Ist die Entdollarisierung Lateinamerikas möglich?

Unter rechten Regierungen würde der Ausstieg aus der Dollarisierung auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung erfolgen

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Die Abkehr vom US-Dollar wird langfristig erwartet
Die Abkehr vom US-Dollar wird langfristig erwartet

Das Ende des Zweiten Weltkriegs war ein hoffnungsvoller Moment für die Menschheit. Die Organisation der Vereinten Nationen, die kurz zuvor (am 25. April 1945) als Ersatz für den Völkerbund (1919) gegründet worden war, verabschiedete am 25. Juni die UN-Charta, die zunächst von 51 Ländern unterzeichnet wurde.

Sie hatte folgende Ziele: Förderung und Erhaltung des Friedens in der Welt, Pflege freundschaftlicher Beziehungen zur Beilegung von Konflikten, Schutz der Menschenrechte, wirtschaftliche Entwicklung und Achtung der vereinbarten internationalen Normen.

Im Jahr 1948 verkündete die UNO die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte und neue Staaten traten der Organisation bei, die heute 193 Mitglieder hat.

Fast parallel dazu bildete die Konferenz von Bretton Woods (1944) den Ausgangspunkt für den Versuch einer wirtschaftlichen Globalisierung, wenn auch unter amerikanischer Hegemonie.

Dort wurden der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD, bekannt als Weltbank) ins Leben gerufen, die die Aussicht auf eine Koordinierung in zwei Bereichen konkretisierten: im monetär-finanziellen und im Entwicklungsbereich.

Im Bereich des Handels war es schwieriger, eine Einigung zu erzielen, obwohl 1948 das GATT (General Agreement on Tariffs and Trade) in Kraft trat, das de facto fast ein halbes Jahrhundert lang, wenn auch auf provisorischer Basis und ausschließlich den Warenhandel betreffend, zwischen den Vertragsparteien funktionierte.

Das unregelmäßige Funktionieren des GATT führte zur Uruguay-Runde (1986 bis 1994), aus der die Welthandelsorganisation (WTO, 1995) hervorging, die einen für alle Mitglieder rechtsverbindlich geregelten Weltmarkt nicht nur für den Warenhandel, sondern auch für den Handel mit Dienstleistungen und darüber hinaus für das geistige Eigentum konsolidierte. Bis 1997 waren 132 Länder der WTO beigetreten, darunter praktisch alle lateinamerikanischen Länder einschließlich Kuba.

Andererseits wurde im Zuge der Vereinbarungen von Bretton Woods der US-Dollar als internationale Tausch- und Reservewährung eingeführt. Es handelte sich um die Konsolidierung eines Systems, das praktisch schon seit Jahren eingeführt war, als die Länder den "Goldstandard" aufgaben, weil es ausreichte, den Dollar als Referenz zu nehmen, da die Federal Reserve (FR) die Golddeckung beibehielt (Gold Exchange Standard). 1971 gaben die USA unter Richard Nixon ihren Goldstandard auf. Dies änderte jedoch nichts an der Vorherrschaft des Dollars im internationalen Handel und in den Finanzbeziehungen.

Lange vor der Gründung der UNO und den Bretton-Woods-Abkommen, auf dem Höhepunkt der US-amerikanischen Expansion, wurden die Länder Lateinamerikas zum Ersten Panamerikanischen Finanzkongress eingeladen, der im Mai 1915 in Washington stattfand. Eine große Gruppe nordamerikanischer Bankiers und drei Vertreter aus jedem der 18 Länder nahmen daran teil: Argentinien, Bolivien, Brasilien, Chile, Kolumbien, Costa Rica, Kuba, Dominikanische Republik, Ecuador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama, Paraguay, Peru, El Salvador, Uruguay und Venezuela.

Zur Delegation der Republik Ecuador, die damals von dem liberalen Führer Leonidas Plaza Gutiérrez (1912-1916) präsidiert wurde, gehörten Dr. Juan Cueva García, Dr. Vicente Gonzales B. und Dr. Enrique Gallardo.

Die Ziele dieses Kongresses waren unter anderem, "engere und zufriedenstellendere Finanzbeziehungen herzustellen", die vom Krieg beeinträchtigten europäischen Kredite "durch Kredite aus den USA zu ersetzen", in allen Ländern Zweigstellen oder Agenturen der Federal Reserve einzurichten und eine "einheitliche Gesetzgebung" zur Durchsetzung des "Goldstandards" zu erreichen.

Diese monroistischen Ziele wurden jedoch nicht verwirklicht. So trat Lateinamerika erst nach dem Zweiten Weltkrieg dem System der Vereinten Nationen bei, indem es deren Charta und die Erklärung der Menschenrechte unterzeichnete. Die Staaten Lateinamerikas schlossen sich auch den durch die Bretton-Woods-Abkommen geschaffenen Institutionen an. In diesem Rahmen war die Hegemonie des Dollars unbestreitbar.

