Chiles Fischer gegen das Kapital

Ein Film soll den Kampf der Branche gegen Großreeder, Korruption und das Erbe Pinochets darstellen. Doch es fehlen Gelder, um das Projekt zu beenden

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Kleinfischer in Chile
Kleinfischer in Chile

Seit dem Jahr 2013 entsteht ein Dokumentarfilm über die kleingewerbliche Fischerei in Chile. Der Streifen dokumentiert den Kampf der Fischer gegen die Folgen des neoliberalen Systems. Beschrieben wird das Schicksal des Fischers in der dritten Generation, Cosme Caracciolo. Er nahm in Zentral- und Südchile 2013 und 2014 an den Dreharbeiten für den Dokumentarfilm “Camarada Océano – Gefährte Ozean” teil.

Das Non-profit-Projekt wird teilweise von Lighthouse, der Manfred-Hermsen-Stiftung, sowie der Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt und dem Evangelischen Zentrum für Entwicklungspolitische Filmarbeit gefördert. Nach Fertigstellung wird der Film den Berufsverbänden und Gewerkschaften der kleingewerblichen Fischer in Chile sowie dem ICSF-International Collective in Support of Fishworkers kostenlos ausgehändigt.

Das Projekt wurde vom brasilianischen Filmemacher deutscher Herkunft, Frederico Füllgraf, – in Deutschland bekannt für seine Dokfilme “Unser Täglich Gift” (1985) und “Bitter Orange” (1997) – konzipiert und in Zusammenarbeit mit vielfältigen Akteuren im weltweiten Kampf für Meeresschutz und nachhaltige Fischerei entwickelt. Hinter dem Projekt stehen kleingewerbliche Fischer-Gewerkschaften und die NGO Ecoceanos in Chile sowie die spanische Fundación Lonxanet.

Mit lediglich 60 Prozent der eingereichten Kalkulation gelang es dem Filmteam, in Chile 90 Prozenz des geplanten Materials zu drehen. Für die Endfertigung fehlen jedoch noch bescheidene 3.000 Euro.

Mit diesem Crowd-funding-Aufrufrichtet sich nun die Filmproduktion an die deutsche Öffentlichkeit. Auch Kleinbeträge helfen, um den Film, parallel zur spanischen Originalversion, auch in deutscher und englischer Version bis bis Jahresende 2015 uraufzuführen.

Spenden richten Sie an:

Filmprojekt "Gefährte Ozean - Camarada Océano"

Frederico Füllgraf 

Deutsche Kreditbank

IBAN DE48 1203 0000 1015 3959 48


Herr Füllgraf, Sie wollen einen Film über Kleinfischerei in Chile drehen. Ein ziemliches Spartenthema, oder?

Vorweg zur Richtigstellung: Die Dreharbeiten zu diesem Film sind – bis auf ein paar fehlende Detailaufnahmen – 2014 längst abgeschlossen worden. Wofür wir jetzt noch bescheidene finanzielle Unterstützung brauchen, ist der Schnitt. Nun, ob das ein Spartenthema ist, das kann man unterschiedlich beurteilen. Ich gehe davon aus, dass nur wenige Fisch-Konsumenten weltweit eine Ahnung vom Zustand der Meere auf diesem Planeten haben. Vom Raubbau der industriellen Großfischerei, die den existentiellen Ruin der sogenannten kleinskaligen, also kleingewerblichen Fischer herbeigeführt hat. Nach alledem, was wir zwischen 2013 und 2014 in Chile erfahren und dokumentieren konnten, führen die „Artesanales“, wie sie in Hispano-Amerika genannt werden, einen Kampf auf Leben und Tod. Ohne Übertreibung: Einem der ältesten, ja biblischen Berufe droht die Vernichtung. Das hat mit der großräumigen, biologischen Plünderung zu tun. Der Film ist zugleich eine Familienchronik und eine Fallstudie über den brutalen, unverantwortlichen Umgang der Fischereiindustrie mit den Naturressourcen. Und das ist dann beileibe kein Spartenthema mehr.

Was hat das Fischerei-Gewerbe in Lateinamerika mit der neoliberalen Globalisierung zu tun?

Etwas überspitzt formuliert, darf man sagen, dass im Chile General Augusto Pinochets, Friedrich Hayeks und Milton Friedmans Neoliberalismus zur Staatsreligion verordnet wurde. Alles, was durch geltendes Recht bis zur Regierung Salvador Allendes geschützt war – von freien Gewerkschaften bis zum Fischerei-Recht – wurde zerschlagen und rücksichtslos dereguliert. Was öffentlich und staatliches Eigentum war, wurde privatisiert. So kam es zum weltweit medial kolportierten "chilenischen Modell". Dass es bis heute nachwirkt, liegt im "demokratischen Übergang" begründet, auf den sich die Regierungen des Bündnisses Concertación – heute "Nueva Mayoría" – mit der Diktatur und den neuen Mega-Kapitalisten im Schatten eingelassen haben. Nur so erklärt sich, dass noch im Dezember 2012 ein neues Fischerei-Gesetz – die „Ley Longueira“ – vom damaligen rechtsextremen Wirtschaftsminister Pablo Longueira mit nachweislich geschmierten Parlamentarier-Stimmen verabschiedet werden konnte. Das ist das Gesetz gegen das die Artesanales seit drei Jahren mit Petitionen, Demonstrationen, brennenden Barrikaden und Steinhagel gegen die Polizei Sturm laufen, weil es die drakonische Privatisierungen der chilenischen Fischgründe verordnete. Tausende Kilometer Küste wurden im Konzessionsverfahren an sieben Reederei-Familien – lebenslänglich und vererbbar – „verpachtet". Und mindestens 80.000 kleingewerbliche Fischer wurden auf einen maximal 1,5 Kilometer breiten Meerstreifen vor der Küste zusammengepfercht, den sie nicht verlassen dürfen.

