Mit Patentrecht gegen Krebspatienten

Pharmakonzern Novartis verdrängt billiges Medikament gegen Krebs vom Markt in Kolumbien. Aktivisten im Gesundheitsbereich fordern Zwangslizenz

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Firmensitz von Novartis in Basel
Firmensitz von Novartis in Basel

Krebsmedikamente sind sehr teuer und machen in vielen Ländern eine Behandlung der Patienten schwierig bis unmöglich. Ein Beispiel dafür ist der Wirkstoff Imatinib, den der Schweizer Pharma- und Biotechnologiekonzern Novartis unter dem Markennamen Glivec patentiert hat. In Kolumbien hat Novartis nach langem Rechtsstreit 2012 das Patent auf Glivec erhalten und dadurch verschiedene Generika vom Markt verdrängt. Gesundheitsexperten erachten den überhöhten Preis von Glivec als eine der Ursachen für die finanziellen Schwierigkeiten des kolumbianischen Gesundheitssystems.

Aus diesem Grund setzen sich verschiedene kolumbianische Stiftungen und Nichtregierungsorganisationen des Gesundheitsbereiches dafür ein, dass Kolumbien für Imatinib eine Zwangslizenz1erteilt und den Wirkstoff als wichtig für das Gemeinwohl deklariert.

Ein effizientes, aber teures Medikament

Imatinib hat die Behandlung von verschiedenen Krebsarten revolutioniert, der Wirksamkeit des Medikaments steht aber dessen hoher Preis gegenüber. Kostete Glivec bei der Markteinführung 2001 in den USA 30.000 US-Dollar, stieg der Preis später auf bis zu 90.000 Dollar pro Jahr und Patient. Novartis, das weltweit größte Pharmaunternehmen, machte gemäß Bloomberg 2012 mit Imatinib 4,7 Milliarden Dollar Gewinn2.

In Kolumbien wurde um die Patentierung von Glivec ein langer juristischer Kampf im Staatsrat geführt, nachdem die Aufsichtsbehörde für Industrie und Handel (Superintendencia de Industria y Comercio) das Patent im Jahr 2003 verweigert hatte, da das Medikament zu wenig innovativ sei. Novartis klagte gegen die Patentverweigerung und im Jahr 2012 hat der Staatsrat angeordnet, dass das Patent zu gewähren sei. Ifarma und Misión Salud sind der Meinung, dass diese Entscheidung des Staatsrates unanständig und unmoralisch war, und vor allem auf kommerzielle Interessen Rücksicht nahm und weniger auf den Zugang der Patienten zum Medikament. Gesundheitsexperten erachten den überhöhten Preis von Glivec als eine der Ursachen für die finanziellen Schwierigkeiten des kolumbianischen Gesundheitssystems. Der Wirkstoff wurde in die obligatorische Krankenversicherung aufgenommen, aufgrund des hohen Preises ist der Einsatz von Imatinib unter der Markenbezeichnung Glivec von Novartis finanziell aber fast nicht durchführbar.

Deshalb setzen sich in dem südamerikanischen Land verschiedene Stiftungen und NGO des Gesundheitsbereiches dafür ein, dass Kolumbien den Wirkstoff als von öffentlichem Nutzen erklärt und für Imatinib eine Zwangslizenz erteilt. Mit diesem Anliegen richteten sich die kolumbianischen Stiftungen Misión Salud und Ifarma sowie das Informationszentrum für Medikamente der Nationaluniversität im November 2014 an den kolumbianischen Gesundheitsminister3. Anfang März 2015 hatten die Federación Médica und das Observatorio del Medicamento (Observamed) mit einem Brief an den Gesundheitsminister Alejandro Gaviria erneut dringlich Schritte in Bezug auf die überhöhten Preise und den Prozess zur Erklärung des Gemeinwohls gefordert4.

