Haitis Regierung malt das Elend bunt an

Reformen in dem Karibikstaat bestehen oft nur aus kosmetischen Veränderungen. Doch wie sieht es hinter den Kulissen aus?

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Alles so schön bunt hier: Jalousie nach dem Anstrich
Alles so schön bunt hier: Jalousie nach dem Anstrich

Port au Prince. Rosa, grün, blau, rot. Von weitem gesehen leuchten die vielen Tausend Häuser wie ein Gemälde. Aber aus der Entfernung kann man nicht das Leid und die Gefahr erkennen, die die Einwohner des Stadtviertels Jalousie in der Hauptstadt Haitis bedrohen.

Die Regierung gibt an, sechs Millionen Dollar für die Verschönerung des Viertels ausgegeben zu haben.

Im letzten Monat hat eine Studie herausgefunden, dass dieses Elendsviertel, das auf einem Hügel liegt und in dem zwischen 45.000 und 50.000 Menschen leben, sich auf einer geologischen Verwerfung befindet.

"Es gibt nicht nur diese Verwerfung, die sich durch ganz Jalousie zieht, es besteht auch die ernsthafte Gefahr eines Erdrutsches in dieser Gegend", erklärte auf einer Pressekonferenz am 2. August der Geologe Claude Prépetit, einer der Verfasser einer neuen seismologischen Studie von Port au Prince.

Viele der kleinen Häuser von Jalousie sind an einem Berghang erbaut, auf sehr steilem Gelände oder in Schluchten, die als Ablaufrinne für Regenwasser dienen.

Jedes Mal wenn es regnet, stürzen Wasserfluten die Abhänge herunter, auf denen man offiziell weder bauen noch Bäume fällen darf. Ohne Vegetation, die das Regenwasser absorbiert, kann der Schlamm Menschen, Tiere und ganze Häuser mit sich reißen.

Ein Dokument des Innenministeriums stellt fest, dass mehr als 1.300 Wohnungen verlegt werden müssen, weil sie die Bewohner und die Menschen im darunter liegenden Stadtviertel bedrohen. Im Jahr 2012 hat Minister Ronald Toussaint Pläne für einen solchen Umzug angekündigt, aber nach Protesten der betroffenen Bewohner intervenierte Präsident Michel Martelly, machte die Pläne rückgängig und entließ den Minister.

Jalousie ist eines der vielen zusammengepferchten und heimlich erbauten Stadtviertel, die die haitianische Hauptstadt umzingeln und hat weder eine Wasser- noch eine Abwasserversorgung. Einer UNESCO-Studie zufolge beträgt die Größe dieser Häuser zwischen acht und dreißig Quadratmetern, die Bevölkerungsdichte liegt bei bis zu 1.800 Personen pro Hektar.

Die winzig kleinen Betonhäuser liegen gegenüber von Geschäften, Restaurants, Hotels und Villen von Pétion-Ville, einer Gegend, in der die Elite Haitis wohnt und arbeitet. Die Einwohner von Jalousie, auch die Kinder, müssen täglich steile Treppen erklimmen, um Wasser zu holen, das sie auf dem Kopf nach Hause tragen. Jeder 19-Liter-Eimer kostet bis zu 35 Centimes und ist 19 Kilo schwer.

Die haitianische Regierung behauptet, ungefähr sechs Millionen US-Dollar in Jalousie zu investieren, aber nicht, um die Gefahren zu verringern oder die Versorgung zu verbessern.

Was die Regierung dort macht, ist für viele ein "Überschminken": Sie lässt die Häuser im Rahmen des Projekts "Buntes Jalousie" bemalen, als Andenken an den haitianischen Künstler Préfète Duffaut (1923-2012), der seine Werke mit bunt bemalten Häusern bestückte.

Die erste Phase kostete 1,2 Millionen US-Dollar und wurde Anfang dieses Jahres fertig gestellt, gleichzeitig mit der Einweihung des Fünf-Sterne-Hotels Occidental Royal Oasis, in dem ein einfaches Zimmer 175 US-Dollar und eine "Junior Suite" mehr als 350 US-Dollar kostet. Zwei Nächte in einer Suite entsprechen mehr als dem, was die Mehrheit der Haitianer in einem Jahr verdient.

Das Oasis liegt dem Stadtviertel Jalousie gegenüber. In der ersten Phase wurden mehr als tausend Häuser bunt gestrichen, um den Anblick ein wenig angenehmer zu gestalten und beinhaltete angeblich auch eine "Erneuerung" einiger Wohnungen, obgleich keiner der 25 von Haiti Grassroots Watch (HGW) befragten Bewohner sagte, dass sein Haus mehr als einen Anstrich bekommen hätte.

"Die zweite Phase wird noch besser werden", sagte Premierminister Laurent Lamothe anlässlich der Einweihung am 16. August zu der kleinen, auf einem Fußballfeld versammelten Menge. Lamothe zufolge wird das noch einmal fünf Millionen US-Dollar kosten.

Der Premierminister kündigte an, dass noch 3.000 Häuser angestrichen würden und dass das lokale Fußballfeld noch neue Tribünen, Umkleidekabinen und künstlichen Rasen bekäme. Er versprach auch eine 1,2 Kilometer lange asphaltierte Straße und die Ausbesserung von 2,8 Kilometer Wegen.

