"Umweltschutz ohne Agrarreform ist Makulatur"

Die Novelle des brasilianischen Waldgesetzes gefährdet Amazonas und Klima. Ein Gespräch mit Eva Bulling-Schröter über die Grenzen nachhaltiger Wachstumslogik

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Eva-Bulling-Schröter ist Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag und umweltpolitische Sprecherin von Die Linke
Eva-Bulling-Schröter ist Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag und umweltpolitische Sprecherin von Die Linke

Entwicklungshilfe-Minister Dirk Niebel war letzte Woche auf Brasilien-Tour. Der FDP-Mann will Entwicklung zur Armutsbekämpfung mit Förderung der Privatwirtschaft verknüpfen, aber auch die Themen Wald und Weltklima standen auf der Tagesordnung. Ist mit dem Ex-Fallschirmjäger etwa ein grüner Heilsbringer vom Himmel gefallen?

Was Brasilien betrifft ist diese Bundesregierung weder vorrangig an der Umwelt interessiert noch an Nachhaltigkeit im Sinne ausbalancierter Entwicklung von Mensch, Umwelt und Wirtschaft. Natürlich wird Niebel medienwirksam über den Kampf gegen Armut sprechen, sich als ökologisch bewusster Liberaler geben und Brasiliens Beitrag zum Klimaschutz einfordern. Doch der Mann, der sein Ministerium am liebsten abgeschafft sieht, sagt ganz klar: Entwicklungshilfe nur da, wo es für die deutsche Wirtschaft was zu holen gibt. Und da sind wir schon beim Motiv des Brasilien-Trips, der ganze sechs Tage dauert. Die Bundesregierung und ihre Ministerien buhlen angesichts drohender Rezession um Aufträge für das ganz große Business. Schwergewicht Brasilien ist wichtigster Handelspartner Deutschlands in Südamerika. Thyssen Krupp, Siemens, Bayer und BASF investieren Milliarden in Stahlwerke, Telekommunikation, Infrastruktur und Agrobusiness. Fußball-WM 2014, Olympia 2016, Wachstumsraten über 7 Prozent, darum geht es bei der Niebel-Reise, von diesem Kuchen wollen deutsche Firmen nicht nur die Krümel.

Wirtschaftswachstum gleich Wohlstand für Alle, und dazu noch umweltverträglich mit sauberer Energie und weniger Rohstoffverbrauch, das ist doch ein schönes Nachhaltigkeitsversprechen, auch für Brasilien …

Wir sind heute längst an die Grenzen von Natur und Wachstum gestoßen. Ressourcenverbrauch und hohe Schadstoffemissionen gefährden Mensch und Wirtschaft. Wälder, gute Böden, Fischbestände, Artenvielfalt sind weltweit auf dem Rückzug, auch in Brasilien. Das Wetter wird extremer, in Südamerika durch Gletscherschmelze, Bodenerosion, heftige Regenfälle und Dürreperioden, es gibt immer mehr Klimaflüchtlinge. Als einzige Medizin gegen diesen Trend propagiert die Bundesregierung international abgestimmtes Handeln der vermeintlichen Staatengemeinschaft. Über vertraglich festgeschriebene Schadstoff-Reduktionen und Mechanismen wie CO2-Handel will man Klimawandel und Umweltzerstörung stoppen. Hinter der schillernden Öko-Fassade aber steckt weiter die neoliberale Logik, allein der Markt könne die Probleme der Menschheit lösen. Was kaum jemand weiß, die CO2-Preise sind im Sinkflug, der Anreiz für die Unternehmen, weniger Klimakiller in die Luft zu pusten, droht wegzufallen.

Auf welchem Auge sind Merkel&Co blind?

Es sind Wirtschaftsinteressen und Eigentumsfragen, die stur ausgeklammert werden, und das, obwohl sie für ein Umsteuern in Richtung sozial-ökologischen Umbau dringend angegangen werden müssen. Wir alle müssen uns die Frage stellen, welches Wachstum wir wollen.

Bestes Beispiel für Wachstumslogik ohne Bremsen ist die Novellierung des Waldgesetzes in Brasilien. Was ist da geplant?

