Juan Guaidó: Politisch gescheitert, aber Schlüsselfigur bei der Plünderung Venezuelas

Als "Interimspräsident" hat Guaidó sich als politischer Fehlschlag erwiesen. Was den Diebstahl von Vermögen des Landes angeht, sieht die Bilanz jedoch anders aus

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Auch Donald Trump scheint nicht mehr allzu sehr überzeugt von Juan Guaidó
Auch Donald Trump scheint nicht mehr allzu sehr überzeugt von Juan Guaidó

Juan Guaidó ist politisch an einem toten Punkt angelangt. Er kann die Initiative nicht wiedererlangen, er kann nicht überzeugen, und er wird den Ruf der schlechten Verwaltung von Geldern nicht los, der ihn umgibt. Im Laufe der Wochen und Monate wird seine Gestalt immer kleiner, und man erinnert sich kaum an die Zeit seiner Auftritte im US-Kongress und im Weißen Haus Anfang 2020.

So gesehen erweist sich der Versuch eines "Übergangspräsidenten" als Fehlschlag. Die parallelen und virtuellen Institutionen erreichen ihre politischen Ziele nicht. Dasselbe gilt für den "Obersten Gerichtshof im Exil", an den sich kaum noch jemand erinnert, oder den bedeutungslosen "Generalstaatsanwalt im Exil".

Die Aussage des ehemaligen Sicherheitsberaters John Bolton ist daher auch plausibel. In seinem Buch The Room Where It Happened schrieb er, dass Präsident Donald Trump Zweifel an den Fähigkeiten und Begabungen Guaidós geäußert habe.

Es ist auch logisch, dass Trump selbst in einem kürzlich auf der Axios-Website veröffentlichten Interview seine Zweifel an Guaidó zum Ausdruck gebracht hat. Warum sollte er auch nicht an jemandem zweifeln, der keinen einzigen Sieg im eigenen Land errungen hat, seit er am 23. Januar 2019 von seiner Regierung anerkannt/ernannt wurde?

So gesehen ist klar, dass Guaidó manchmal vor allem anderen ein Problem darstellt. Hinzu kommen seine putschistischen Auftritte und ihr Scheitern, wie am 30. April 2019, oder seine Verbindung zu den Söldnern der Operation Gideon, die im vergangenen Mai in Venezuela eintrafen.

Aber Guaidó kann auch anders eingeschätzt werden: Nicht aufgrund seiner unmittelbaren und innenpolitischen Ergebnisse, sondern als Teil eines Räderwerkes der Plünderung. Indem Guaidó von den USA zum Interimspräsidenten Venezuelas ernannt wurde, hat er es ermöglicht, dass in seinem Namen Diebstahl an den Gütern der Nation durchgeführt werden. Und das ist kein Misserfolg für die USA.

Der Raubzug

"Intern hat Guaidós Bedeutung abgenommen, ich denke, Trump hat nie an ihn geglaubt. Was ihm aber sehr wohl nützt, ist die Strategie der Enteignung, international schreiten sie dabei voran und belagern uns weiterhin", erklärt Maria Alejandra Diaz, Anwältin, Abgeordnete der Verfassunggebenden Nationalversammlung, gegenüber (dem russischen Nachrichtenportal) Sputnik.

Was sagt John Boltons Buch wirklich über Trump und Venezuela aus? Dieser Diebstahl wurde seit Beginn der Anerkennung Guaidós als "geschäftsführender Präsident" offensichtlich. Am 25. Januar, zwei Tage nach seiner Selbsternennung, erteilte Außenminister Mike Pompeo Guaidó die Vollmacht, "bestimmte Vermögenswerte auf Konten der Regierung Venezuelas oder der Zentralbank von Venezuela (BCV), die sich unter Kontrolle der Federal Reserve Bank of New York oder einer anderen in den USA versicherten Bank befinden, in Empfang zu nehmen und zu kontrollieren".

Am 28. Januar 2019 erließ das Weiße Haus die Executive Order 13.850, die sich auf die staatliche venezolanische Erdölgesellschaft (Petróleos de Venezuela, PDVSA) und die BCV konzentrierte und "alle Vermögenswerte und Aktien der PDVSA, die der Rechtsprechung der USA unterliegen", blockierte. Am 5. August 2019 erließ die US-Regierung die Durchführungsverordnung 13.884, mit der alle venezolanischen Vermögenswerte auf ihrem Territorium beschlagnahmt wurden.

Diese Konten und Vermögenswerte verblieben unter US-Verwaltung, was durch den vor einigen Wochen aufgekommenen Skandal ans Licht kam, als die Nachricht veröffentlicht wurde, dass Donald Trump 601 Millionen US-Dollar dieser Gelder für den Bau der Mauer an der Grenze zu Mexiko verwendet hatte.

