Der Weg zur Agrarreform

Frei Betto über den neuen Minister für Landwirtschaft, Pepe Vargas, und die Anforderungen an eine neue Umweltpolitik für Brasilien

Ein weiterer Minister ist gefallen, dieses Mal der Minister für Agrarentwicklung. Und der, der ihn ersetzen soll, ist bereits benannt worden: Pepe Vargas von der PT-RS (Partido dos Trabalhadores - Rio Grande do Sur), der bereits für zwei Wahlperioden Gouverneur des Bundesstaates Caixas do Sul war und über gute Beziehung zur MST (Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra - die Brasilianische Bauern-Landlosenbewegung) verfügt.

Es besteht die Hoffnung, dass die Präsidentin Dilma Rousseff damit den ersten der drei dringenden Schritte getan hat, damit Brasilien, so wie es ihr Berater Acacio betont, im "Konzert der Nationen" kein schlechtes Bild abgibt. Die anderen beiden Schritte sind zum einen das Veto gegen den vom Senat vorgeschlagenen Código Forestal (Waldnutzungskodex) und eine neue Umwelt- und Agrarpolitik, welche das Land darauf vorbereitet, im Juni Gastgeber der Rio+20-Sitzung zu werden.

Die Agrarfrage ist der dunkelste Fleck auf der Weste der brasilianischen Nation. Niemals gab es bisher eine Agrarreform. Oder besser gesagt, gab es eine einzige, deren Modell auf die Absicherung der Klasse der Großgrundbesitzer abzielte: Die Einteilung unseres Landes in vererbliche Capitanías durch den portuguisischen Königshof.

Seit 2008 ist Brasilien wieder Weltführer im Verbrauch von Agrargiften und verwies damit sogar die USA auf den zweiten Platz. Laut der UNO sind die meisten in Brasilien verwendeten Agrargifte in anderen Ländern bereits verboten. Hier werden sie verwendet, um die Produktivität im Bereich der landwirtschaftlichen Rohstoffe zu erhöhen.

Es reicht an dieser Stelle der Hinweis, dass 50 Prozent dieser Chemikalien in der Soyaproduktion angewendet werden, deren Produkte wohl vorwiegend als Tierfutter in den Export gehen. Das Schwerwiegendste ist dabei, dass die Regierung seit 1997 Agrargiften einen sechzigprozentigen Nachlass auf die ICMS (Umsatzsteuer) gewährt. Und die Versicherung soll dann für die gesundheitlichen Folgen bei den Feldarbeitern und uns allen aufkommen, die wir vergiftete Produkte zu uns nehmen.

Die Agrargifte kontaminieren aber nicht nur Lebensmittel, sondern sind auch für die Verschmutzung des Bodens und die Schädigung der Biodiversität verantwortlich. Sie verschlechtern die Qualtät der Luft, des Wassers und der Erde. Und dies alles unter Zustimmung dreier Ministerien, welche die chemischen Stoffe angeblich analysiert hatten, bevor sie für den Markt freigegeben wurden: das Gesundheits-, das Landwirtschafts- und das Umweltministerium.

Die Behauptung, dass diese Agrargifte zur Versorgungssicherheit beitragen würden, ist eine Täuschung. Die Statistiken zeigen, dass die Steigerung des Verbauchs an diesen Stoffen keinen positiven Effekt für die Minderung des Hungers auf der Welt hat.

Die Nationale Agentur der Gesundheitsaufsicht (ANVISA) versucht die Kontrolle über die Qualität und die Folgen von Agrargiften zu behalten. Aber wenn gegen ihre Entscheidungen ein Veto eingelegt wird, fällt es der ANVISA schwer, sich gegen den Druck der Landwirtschaftslobby durchzusetzen, den diese auf verschiedenen Staatsorgane ausüben, insbesondere auf die Gerichtsbarkeiten.

Der Weltumweltgipfel in Südafrika veröffentlichte 2002 eine Mitteilung in welcher behauptet wird, dass die weltweite Produktion von Nahrungsmittel hinsichtlich Volumen und Preis gerade wegen der Anwendung von Agrargiften und transgenen Samen gestiegen sei. Die Folgen sind aber Verwüstung der Böden, Kontaminierung und Verschwendung von Wasser, die Zerstörung der Artenvielfalt und die Invasion in Gebiete, die von traditionellen Gemeinschaften bewohnt sind (Indigene, Stämme, Kleinbauern usw.) Deshalb ist wohl eindeutig klar, dass die so genannte "Grüne Revolution" gescheitert ist.

Heute sind wir auf diesem Planeten sieben Milliarden Münder. Im Jahr 2050 werden wir neun Milliarden sein. Wenn wir nicht die nötigen Maßnahmen ergreifen, wird sich die Nachhaltigkeit der Agrarproduktion rapide verschlechtern. Angesichts dieser Vorwarnung empfiehlt das Dokument die Verwüstung zu reduzieren, den Erhalt, die Bewirtschaftung und Verteilung von Wasser zu verbessern, die Biodiversität zu schützen, für die nachhaltige Waldnutzung zu werben und die Information über die Wirkung des Klimawechsels auszuweiten.

Insbesondere hinsichtlich des ersten und dritten Punktes geht die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung: Die Flächen mit extensiver Produktion von Monokulturen werden immer mehr vergrößert und dabei wird die Artenvielfalt zerstört, was wiederum das Risiko von Schädlingsbefall erhöht. Da die Schädlinge keine natürlichen Feinde mehr vorfinden, greift man zurück auf Mittel, die den Boden und das Wasser vergiften. Und häufig bringt auch diese Taktik keine Ergebnisse. Im Bundesstaat Ceará ist eine große Ananasplantage gescheitert, obwohl man 18 verschiedene "Agrarschutzmittel" angewendet hatte.

Es bleibt nur zu hoffen, dass es Minister Pepe Vargas gelingt, eine interministeriale Verständigung darüber zu entwickeln, dass Brasilien von seiner "Offenheit" für die multinationalen Unternehmen befreit werden muss, verantwortlich für mangelnde Nachhaltigkeit und Abwertung unseres Umwelterbes. Die Ansiedlung von Familien ohne eignen Boden, die an den Rändern der Autobahnen campieren, sollte ebenso beschleunigt werden, wie die sozial motivierte Enteignung von ungenutzten Ländereien, oder solchen die durch Sklavenarbeit bewirtschaftet werden.

Die Regierung ist in ihrem Charakter der Ausdruck des Volkswillen und diesem sollte sie dienen. Das bedeutet einen ständigen Dialog mit sozialen Bewegungen, die sich für Umwelt- und Landwirtschaftsfragen einsetzen, in diesem Sinne siamesiche Zwillinge, die niemals getrennt werden können.


Frei Betto ist Schriftsteller, unter anderem veröffentlichte er zusammen mit Marcelo Gleiser das Buch "Conversación sobre la fe y la ciencia" (Gesrpäche über Glauben und Wissenschaft)

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