Während Lamothe sich in Lobreden über das Projekt erging, riefen circa zwanzig Demonstranten mit Plakaten: "Wir wollen Wasser! Wir haben kein Wasser!", "Schulen!" und "Wir brauchen ein Krankenhaus!".

Der Premierminister bat sie um "Geduld" und fügte hinzu, dass "alle Probleme nach und nach angegangen würden, aber Sie wissen, dass Sie viele Probleme haben und wir versuchen, mit wenig Mitteln viel zu erreichen".

In einer kleinen Umfrage hat HGW festgestellt, dass weitere Malerarbeiten nicht das wichtigste für die Bewohner sind. 24 von 25 befragten Personen sagten, am notwendigsten bräuchten sie Schulen für ihre Kinder, und ein Viertel der Befragten gab an, dass sie einen besseren Zugang zur Wasserversorgung bräuchten.

Mindestens eine Anwohnerin – die, wie die meisten von HGW Befragten, ihren Namen nicht preisgeben wollte – hatte keine Geduld mehr. "Was wir brauchen, ist Wasser und Strom", sagte eine Frau, die zusammen mit elf weiteren Personen in einem kleinen Haus lebt, darunter zwei Kinder, die keine Schule besuchen.

Keiner der Befragten wurde vor dem Anstreichen der Häuser nach seiner Zustimmung gefragt, noch nicht einmal nach der Farbe seiner Wahl.

Eine Frau, die auf ihrer kleinen Veranda Wäsche wäscht, sagte, dass sie zum Zeitpunkt des Anstrichs gar nicht zu Hause war und dass sie damit überhaupt nicht einverstanden sei.

"Ich kann mein Haus selber anstreichen", sagte sie. "Als ich zurückkam, waren die Wände voller Farbflecken."

Von weitem sehen die bunten Häuser attraktiv aus. Aber die Häuser, die nicht dem Hotel gegenüber liegen, sind weiterhin triste graue Betonblöcke. Auch die anderen Häuser haben nur einen Teilanstrich auf einer Wand erhalten. Ein Einwohner von Jalousie, Sylvester Telfort, ist wie viele andere der Meinung: Das Projekt soll das Elendsviertel "schminken", weil es direkt gegenüber dem Oasis und einem weiteren neuen Hotel, dem Best Western Premier, liegt.

Auf seiner Internetpräsenz verspricht das Oasis seinen Kunden "einen wunderbaren Blick auf die Stadt". Das Best Western, in dem eine Übernachtung 150 US-Dollar kostet, sagt seinen zukünftigen Kunden, dass das Hotel "auf den wunderschönen Hügeln von Pétion-Ville liegt, einem bekannten und modernen Stadtteil von Port au Prince".

"Das Anstreich-Projekt von Jalousie ist nichts anderes als ein Beschwichtigungsversuch der Regierung, um die Bourgeoisie zufrieden zu stellen, die seit Jahren versucht, uns zu vertreiben", erklärte Telfort. "Sie können keine Bombe werfen, um die Leute los zu werden. Sie brauchten also einen anderen Ansatz, und so strichen sie unsere Häuser bunt an."

Der ehemalige Umweltminister ist besorgt. "Die Lage auf dem Berghang L`Hopital ist chaotisch. Es geht hier um die öffentliche Sicherheit. Die Betonbauten verhindern, dass der Boden das Regenwasser aufnehmen kann. Einfach nur anstreichen ist keine Antwort", sagte Toussaint der HGW.

Der Koordinator der seismologischen Studien, Claude Prépetit, bestätigt, dass viele Einwohner sich "wegen des Risikos von Erdrutschen und Schlammlawinen, und ebenso wegen der Ausweitung der Vibrationen während eines Erdbebens" in Gefahr befänden.

Prépetit ist der Meinung, dass die Regierung "alle zukünftigen Bauten in der Gegend" verbieten sollte, und außerdem "die gefährlichsten Regionen kennzeichnen und alle Menschen, deren Leben auf dem Spiel steht, aus diesen Gebieten umsiedeln sollte."

Als letzte Maßnahme, nachdem man garantiert hat, dass den Menschen dort alle Versorgungsleistungen zur Verfügung stehen, "kann man die Hausfassaden der Häuser anstreichen, wenn die Bewohner ihre Erlaubnis dazu gegeben haben und sie diese verschönern lassen wollen", fügte er hinzu.

Während seines Besuchs in dem Elendsviertel, kaum vierzehn Tage, nachdem Prépetit und andere Fachleute eine Erdverwerfung für möglich gehalten haben, erwähnte Lamothe die seismischen Gefahren mit keinem Wort.

"Man wird schon sehen, was wir alles tun können, um das Leben der Menschen dort zu verbessern", versprach er. "Sie werden stolz sein! Sie werden glücklich sein!"

Nach dieser Rede stiegen Lamothe und sein Gefolge in einen Geländewagen und fuhren wieder von dem Hügel herunter. Die Bewohner kehrten wieder zu ihren täglichen Auf- und Abstiegen zum Wasserholen zurück und versuchen, einen weiteren Tag in dem Viertel zu überleben, das das Best Western einen "modernen Stadtteil" nennt.


Haiti Grassroots Watch ist eine Vereinigung von AlterPresse, der Sociedad de Animación y Comunicación Social (SAKS), dem Red de Mujeres de Radios Comunitarias (REFRAKA), Gemeinschaftsradiosendern der Asociación de Medios Comunitarios Haitianos und von Studenten des Laboratorio de Periodismo der staatlichen Universität von Haiti.