Der Plan zur Ausplünderung verfolgt mehrere zentrale Ziele, um dem venezolanischen Staat Vermögenswerte zu stehlen und aufzuteilen. Eines dieser Ziele ist Citgo, eine Tochtergesellschaft der PDVSA in den USA, das Gold der venezolanischen Zentralbank, das in der Bank of England liegt, und, diesen Belagerungsmoment ausnutzend, das beanspruchte Territorium von Guayana Esequiba.*

Citgo

Die Tochtergesellschaft von PDVSA in den USA steht seit August 2019 unter dem Embargo des Finanzministeriums, und die Möglichkeit, dass sie auseinandergerissen und an ausländische Unternehmen übergeben wird, bestand von Beginn ihrer Aneignung durch die US-Regierung an.

Es handelt sich um eines der größten venezolanischen Vermögen im Ausland im Wert von rund acht Milliarden Dollar, mit einer Struktur aus drei Raffinerien mit einer Kapazität von fast 749.000 Barrel pro Tag und etwa 6.000 Tankstellen, die über Franchiseunternehmen im Land verteilt sind.

Zwei Unternehmen versuchen, sich Citgo anzuzeignen, um das Geld einzutreiben, das ihnen der venezolanische Staat angeblich schuldet: die kanadische Bergbaugesellschaft Crystallex und die US-Ölgesellschaft ConocoPhillips.

Guaidó setzte José Ignacio Hernández, der Anwalt von Cristallex gewesen war, an die Spitze der "Procuraduría General" seiner "Regierung", das heißt, der Behörde, die die Interessen der Republik in internationalen Angelegenheiten vertreten und verteidigen sollte.

Während Guaidó auf der einen Seite behauptete, Citgo zu verteidigen, war es auf der anderen Seite Teil der Strategie, ein Urteil zugunsten ausländischer Unternehmen zu erzielen. María Alejandra Díaz weist darauf hin, dass dies die Strategie von "Anwaltskanzleien ist, die mit Guaidó, den USA und den Konzernen verbunden sind, um Venezuela auszurauben".

Dies wurde von der venezolanischen Regierung angeprangert, die darauf hinwies, wie Hernández — der einige Tage später von seinem Posten zurücktrat — mit dem Direktor der Weltbank (WB), David Malpass, zusammenarbeitete, damit das von der Bank abhängige Internationale Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) die "Regierung Guaidó" anerkennen sollte, um die Schlichtungsverfahren in die Wege zu leiten.

Dieser Prozess des Raubes von Citgo und der Übergabe an ausländische Unternehmen befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium: Am 22. Mai genehmigte ein Richter des US-Bundesgerichts den Verkauf von Citgo, damit Crystallex die Forderungen eintreiben kann, auf die das Unternehmen Anspruch erhebt.

Allerdings gibt es einen Beschluss des Finanzministeriums, der den Verkauf von Citgo verbietet. Ob die PDVSA-Tochter versteigert werden darf und verloren gehen könnte, hängt damit zentral von einer Entscheidung der US-Regierung ab.

Gold

Die BCV hat, wie mehrere Zentralbanken, Gold in der Bank of England gelagert. Ende 2018 forderte sie die Rückgabe von 30 Tonnen dieses Goldes. Die britische Regierung lehnte den Antrag mit Blick auf die Anerkennung der "Übergangsregierung von Guaidó" ab und behielt das Gold illegalerweise ein.

Die diplomatische Position des Vereinigten Königreichs war jedoch zweideutig: Sie erkannten Guaidó an, empfingen aber seine "Botschafterin", Vanessa Neumann, ohne formelle Beglaubigung. Das heißt, es wurde eine Grauzone aufgebaut, mit einer unvollständigen Anerkennung — wie in vielen Ländern, im Unterschied zu den USA —, die es im Falle eines Konflikts wie dem um den Goldbesitz nicht erlaubt, Fortschritte bei einer Lösung zu erzielen.

Angesichts dieser Situation und angesichts der Tatsache, dass die BCV den Rechtsanspruch im Mai dieses Jahres vor einem Gericht in London geltend machte, begann die britische Justiz am Montag, den 22. Juni, eine Debatte darüber, ob sie die BCV der venezolanischen Regierung oder ein von Guaidó eingesetztes Ad-hoc-Direktorium anerkennen sollte. Der Besitz des Goldes hängt von diesem Ergebnis ab. (Anm. d. Red.: Am 2. Juli 2020 entschied das britische Handelsgericht zugunsten Guaidós und segnete damit den Goldraub ab.)

Die venezolanische Regierung hat vorgeschlagen, die beanspruchte Goldmenge – im Wert von fast 1 Milliarde Dollar – direkt an das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen zu überweisen, um der Pandemiesituation und der humanitären Notlage im Land zu begegnen.

Die Entscheidung der britischen Justiz betrifft nicht nur das Gold in der Bank of England, sondern wird auch einen Bezugspunkt für andere strittige Fälle bilden, wie etwa die 120 Millionen Dollar, die der BCV gehören und von der Deutschen Bank einbehalten werden, oder zahlreiche Konten, die bei verschiedenen Banken eingefroren wurden.

