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Uruguay verlässt die Tisa-Verhandlungen

Kurz vor dem Schlusstermin für die Einreichung nationaler Liberalisierungsvorschläge beschloss Uruguays Regierung den Ausstieg aus den Tisa-Geheimverhandlungen

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Gewerkschaftsdemonstration gegen Tisa am 23. April in Montevideo
Gewerkschaftsdemonstration gegen Tisa am 23. April in Montevideo

Auch wenn mit Uruguay der erste Tisa1 -Teilnehmer die laufenden Verhandlungen tatsächlich verlässt, so war es Singapur, das in einer früheren Phase 2012, als die multilateralen Gespräche von den "Really Good Friends of Services“(den wirklich guten Dienstleistungsfreunden) lanciert wurden, zunächst Teil dieser Gruppe war, sich zurückzog, als die Initiatoren (Australien, USA und Europäische Union) ihre Absichten und Wünsche klarmachten.

In jener frühen Phase ging es bei dem Vorschlag um ein "Internationales Dienstleistungsabkommen" (ISA), das multilateral verhandelt werden sollte und bei der Welthandelsorganisation (WTO) als Anhang-IV-Abkommen angesiedelt sein sollte.2

Der Schritt des Präsidenten von Uruguay folgte auf die Entscheidung einer breiten Mehrheit der Frente Amplio, der regierenden linken politischen Koalition, gegen eine weitere Teilnahme Uruguays an den Tisa-Verhandlungen in Genf, außerhalb des WTO-Rahmens und dessen Allgemeinen Dienstleistungsabkommens (GATS). Eine überwältigende Mehrheit der Frente Amplio stimmte am Samstag, 5.September, gegen Uruguays weitere Teilnahme an den Tisa-Gesprächen.

Nach Einschätzung der Frente Amplio sei die fortgesetzte Teilnahme an den Tisa-Verhandlungen "in Anbetracht unserer Vision einer ganzheitlichen Entwicklung der Nation unangemessen" für Uruguay, und sie erhielt 117 Stimmen für das Verlassen der Verhandlungen bei nur 22 Gegenstimmen.

Tisa wird weithin als Versuch angesehen, durchgreifenden Druck auf andere Länder auszuüben, einer Übereinkunft beizutreten, wie sie im Rahmen des multilateralen WTO-Handelssystems und seiner Abmachungen und Regeln nicht akzeptiert wurde. Es wurde initiiert von den Vereinigten Staaten und Australien mit der Europäischen Union als weiterem zentralem Akteur.

Die verbleibenden Länder nach dem Rückzug Uruguays von den Verhandlungen sind Australien, Kanada, Chile, China (Taipeh), Kolumbien, Costa Rica, die EU, Hongkong China, Island, Israel, Japan, Liechtenstein, Mauritius, Mexiko, Neuseeland, Norwegen, Pakistan, Panama, Paraguay, Peru, Republik Korea, Schweiz, Türkei und die USA.

In auffälliger Weise abwesend ist die Mehrheit der Entwicklungsländer, insbesondere die größeren.

Eine von Wirtschaftsminister Danilo Astori und Außenminister Rodolfo Nin angeführte Gruppe war der einzige bedeutende Teil der Koalition, die Tisa unterstützte. Die Bewegung für Volksbeteiligung (MPP), angeführt vom früheren Präsidenten Jose Mujica stimmte dagegen, obgleich Mujica noch Präsident war, als Uruguay letzten Februar den Verhandlungen beitrat.

Bei der entscheidenden Abstimmung der Frente Amplio gegen Tisa bot der rechte parlamentarische Flügel seine Stimmen für eine Ad-hoc-Mehrheit zugunsten des Abkommens, um so die Regierungskoalition zu spalten.

Die Tourismusministerin Lilian Kechichian in der Rolle als Sprecherin des Ministerrates kündigte am Montag jedoch an, dass "der Präsident die Mehrheit respektiert und er den Außenminister bittet, die Entscheidung umzusetzen".

Die Regierungskoalition hatte sich über vier Monate mit der Angelegenheit befasst, und vor ihrer Entscheidung verlangte das Kabinett von allen Ministerien eine Einschätzung, wie die "Öffnung von Dienstleistungen" sich auf den eigenen Bereich auswirken würde und was sie auf die "Negativliste" derjenigen Wirtschaftssektoren setzen würden, die nicht geöffnet werden sollten.

Der "Negativlisten"-Ansatz bedeutet, alle Sektoren zu liberalisieren außer den ausgeschlossenen. Ein "Positivlisten"-Ansatz liberalisiert nur die Sektoren oder Teile von Sektoren, die in einer vorab bestimmten Liste enthalten sind und legt normalerweise auch Bedingungen einer Liberalisierung fest.

Die uruguayische Tageszeitung "La Diaria" hatte Zugang zu einer Zusammenfassung der ministeriellen Einschätzungen, wie sie dem Rat der Frente Amplio von dessen Sprecher Daniel Marsiglia vorgestellt wurde. Laut Bericht von "La Diaria" beurteilt das Ministerium für Arbeit und Soziale Sicherheit einige der Tisa-Vorschriften als Widerspruch zu den Normen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), denen Uruguay beigetreten ist und die demzufolge als nationales Recht anzusehen sind.

