Hochrangige Ziele

Wikileaks: Israel und die USA unterstützten das kolumbianische Militär bei der gezielten Ermordung führender Aufständischer

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Verteidigungsminister Santos und General Freddy Padilla
Verteidigungsminister Santos und General Freddy Padilla

Über die Beteiligung Israels an den internen Konflikten in Lateinamerika wurde in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder spekuliert. Das kleine Land im Nahen Osten tauchte bei legalen wie illegalen Waffengeschäften auf, israelische Söldner spielten eine Rolle bei Washingtons verdecktem Kreuzzug gegen den Kommunismus im eigenen Hinterhof. Selten jedoch gelangten belastbare Fakten aus diesem schmutzigen Krieg an die Öffentlichkeit. Unter den Depeschen der amerikanischen Botschaft in Bogotá, welche Wikielaks vor zwei Tagen veröffentlichte, finden sich nun mehrere Berichte über die Zusammenarbeit zwischen israelischen und kolumbianischen Militärs bei einem "High-Value Target Program". Die Uribe-Regierung benötigte demnach vor allem israelische Unterstützung, um hochrangige Aufständische gezielt zu töten.

Den Wikileaks–Dokumenten zufolge kam es im Dezember 2006 zu mehren Treffen zwischen dem damaligen Verteidigungsminister Manuel Santos und dem Botschafter der USA, William B. Wood. Bei einer dieser Zusammenkünfte informierte Santos den Botschafter, dass die kolumbianische Regierung sich "unmittelbare Ergebnisse im Krieg gegen terroristische Gruppen" wünsche. Daher prüfe man die Möglichkeit, sich von Israel mit dessen "High-Value Target Program" helfen zu lassen. Laut Protokoll reagierte der Botschafter mit dem diplomatischen Hinweis, er teile die Bedenken internationaler Organisationen, was außergerichtliche Hinrichtungen "durch militärisches Personal" betreffe.

Kurz zuvor hatten nach Santos Angaben drei ehemalige israelische Offizielle Kolumbien besucht, darunter ein pensionierter Mossad-Offizier. Man habe sich geeinigt, dass die israelische Seite im Januar 2007 ein formales Ersuchen an die kolumbianische Regierung richtet. Das kolumbianische Militär verfüge zwar über "starke taktische Erfahrungen", es fehlt aber nach eigener Einschätzung an einem "effektiven System". Daher könnten die Israelis in dieser Angelegenheit eine große Hilfe sein. In den Wikileaks-Akten lässt sich der weitere Verlauf dieser Kooperation zwar nicht lückenlos nachvollziehen, allerdings verfasst die US-Botschaft zwei Jahre später, im November 2008, einen längeren Bericht zu Kolumbiens Beziehungen mit Israel. Darin tauchen auch die „hochrangigen Ziele“ wieder auf.

Der Depesche zufolge engagierte die Uribe-Regierung private Unternehmen, um speziell gegen "High Value Targets (HVTs)" vorzugehen. In den Jahren zuvor sei die militärische Führung des Landes "frustriert" über die niedrige Erfolgsrate bei der "Tötung oder Verhaftung von HVTs" gewesen. Daher seien ehemalige und auch aktive Offiziere des israelischen Militärs angeworben worden, die aus Spezialeinheiten oder dem militärischen Geheimdienst kommen. Die Schlüsselbereiche der israelisch-kolumbianischen Zusammenarbeit umfassen außerdem die strategische militärische Beratung, das Training von Special Forces und den Waffenhandel, heißt es indem Bericht weiter. Alle drei Bereiche dienen dazu, den Kampf gegen die FARC zu unterstützen. 

Umfassende Veränderungen der Sicherheit

Die amerikanische Botschaft erwähnt in ihren Berichten namentlich die von Yisrael Ziv geleitete Sicherheitsfirma Global CST. Das Unternehmen führe "strategische Beratung" durch. Bei ihrem Chef handle es sich um den früheren Leiter der Operationen der israelischen Armee und einen persönlichen Bekannten von Verteidigungsminister Santos. Die Beratung sei vor allem darauf ausgerichtet, die FARC zu besiegen, sie aber beinhalte auch eine Bewertung der externen Bedrohungen "unter anderem durch Venezuela und Ecuador". Im kolumbianischen Verteidigungsministerium laufe das Programm unter dem Namen "strategischer Sprung".

