde. Er wurde von Lori Wallach sehr schön als NAFTA (North American Free Trade Associacion) auf Anabolika beschrieben. Wie von anderen ausgeführt wurde, geht es bei TPP eigentlich gar nicht um Handel, sondern eher um eine übernationale Regulationszwangsjacke, die das institutionalisiert, wovor Allende 1972 gewarnt hat.

Unter anderem hat TPP die Folge, Brasilien und Argentinien von den lateinamerikanischen pazifischen Randstaaten abzuspalten. Die südamerikanische Linke wird geschwächt und in die Defensive gedrängt, und die Vitalität mit der Lula, Chávez und Kirchner die unterschiedlichsten US-Initiativen wie den Krieg gegen den Irak, für den Handel, rund um das intellektuelle Eigentum und so weiter zurückgewiesen haben, ist allmählich geschwunden. In Brasilien hat Dilma kürzlich bei einer Reihe von Themen kapituliert, bei denen sie lange widerstanden hatte, einschließlich der Überwachung und der Annahme einer Anti-Terrorgesetzgebung (ganz zu schweigen von ihrem kürzlichen Besuch in New York, wo sie vor Henry Kissinger einen Kniefall machte). Das Teile-und-Herrsche des TPP würde durch die Schaffung einer divergierenden Reihe von ökonomischen Interessen unter benachbarten Ländern darüber hinaus die Möglichkeit einer politischen Solidarität gegen die von Washington vorangetriebenen Wirtschafts- und Sicherheitsstrategien begrenzen.

Das TPP-Projekt enthält eine Maßnahme, die - wenn sie vollzogen wird - den Putsch von 1973 gegen Allende vollenden würde: den Mechanismus einer Investoren-Staaten-Konfliktregelung (ISDS). Sie erlaubt es Konzernen und Investoren "Regierungen direkt vor Tribunalen aus drei Anwälten des Privatsektors, die nach Richtlinien von Weltbank und UN operieren, zu verklagen, um eine Steuerzahlerentschädigung für jedes inländische Gesetz zu verlangen, von dem die Investoren glauben, dass es ihre 'erwarteten Zukunftsprofite' vermindert." Lesen Sie dazu James Surowieckis Kommentar über ISDS im The New Yorker, und hier schreiben Elizabeth Warren, sowie der Public Citizen und The Atlantic zum Thema.

Das Prinzip hinter ISDS - dass Konzerne eine inhärentes Recht dazu haben, eine Kompensation für jegliche Regulierung zu fordern, die sich negativ auf ihre "erwarteten Zukunftsgewinne" auswirken könnte - ist eine vollkommene Negierung eines Grundprinzips von Allendes sozialistischem Programm: dass arme Länder nicht nur das Recht hatten ausländischen Besitz zu nationalisieren, sondern auch vergangene "Überschussprofite" von der Entschädigung für diesen Besitz abzuziehen, wobei alles angerechnet wird, was zwölf Prozent des Wertes eines Unternehmens überschreitet.

Allende und seine Volksfrontkoalition Unidad Popular beschlagnahmte nicht nur die Betriebe der Bergbauunternehmen Anaconda und Kennecott, sondern übergab ihnen, nachdem alle Abrechnungen getätigt waren, auch noch überfällige Wechsel über weitere Gelder. Am 28. September 1971 unterzeichnete Allende ein Dekret, das die von diesen Unternehmen geschuldeten "Überschussgewinne" mit 774 Millionen US-Dollar bezifferte (wie zu erwarten war, machen sich darum US-amerikanische und kanadische Bergbaugesellschaften, einschließlich der aktuellen Variante von Anaconda für TPP stark). Dieses Dekret bildete einen Wendepunkt in der Geschichte internationaler Besitzrechte, während Washington (das seit der mexikanischen Revolution den Gedanken der Verstaatlichung widerwillig akzeptiert hatte) beschloss, dass seine Toleranz gegenüber dem Wirtschaftsnationalismus der Dritten Welt lang genug gedauert hatte.

Bei einem Treffen am 5. Oktober 1971 im Oval Office beklagte Finanzminister John Connally Präsident Nixon gegenüber: "Er [Allende] ist zurückgerudert und sagt, dass die Kupfergesellschaften 700 Millionen Dollar schulden. Das ist offensichtlich eine Farce, und er hat offenbar nicht die Absicht, Entschädigungen für den enteigneten Besitz zu zahlen. Er hat uns herausgefordert . Er hat uns den Fehdehandschuh hingeworfen. Jetzt sind wir am Zug."

Nixon sagte darauf hin, er habe "entschieden, dass wir für Allendes Entlassung sorgen werden."

Connally: "Das Einzige, worauf Sie jemals hoffen können ist, dass er gestürzt wird."

In den 1970er Jahren stand der Sozialismus mit dem Prinzip des "Überschussprofits", der laut Allendes Worten als Weg für ausgebeutete Länder gesehen wurde, um "historisches Unrecht zu korrigieren", am Horizont des Möglichen. Heute kann man die Nationalisierung vergessen, ganz zu schweigen vom Sozialismus. Wenn TPP unterzeichnet und ISDS in Kraft gesetzt wird, werden die Länder nicht mehr dazu in der Lage sein, den Bergbau zu beschränken, um ihre Wasserversorgung abzusichern oder gar eine Anti-Tabak-Regulierung durchzusetzen.

Während die Obama-Administration ihre letzten Anstrengungen für TPP unternimmt, ist es dieser 11. September wert, einen Moment innezuhalten, um zu realisieren, warum all diese Menschen in Chile - und in Uruguay, Brasilien, Argentinien, Guatemala, El Salvador und in ganz Lateinamerika - gestorben sind und gefoltert wurden: zum Schutz der "Zukunftsgewinne" der multinationalen Konzerne.