Es heißt aber auch, dass ein Schleppnetzverbot durchgesetzt worden sein soll. Welche Gebiete betrifft das und wie kam es dazu?

Das vor wenigen Wochen von der Fischerei-Behörde Sernapesca durchgesetzte Schleppnetzverbot ist wieder so ein Fall medialer Kolportage, die die Artesanales besänftigen soll. Es ist überhaupt kein vollständiges, sondern ein minimales Teilverbot, begrenzt auf 177 Unterwasser-Biotope, mit der lächerlichen Ausdehnung von 68.00 Quadratkilometern. Die "Mar Chileno", also die als "exklusive Wirtschaftszone" beanspruchte "chilenische See" hat aber eine Ausdehnung von 3.681.989 Quadratkilometern, in denen die sieben Grossreeder weiterhin ihr Unheil treiben dürfen. Bezeichnend ist, dass die bestehenden, biologisch geschützten Meeresbiotope nicht einmal in das Verbot eingeschlossen wurden.

Sie wollen den Film später Fischereiverbänden zur Verfügung stellen. Das klingt nach Aktivismus im Journalismus …

Wirklich? Nun, dazu muss ich erklären, dass ich ja aus dem audiovisuellen Journalismus komme. Ich habe zwar Publizistik an der FU Berlin studiert, das Filmhandwerk musste ich mir jedoch an der DFFB-Deutsche Film + Fernsehakademie und im öffentlich-rechtlichen TV-Betrieb aneignen. Das begann im alten, ehrenwerten "Kennzeichen D", im ZDF, und setzte sich fort im WDR und der Deutschen Welle TV, für die ich Jahre lang von Rio de Janeiro aus, als Autor – oder als "Auftragsproduzent", wie es im  Vertragsjargon heißt – tätig war. Das gehört alles zum Genre News und Reportage. Anders verhält es sich mit mehreren meiner Dokfilme, die seit mehr als 20 Jahren von der in Stuttgart ansässigen EZEF-Evangelischen Zentrale für Entwicklungspolitische Filmarbeit vertrieben werden. Das ist also genuine Autoren-Filmarbeit. Aber zugegeben: Für alle der in diesen Filmen bearbeiteten Themen – Pestizid-Schock, Kinderarbeit, die Fluten des Itaipu-Staudamms und andere – trieb mich kollektives Interesse an. Da zaudere ich nicht lange, da bin ich erfreuter "Grenzüberschreiter", auch wenn das Verlassen der "neutralen" journalistischen Kontemplation Naserümpfen bei Kollegen auslöst, die sich als Reinheitsbeschützer der journalistischen Schöpfung verstehen. 

In diesem Projekt, das von Beginn an mit dem Ziel gedreht wurde, die Gewerkschaften der Artesanales mit einem runden Stück über ihre eigene Geschichte und ihren Einsatz für eine andere, nachhaltige Art zu fischen, auszustatten, sehe ich mich als bescheidenen "Dienstleistenden". Nichts weiter.

Sehen Sie eine Chance, die großen deutschen Sendeanstalten für das Thema zu begeistern?

Ich hoffe, ja. Das will ich aber in Deutschland mit der EZEF – mit der ich einen Vetrag über die ausschliesslichen nicht-kommerziellem Vertriebsrechte habe – gründlich besprechen. Möglicherweise werden wir eine potentielle deutsche TV-Fassung mit einer publikumswirksamen Einführung ausstatten, zum Beispiel, mit einer magisch anmutenden Bildfolge von den Chemamules – den bis vier Meter hohen Holz-Skulpturen der indianischen Lafkenche-Fischer in Tirúa, die auf dem Festland 30 Kilometer vor der Insel Mocha, im Hintergrund, aufgestellt sind. Wer in Deutschland ahnt, dass die Insel Mocha Quelle der Inspiration und literarische Geburtsstätte von Herman Melvilles "Moby Dick" war? Ich ahnte es kaum und war vollkommen verblüfft über den zufälligen Fund.

Herr Füllgraf, was fehlt Ihnen nun noch, um das Vorhaben in die Tat umzusetzen?

Streng nach eingereichter Kalkulation fehlen noch 8.000 Euro. Doch mit 3.500 Euro soll der Schnitt möglich sein, damit der Film so bald wie möglich uraufgeführt werden kann.