Dieser Sprung hat allerdings einen hohen Preis für die kolumbianischen Steuerzahler. Gleichzeitig mit dem "verstärkten Auftreten israelischer Berater" unterzeichnete die kolumbianische Regierung eine Reihe von Verträgen mit dem staatlichen Konzern Israel Aircraft Industries (IAI). Ein Vertrag beinhaltet die vollständige Überarbeitung Kolumbiens veralteter Mirage- und Kfir-Kampfflugzeuge. Außerdem verhandelt Kolumbien über die Anschaffung moderner Drohnen und Kriegsschiffe. Die Botschaft zitiert ein internes Dokument des kolumbianischen Verteidigungsministeriums, wonach bereits im Jahr 2007 fast 40 Prozent der Käufe von ausländischen Rüstungssgütern aus Israel stammen. Außerhalb der militärischen Zusammenarbeit seien die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen beiden Ländern "relativ begrenzt".

Gezielte Angriffe auf die Führung der Aufständischen

In den dokumentierten Gesprächen zwischen Verteidigungsminister Santos und der US-Botschaft wurden zwar keine konkreten militärischen Operationen genannt, allerdings lässt sich vor dem Hintergrund der nun veröffentlichten Depeschen erkennen, dass hinter den gezielten Angriffen auf Führungsmitglieder der Guerilla FARC in den Jahren 2007 bis 2010 ein systematisches Vorgehen steht. Immer wieder geht die Botschaft bei ihren Berichten auf die "Jagd nach HVT´s" ein. Der vorläufig letzte bekannt gewordene Angriff auf ein hochrangiges Zielt, die "Operation Sodom", bei der am 21. September 2010 der militärische Chef der FARC durch Bomben getötet wurde, liegt nicht mehr im Zeitraum der veröffentlichten Depeschen.

Bereits am 5. September 2007 berichtet die Botschaft, dass die kolumbianische Regierung das „High Value Target Tomas Medina“ durch ein „pre-down bombing“ getötet habe. Bei der Aktion gegen den Kommanden der 16. Front der FARC starben weitere 17 Personen. In einer ausführlichen Nachbesprechung im Oktober meldet der neue Botschafter Brownfield: Kolumbianisches High-Value-Target-Programm trägt Früchte. Darin wird die Unterstützung der USA für das Programm betont, insbesondere seien die US-Luftüberwachung und das Zentrum für nachrichtendienstliche Zusammenarbeit der Botschaft (EIFC) eingebunden. Von Bedenken gegen außerderichtliche Hinrichtungen ist nun keine Rede mehr. In einer detaillierten Bescheibung des HVT-Programms erwähnt Brownfield, dass das kolumbianische Militär über eine Zielliste mit zwölf Führungspersonen der FARC verfüge, deren Bewegungen von unterschiedlichen Zellen verfolgt werden. "Wenn die FARC nicht schnell reagieren, könnte eine Serie von Erfolgen gegen HVT´s  folgen", hofft Brownfield.

Der nächste Schlag gegen ein "hochrangiges Ziel" ereignete sich am 1. März 2008. An diesem Tag töten kolumbianische Truppen auf ecuadorianischem Hoheitsgebiet den Sprecher der FARC, Raúl Reyes. Ermittlungen der ecuadorianischen Behörden ergaben, dass mehrere Verletzte, darunter ein ecuadorianischer Staatsbürger, durch die nachrückenden Truppen hingerichtet wurden. Ein Untersuchungsbericht kam zu dem Ergebnis, dass der amerikanische Geheimdienst CIA den Angriff durch die Ortung des Lagers vorbereitet habe. Der Verteidigungsminister Ecuadors, Wellington Sandoval, berichtete außerdem, dass die Luftangriffe mithilfe von fünf "intelligenten Bomben" durchgeführt wurden, die mit einer hohen Zielgenauigkeit von Düsenjägern abgeworfen werden. Über eine solche Ausrüstung verfügen lateinamerikanische Streitkräfte nicht, so Wellington Sandoval.  