Panama verwendet den Dollar seit seiner Abspaltung von Kolumbien (1903), Argentinien hatte zeitweise die "Konvertibilität" seiner Währung mit dem Dollar eingeführt (1991), Ecuador hat seine Wirtschaft im Jahr 2000 auf den Dollar umgestellt, und andere Länder der Region haben eine De-facto-Dollarisierung ihrer Wirtschaft.

Der Krieg in der Ukraine hat die internationalen Verhältnisse des 21. Jahrhunderts auf unerwartete Weise verändert.

Der Institutionalismus der UN und eine "regelbasierte Welt" haben den ungerechtfertigten Interventionismus der Großmächte in verschiedenen Ländern nicht aufgehalten. Es gibt eine lange Geschichte von Auferlegungen, Interventionen, Drohungen und Sanktionen der USA gegen lateinamerikanische Länder.

Nachdem der Dollar als politisches und wirtschaftliches Instrument eingesetzt wurde, um sich auf dem Kontinent durchzusetzen, hat die Konfiguration einer neuen multipolaren Welt im 21. Jahrhundert, in der der Aufstieg Chinas, Russlands, der Brics und anderer Regionen hervorsticht, auch begonnen, das zu verändern, was bis vor dem Krieg in der Ukraine als unschlagbare Hegemonie des Dollars und des Swift-Systems galt.

Dies wurde in mindestens zwei einschlägigen Artikeln festgestellt: dem von Renaud Girard in Le Figaro und einem weiteren von Peter C. Earle vom American Institute for Economic Research (AIER)

Es ist klar, dass bilaterale Handelsabkommen zur Verwendung nationaler Währungen zunehmen (Indien, Iran, Dubai, Malaysia, Pakistan, Saudi-Arabien), während Russland und China ihre eigenen Zahlungssysteme geschaffen haben; die Brics-Staaten entfernen sich ebenfalls vom Dollar und planen eine gemeinsame Fiat-Währung; Brasilien und China haben sich darauf geeinigt, in ihren eigenen Währungen zu handeln; Brasilien und Argentinien diskutieren über eine gemeinsame Fiat-Währung; und eine Reihe afrikanischer Länder planen den Handel mit Wertpapieren, die mit seltenen Erden oder Metallen unterlegt sind.

In den USA herrschte daher nicht nur Unmut, sondern Alarm. Denn während ein massiver Ausstieg aus dem Dollar kurzfristig nicht in Sicht ist, wird die Abkehr vom Dollar doch langfristig erwartet und ist nach Ansicht des AIER ein unaufhaltsamer Trend. Ist das möglich?

Lateinamerika wird diese ungewisse wirtschaftliche Zukunft, die sich auf den Dollar auswirkt, bewerten müssen, insbesondere in Ländern, die informell oder vollständig "dollarisiert" sind.

In Ecuador haben Sprecher der politischen Rechten den Ausstieg aus der Dollarisierung bereits in Folge der Pandemie als unvermeidlich bezeichnet. Ihre Sorge ist offen unternehmerischer Natur.

Und genau darin liegt das Problem, denn wenn das gleiche wirtschaftsneoliberale und oligarchische Modell, das 2017 [Präsidentschaft Lenín Morenos] wiederhergestellt und ab 2021 [Präsidentschaft Guillermo Lassos] konsolidiert wurde, auch in Zukunft fortgesetzt wird, würde eine "Entdollarisierung" in den Händen rechter Regierungen in dem Glauben erfolgen, dass die Wirtschaftseliten dadurch nicht verlieren. Die "Entdollarisierung" würde auf Kosten der Mehrheit der Bevölkerung erfolgen.

Das Land hat bereits genug Erfahrung mit dieser Art von wirtschaftlichen "Lösungen", mit der Sucretisierung (1983) und der Resucretisierung (1987)1 der in US-Dollar aufgenommenen privaten Auslandsschulden, den millionenschweren Bankenrettungen und der Bankenschließung (1999/2000) sowie der Dollarisierung selbst, die aufgrund einer Reihe von vorteilhaften Ergebnissen zumindest bis jetzt aufrechterhalten wurde.

Vor diesem Hintergrund würde die "Entdollarisierung", die in Lateinamerika Anlass zur Sorge bereiten könnte, unter Kontrolle einer Regierung der Unternehmen mit Sicherheit zu einer Verschlechterung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Bevölkerung führen.

  • 1. Durch diese umstrittene Maßnahme während der Amtszeit der neoliberalen Regierung Oswaldo Hurtados (1983) wurden 1,63 Milliarden in Dollar aufgenommene Schulden des Privatsektors durch die Zentralbank übernommen. Diese verpflichtete die betroffenen Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen zur Rückzahlung der Schulden in Sucre. Die Maßnahme wirkte durch die starke Abwertung des Sucre als massive Subventionierung der Eliten durch den Staat. Die 1987 durch die rechtsgerichtete Regierung Febres-Corderos beschlossene Resucretisierung führte zu weiteren Vorteilen für die betroffenen Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen. https://kobra.uni-kassel.de/bitstream/handle/123456789/12449/kup_9783737606998.pdf?sequence=1, S. 177-178