"Sie werden das Gold in England ganz offen stehlen, sie haben die Konten behalten, wie sie es im Falle von Libyen getan haben. Was sie intern nicht zerbrechen konnten, das tun sie nun international, sie wollen uns alle Vermögenswerte austrocknen, die der Republik gehören, um sie unter den transnationalen Konzernen zu verteilen, die die wahre Macht hinter der Macht in den USA und in Großbritannien sind", erklärt María Alejandra Díaz.

Esequiba

Die Abgeordnete der Verfassungsgebenden Versammlung weist auf eine weitere Front versuchter Enteignung hin: Guayana Esequiba, ein von Venezuela beanspruchtes Gebiet1. Der Internationale Gerichtshof (IGH) soll auf Antrag Guyanas und Großbritanniens entscheiden, „ob dem venezolanische Anspruch auf 159.542 Quadratkilometer, die 1899 von der britischen Krone abgetrennt wurden“, stattgegeben wird oder nicht.

Außenminister Jorge Arreaza berichtete, dass Venezuela "in Übereinstimmung mit seiner historischen Position und unter strikter Einhaltung des Genfer Abkommens von 1966 nicht an der ungewöhnlichen und irregulären Anhörung teilnehmen wird, die der IGH zu Guyanas einseitig erhobenem Anspruch einberufen hat".

"Sie wollen uns Esequiba endgültig wegnehmen, um uns den dortigen Zugang zum Meer abzuschneiden, das ist der Plan", so María Alejandra Díaz. Hinter dem Versuch, das umstrittene Territorium für sich zu behalten, stehen die transnationalen Konzerne: "Hinter Guyana stehen mehr als zwölf Transnationale und es wurden bereits auf unrechtmäßige Weise Konzessionen vergeben."

Einer dieser Konzerne ist die Ölgesellschaft Exxon Mobile, mit der es im Dezember 2018 zu einem Zwischenfall kam, als die bolivarische Marine zwei ihrer Schiffe abfing, die von der Regierung Guyanas entsandt worden waren und sich illegal in venezolanischen Gewässern aufhielten.

Die Zeitumstände

Wie werden dann also die Erfolge der US-Strategie gemessen? Angesichts der politischen Figur Guaidós und dem Verbleib von Nicolás Maduro an der Regierung ist die Bilanz negativ. Aber Guaidó ist eine vorübergehende Erscheinung, ein politischer Unfall: Seine Ernennung zum "geschäftsführenden Präsidenten" war auf eine Reihe von Zufällen zurückzuführen, nicht auf seine Qualitäten oder seine Zukunftsprojektion.

Im Gegensatz dazu sind die Versuche, Gold, Vermögenswerte und Territorien zu rauben, nicht als vorübergehend gedacht. Und hier kommt die Strategie voran in ihrem Vorhaben zu versuchen, staatliche Vermögenswerte zu usurpieren.

Es handelt sich hier um ein Zusammenwirken sichtbarer und unsichtbarer Akteure: Regierungen, Richter, Anwälte, transnationale Konzerne, politische Akteure, die sich als Ganzes zwischen den Gewässern der Wirtschaftsblockade und des Angriffs auf die Macht bewegen, um die Güter des Landes neu zu verteilen, um sie heute und für den zukünftigen Plan umzugestalten.

Guaidó spielt in diesem Schema immer noch eine Rolle im Räderwerk, um beispielsweise die mögliche endgültige Beschlagnahme von Gold bei der Bank of England rechtlich zu legitimieren. Die Phantom-Regierung, die er nach eigenen Angaben anführt, ist in Wirklichkeit eine Legitimierung des Raubes, den es umzusetzen gilt.

Denkt Trump daran, seine Strategie gegenüber Venezuela zu ändern, wie häufig spekuliert wurde? Das ist schwer zu sagen, zumal seine Aussagen heute mehr denn je vom Wahlkampf geprägt sind. Sicher ist, dass der Mechanismus der Plünderung Früchte trägt und dass er weniger als fünf Monate vor den Präsidentschaftswahlen keine öffentliche Änderung seiner Politik vornehmen wird, mit der er Stimmen riskiert.

  • 1. Die Esequiba-Region an der Ostgrenze Venezuelas wird seit 1899 von der Republik Guyana verwaltet. Venezuela beruft sich auf das Genfer Abkommen von 1966, mit dem das Territorium und Meeresgebiet zum Gegenstand einer noch ausstehenden "einvernehmlichen Lösung" erklärt wurde. Die bereits lange Zeit offene Gebietsfrage erzeugt zunehmend Spannungen, seit Guyana den US-Konzern Exxon Mobil beauftragt hat, vor der Küste der Esequiba-Region nach Ölvorkommen zu suchen.