Kurz nach dem Tod von Raúl Reyes wurde mit Ivan Rios das jüngste Mitglied der siebenköpfigen FARC-Führung ermordet, angeblich durch mehrere seiner Mitkämpfer, die das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld kassieren wollten. Das FARC-Mitglied "Rojas" lieferte dem Militär den Laptop, die Ausweispapiere sowie eine abgeschnittene Hand von Ivan Rios. Nur wenige Wochen später stellte sich mit "Karina", der Kommandantin der Frente 47 der FARC, eine legendäre Guerillera den Streitkräften. Laut kolumbianischen Medienberichten hatten beide, „Karina“ und „Rojas“, schon lange vorher Kontakt zum kolumbianischen Geheimdienst DAS aufgenommen, um gemeinsam aus den FARC auszusteigen. Allerdings seien sie "überzeugt worden", vorher eines der Führungsmitglieder zu töten. 

Proteste gegen außerderichtliche Hinrichtungen

Vertreter der Opposition und der Generalstaatsanwalt Edgardo Maya Villazón griffen die Regierung scharf für die extralegalen Hinrichtungen an. Der Vorsitzende der Oppositionspartei Polo Democrático Alternativo, Carlos Gaviria Díaz, verwies auf den Verfassungartikel 11, der lautet: "Das Recht auf Leben ist unantastbar. Es gibt keine Todesstrafe." Diese Praxis der Regierung bei der Bekämpfung von Aufständischen laufe darauf hinaus, Verbrechen zu belohnen und die Todesstrafe zu legalisieren. Für die kolumbianische Regierung zählte in dieser Situation nur der militärische Erfolg, zumal kurz nach der Tötung von Raul Reyes, im März 2008, mit Manuel Marulanda auch der Gründer der FARC starb. 

Nur wenige Wochen später konnte die Regierung einen weiteren Erfolg verbuchen: Dem militärischen Geheimdienst gelang es, 15 Gefangene der FARC zu befreien, darunter die Abgeordnete Íngrid Betancourt und drei Staatsbürger der USA. Im Zuge dieser "Operation Schach" wurde in der Öffentlichkeit erstmalig über die Beteiligung israelischer Militärs spekuliert. Bereits kurz nach der Befreiungsaktion vermutete die Presse, die Mitglieder der Kommandos seien in Israel ausgebildet worden. Verteidigungsminister Manuel Santos betonte zwar, es habe keine "direkte Beteiligung" ausländischer Kräfte gegeben. Andererseits räumte er im gleichen Gespräch ein, dass die USA die Aktion mit Überwachungstechnik begleiteten.

Nicht zu unseren Bedingungen

Ab dem Jahr 2009 scheint die Kooperation zwischen Israel und Kolumbien bei US-Offiziellen auf immer stärkere Vorbehalte zu stoßen. In einer Depesche vom 23. April dieses Jahres erkundigt sich Hillary Clinton persönlich bei der Botschaft in Bogotá nach der Situation der Menschenrechte in Kolumbien. Noch vor der Frage, ob die außergerichtlichen Hinrichtungen zu- oder abgenommen haben, fragt das State Departement nach dem Stand der Kooperation mit Israel und deren wirtschaftlichem Umfang. Leider fehlt die Antwort auf den Fragenkatalog in der Wikileaks-Veröffentlichung, aber im November 2009 wird ein kolumbianischer Polizeigeneral in der Botschaft vorstellig und beschwert sich ausdrücklich über die Kooperation mit Global CST.

Laut Protokoll bezeichnet General Oscar Naranjo die Zusammenarbeit mit Yisrael Ziv als "Desaster" und berichtet von Geschäftsanbahnungen der Israelis in Panama und Peru. Dort habe er vor einer Zusammenarbeit mit Global CST gewarnt. Immer wieder dreht sich das Gespräch um einen Auftrag israelischer Drohnen. Zwischen dem neuen Verteidiungsminister und dem Armeechef General Freddy Padilla gab es offene Unstimmigkeiten, ob Kolumbien die Hermes-450-Drohnen aus Israel kaufen solle. Außerdem gebe es in Regierungskreisen inzwischen Bedenken, ob man mit einer privaten Firma geheimdienstliche Erkenntnisse, unter anderem aus den USA, teilen solle.

So habe ein Mitarbeiter von Global CST, ein in Argentinien geborener Israeli mit dem malerischen Namen Shai Killman versucht, Dokumente an die FARC zu verkaufen. Bei den Informationen handelte es sich ausgerechnet um die Datenbank über die "High-Value-Targets".