Novartis nutzt Monopolstellung aus

Nachdem Novartis das Verfahren beim Staatsrat gewonnen hatte, verklagte der Konzern sämtliche Mitbewerber, um alle Konkurrenten auszuschalten. Bevor Novartis die Monopolstellung herstellen konnte, haben acht Generikahersteller mit einem Marktanteil von 20 Prozent Imatinib ebenfalls angeboten, zu Kosten, die 68 bis 77 Prozent niedriger waren. Eine andere Quelle, die Federación Colombiana de Medicamentos (FMC), und die Beobachtungsstelle für Medikamente (Observamed), gingen gar von einem Marktanteil von 60 Prozent der kolumbianischen Generika von Imatinib aus5.Von 2008 bis 2014 beliefen sich die Gesamtkosten für Imatinib auf rund 155 Millionen Dollar, 80 Prozent davon für Glivec. Würden wieder Mitbewerber zu 70 Prozent niedrigeren Kosten zugelassen, könnte das kolumbianische Gesundheitswesen bis zu 16 Millionen Dollar pro Jahr einsparen und dieses Geld anderweitig investieren. Pro Jahr und Patient kostet Glivec heute in Kolumbien etwa 21.000 Dollar. Deshalb ist es gemäß Misión Salud gerechtfertigt, dass das Gesundheitsministerium zuerst die Wichtigkeit von Imatinib für das Gemeinwohl deklariert, um im zweiten Schritt eine Zwangslizenz zu erteilen und so die Generikaproduktion zu ermöglichen6.

Zu seiner Verteidigung führt Novartis an, dass das Molekül, welches Grundlage des Wirkstoffs ist, in über 40 Ländern dem Patentschutz untersteht und dass es sich um national wie international akzeptierte juristische Instrumente handle. Außerdem habe Novartis verschiedenen Unternehmen Schlichtungsverfahren angeboten, um einvernehmliche Lösungen zu finden. Mehrere Abkommen seien schon geschlossen worden, sodass weder die Bedingungen für die Erklärung des öffentlichen Interesses noch für ein Zwangspatent gegeben seien. Die Stiftungen und NGO vertreten jedoch die Meinung, dass die Erteilung einer Zwangslizenz ein Meilenstein wäre, um eine weitere preistreibende Entwicklung – auch bei anderen Medikamenten – zu stoppen.

Seco setzt sich für Patentschutz für Glivec ein

Pikant an der ganzen Sache ist aus Schweizer Sicht, dass sich das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco)7 massiv zugunsten des fortbestehenden Patentschutzes für Novartis‘ Glivec in Kolumbien einsetzt. Wie 2008 schon einmal in Thailand haben die Schweizer Behörden dazu in einem offiziellen Schreiben Stellung genommen. Sie bezeichnen Zwangslizenzen fälschlicherweise als Versuch einer Patententeignung. Das Seco meint, dass dies die Innovationskraft der Pharmabranche hemme, was empirische Untersuchungen aber nicht bestätigen. Dieses Argument ist besonders haltlos, weil Glivec nicht zuletzt mittels öffentlicher Finanzmittel entdeckt wurde. Das Antikrebsmedikament wurde kürzlich zudem auf die WHO-Liste der unentbehrlichen Arzneimittel gesetzt, die all jene Produkte enthält, die jederzeit und zu erschwinglichen Preisen verfügbar sein müssen8

In einem offenen Brief an den Bundesrat9fordert eine Koalition europäischer, kolumbianischer und Schweizer NGO – darunter die Arbeitsgruppe Schweiz–Kolumbien ask! – die eidgenössischen Behörden auf, ihre Versuche, politischen Druck auszuüben, sofort einzustellen. Statt sich zum Anwalt des Pharmakonzerns Novartis zu machen, sollte die Schweiz lieber ihren Verpflichtungen als Unterzeichnerin der WTO-Abkommen nachkommen und die kolumbianische Regierung souverän über gesundheitspolitische Maßnahmen zugunsten ihrer Bevölkerung entscheiden lassen.