Das Ministerium für Industrie, Energie und Bergbau informierte den Rat der Regierungskoalition, dass der Tisa-Vorschlag Risiken für Uruguays Politik im Bereich Telekommunikation zur Folge hätte. Da das Privatisierungsgesetz 1992 per Referendum zurückgewiesen wurde, werden Telefongesellschaften (Festnetz), Erzeugung und Verteilung von Elektrizität, die einzige Ölraffinerie des Landes und alle Wasser- und Abwasseranlagen von staatlichen Unternehmen geführt. Ferner halten staatseigene Banken, die im Wettbewerb mit nationalen und internationalen Privatbanken stehen, drei Viertel aller Einlagen, und die staatseigene Versicherungsgesellschaft kontrolliert etwa die Hälfte des Marktes.

Zudem hat die staatseigene Mobiltelefongesellschaft die doppelte Anzahl von Teilnehmern im Vergleich zu zwei Mobiltelefongesellschaften in ausländischem Besitz. Die Telekommunikationspolitik, die von Tisa infrage gestellt würde, versorgt Uruguay mit einem zu 100 Prozent digitalisierten Telefonnetz. Alle Städte und Schulen sind per Glasfaser verbunden, und alle Kinder im Schulalter haben freien Internetzugang, was Teil der "Ein Laptop pro Kind"-Politik war, die Vázquez selber in seiner vergangenen Präsidentschaft gestartet hatte. (Vázquez war der Präsident vor Mujica. Beide waren als Kandidaten der Frente-Amplio-Koalition fortschrittlicher Parteien und Bewegungen gewählt worden.)

Das Ministerium für Landwirtschaft wies die Liberalisierung einiger von ihm bereitgestellter Dienstleistungen zurück, insbesondere die zur Identifizierung und Überwachung von Vieh, die es Uruguay möglich machen, Fleisch zu höheren Preisen zu exportieren als seine Nachbarn. Das Ministerium für Tourismus sieht keine durch Tisa ermöglichten Vorteile, denn der Tourismus sei schon durchliberalisiert. Das Gesundheitsministerium teilte mit, es könne keine "Negativliste" erstellen, und zwar wegen der schnellen Änderungen bei den Dienstleistungen im Gesundheitswesen, die eine solche Liste in kürzester Frist obsolet machen könnten.

Auf der anderen Seite gab es positive Einschätzungen des Dienstleistungsabkommens vom Außenministerium, nach dessen Argumentation die Teilnahme bei den Tisa-Verhandlungen es den uruguayischen Vertretern ermöglichen würde, "Erfahrungen zu sammeln". Und das Wirtschafts- und Finanzministerium betonten, Tisa würde lokalen Softwareerstellern ebenso wie professionellen Dienstleistern (wie Anwälten und Rechnungsprüfern) Vorteile bringen.

Interessanterweise äußert der Präsident der uruguayischen Softwarekammer nach dem Aufruf der Frente Amplio zur öffentlichen Diskussion die Vorstellung, Tisa könne helfen, Märkte zu öffnen und es Technikern erlauben, leichter ins Ausland zu reisen. Zugleich verlangte er aber dennoch, die regierungsseitige Auftragsvergabe möge fortfahren, den einheimischen Gesellschaften gegenüber ausländischen den Vorzug zu geben. Während der Debatte wurde deutlich, dass dieser Sektor, der höchstens zwei Prozent zum Nationaleinkommen beiträgt, nicht gut informiert war.

Der Dienstleistungsmodus IV (Dienste, bei denen Reisen natürlicher Personen ins Ausland erforderlich sind, wie es in GATS mit "Positivlisten"-Ansatz vorgesehen ist) wurde auf Betreiben der USA von Tisa ausgeschlossen. In den USA, der EU und Australien werden Reisen natürlicher Personen von Visumvorschriften, von Einwanderungsregeln und der Anwendung von 'Nützlichkeitstests' geregelt. Damit hätte Uruguays Softwareindustrie keine der von Tisa erhofften Zugangsmöglichkeiten erhalten, hätte aber gleichzeitig die Fortsetzung der Regierungsunterstützung riskiert, sofern die von ihrer Lobby forcierte Vereinbarung seitens Uruguay akzeptiert worden wäre.

Nach der entscheidenden Abstimmung betonte der sozialistische Parlamentsabgeordnete Roberto Chiazzaro, dies sei das erste Mal, dass Tisa offen und in breitem Rahmen in irgendeinem Land diskutiert wurde, und "es ist bemerkenswert, wie sehr die Menschen informiert waren, teilnahmen und diskutierten, und Tabaré [Präsident Vázquez] verdient hohes Lob dafür, auf die Menschen und auf seine politische Organisation gehört zu haben, bevor er eine Entscheidung traf."


Roberto Bissio ist Leiter des Dritte-Welt-Instituts in Montevideo, Uruguay

  • 1. Trade in Services Agreement, Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen
  • 2. Siehe Chakravarthi Raghavan (2014), ‘The Third World in the Third Millennium CE, Vol. 2[1]: The WTO - Towards Multilateral Trade or Global Corporatism’, TWN Penang, S.367-368. Zur Analyse der Tisa-Gespräche und deren Implikationen für das WTO-Multilaterale Handelssystem, siehe Raghavan (2015) SUNS, #8066 and 8067 hier verfügbar