Brasilien hat seit 1990 eine Fläche so groß wie Frankreich abgeholzt, über 55 Millionen Hektar. Umweltschutz hat immerhin zu einer Verlangsamung dieses Kahlschlags geführt. Doch die Novelle, hinter der die mächtige Agrarlobby steht, sieht eine Amnestie für 40 Millionen Hektar illegalen Holzeinschlag von vor 2008 vor, was einer Legalisierung gleichkommt. Musste im Amazonas Landbesitz zu 80 Prozent bewaldet sein, sollen es jetzt nur 50 Prozent sein. 90 Prozent des Landbesitzes sollen von der Pflicht zur Wiederaufforstung befreit werden. Das sollte zwar nur für Kleinbauern gelten, wurde aber absichtlich unscharf gehalten. Stimmt nach der Abgeordnetenkammer im Mai auch noch der Senat zu, so droht laut Greenpeace die Abholzung weiterer 85 Millionen Hektar.

Wie wird in Brasilien seitens der Agrar-Lobby für die Novelle argumentiert?

Das sind Argumente wie in Deutschland. Der gesetzliche Schutz für Waldgebiete würde die internationale Wettbewerbsfähigkeit Brasiliens in Gefahr bringen. Betroffen von der Reglementierung seien Landwirtschaft und Viehzucht. Dabei ist diese Sicht zu kurz gefasst. Weniger Wald heißt mehr Erosion heißt höhere Produktionskosten. Schon jetzt verliert Brasilien durch Erosion pro Jahr Millionen Tonnen an Boden, was die Landwirtschaft durch Dünger und Insektizide wettzumachen sucht. Die Novelle würde den Verlust der Bodenqualität beschleunigen, zudem Rinderzucht auf Hügeln und Hängen erlaubt werden soll. Der bisherige Schaden dieser Wirtschaftsweise wird auf 4 Milliarden Euro jährlich beziffert. Geht die Novelle wie geplant durch den Senat, so kann per Veto nur noch Präsidentin Dilma Rousseff das Gesetz stoppen.

Was Auswirkungen auf den Klimaschutz hat?

Statt der zugesagten CO2-Ausstoßreduktion um eine Milliarde Tonnen würde Brasilien bis zu 25 Milliarden Tonnen mehr freisetzen. Das wäre der CO2-Ausstoß von Deutschland über 25 Jahre! Denn auch Mangroven sollen ihren Schutzstatus verlieren. Eine jüngste Studie hat ergeben, dass die Zerstörung der Sumpflandschaften für zehn Prozent der CO2-Emissionen durch Entwaldung verantwortlich sind. Die Linke. geht derzeit auf Politiker in der Regierungspartei PT und der kommunistischen PCdB zu. Denn das Gesetz kann gestoppt werden. Noch ringen drei Senats-Kommissionen um Änderungen, zwei werden vom Agrar-Block geleitet, eine vom umweltfreundlichen Ex-Landeschef im Bundesstaat Acre, Jorge Viana. Aber wie gesagt, Klimaschutz muss weiter gedacht werden als nur über CO2-Handel, gerade in einem Land wie Brasilien. Ohne eine Landreform bleibt Umweltschutz reine Makulatur, denn die Hälfte aller Agrarflächen wird von einem Prozent der Landbesitzer kontrolliert. Und die arbeiten mit Agrarmultis wie Bunge, Monsanto und Bayer zusammen, setzen auf Monokulturen wie Soja und Zuckerrohr, bedienen die Nachfrage aus den Industrieländern. Ich nenne da nur das Stichwort Biosprit, übrigens ein Steckenpferd der deutschen Ministerien für Wirtschaft und Verkehr. Ohne viel Lärm betreiben die Staatsminister Lobby-Arbeit für deutsche Unternehmen, und ihr Ansprechpartner Nummer eins ist da nun einmal der mächtige Agro-Block. Und dem ist das Klima egal. Ich hoffe übrigens , dass Niebel sich auch über die fünf ermordeten Umweltaktivisten informiert hat, die während der Debatte zum Waldgesetz Opfer von Auftragskillern wurden.