Honduras / Wirtschaft / Umwelt

Grüner Kolonialismus in Honduras

Land Grabbing im Namen von Klima- und Umweltschutz

stausee-wasserkraft-honduras.jpg

Stausee zur Stromgewinnung aus Wasserkraft in Honduras
Stausee zur Stromgewinnung aus Wasserkraft in Honduras

In Honduras machen sich die Widersprüche, Gefahren und kolonialen Muster aktueller Klima- und Umweltstrategien bemerkbar. Die zwei bedeutendsten Klimaschutzinstrumente stellen in dem zentralamerikanischen Land der Clean Development Mechanism (CDM) des Emissionshandels und das Waldschutzprogramm REDD+ dar. Auch der erneuerbare Energiesektor wird ausgebaut. Soziale und indigene Bewegungen fürchten die dadurch steigende Aneignung von Land und Ressourcen – was als "Green Grabbing"1 bezeichnet wird.


Neu erschienen von Magdalena Heuwieser: "Grüner Kolonialismus in Honduras. Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidigung der Commons".


La Aurora I ist ein relativ kleines Wasserkraftwerk, das inzwischen "grünen" Strom ins honduranische Energienetz einspeist, während die umliegenden Gemeinden entgegen sämtlichen Versprechen der Staudammfirma weiterhin ohne Elektrizität auskommen müssen. Der Zugang zum Fluss ist seither versperrt, das Fischen, Wäschewaschen und Baden ist nicht mehr möglich. Während des Baus, bei dem staatliche Instanzen und die honduranische Firma die Gesetze zur notwendigen Zustimmung der indigenen Bevölkerung ignorierten, wurden Quellen und Wasserleitungen ohne Kompensation zerstört, kleinbäuerliche Ländereien über zum Teil illegitime Methoden angeeignet. Der Widerstand der indigenen Bevölkerung interessierte dabei nicht. Warum sollte die Bevölkerung auch etwas gegen ein grünes Entwicklungsprojekt haben? 

"Grüne Energie" + CDM = mehr Emissionen?!

Schließlich wird durch dessen Bau ein Beitrag zum Klimaschutz geleistet, und pro Jahr werden 28.440 Tonnen CO2 eingespart: Fossile Energieerzeugung und die dadurch entstehenden Emissionen würden durch die Projektaktivität reduziert, heißt es. La Aurora I meldete sich beim CDM an, dem offiziellen Offset-Instrument des Emissionshandels. Projekte der "sauberen Entwicklung“ in Ländern des Globalen Südens, die offiziell Treibhausgase reduzieren, können damit Gutschriften an Unternehmen aus dem Globalen Norden verkaufen. Diese erwerben mit dem Kauf das Recht auf zusätzliche Verschmutzung. CDM ist ein Ausgleichsmechanismus: Das CO2, welches bei uns über die definierte Emissionsgrenze ausgestoßen wird, kann im Süden – dort, wo die Reduktion billiger ist – kompensiert werden. Zumindest scheinbar. 

La Aurora I hatte Pech. Kurz vor der Registrierung als CDM-Projekt wurde das Scheitern des Emissionsmarkts und der Offsets allzu deutlich. Die Nachfrage nach Emissionsgutschriften war viel kleiner als das Angebot, und die Marktpreise sanken ins Bodenlose. Aus mit dem Traum von zusätzlichen Einkünften – doch ein großes Problem sei das nicht, meinen der Eigentümer Arnold Castro und seine Frau Gladis Aurora, Chefin der konservativen Nationalen Partei und Vizepräsidentin des honduranischen Kongresses. Grüne Energieprojekte sind ohnehin rentabel in dem Land, in dem sich die Konsumgewohnheiten der Mittel- und Oberschicht rasch ändern und die Stromnachfrage jeden Tag steigt. Das Projekt wäre sowieso gebaut worden. Wie der Großteil der CDM-Projekte spart La Aurora I also nicht zusätzlich Emissionen ein. In Wirklichkeit spart es sogar gar keine Emissionen, denn dessen Bau führt nicht zur Abschaltung fossiler Kraftwerke, sondern zu zusätzlicher Stromkapazität. Zusätzlich sind damit auch die Emissionsausstöße derjenigen Firmen, welche die falschen Offset-Zertifikate kaufen. Das Resultat: mehr Emissionen. Kein Wunder, dass die Ziele des Kyoto-Protokolls keineswegs erreicht wurden. Statt Treibhausgase zu reduzieren, stiegen sie sogar an. Wer jedoch vom Emissionshandel und den fluktuierenden Preisen profitierte, waren Finanzanleger und Spekulanten. Verlierer waren neben dem Klima oft ausgerechnet die von CDMs Betroffenen: ohnehin marginalisierte Bevölkerungsgruppen im Globalen Süden.

Green Economy: Der Markt soll's regeln

Der Emissionshandel war Vorreiter für eine Vielzahl "innovativer", marktbasierter Instrumente zum Klima- und Umweltschutz. Insbesondere die Logik der Offsets hat sich durchgesetzt, schließlich generieren diese Lizenzen für Umweltverschmutzung und ermöglichen somit die Fortführung des "business as usual". Gleichzeitig suggerieren sie, auf innovativem Weg Finanzierung für Umweltschutz aufzutreiben. REDD+ soll die Speicherung von CO2 in Wäldern unterstützen, Climate Smart Agriculture setzt auf die vermehrte Speicherung von Emissionen in Böden und Blue Carbon auf die Speicherung in Mangroven und Korallenriffs. Biodiversitäts-Offsets sollen die Zerstörung von Ökosystemen an einer Stelle mit deren Wiederaufbau an anderer Stelle ausgleichen, über Habitat Banks oder Species Banks wird der Handel mit diesen möglich. Payments for Ecosystem Services zielen auf marktbasierte finanzielle Zahlungssysteme für Naturschutz.

Marktmechanismen treten immer mehr an die Stelle strenger Naturschutzregelungen, welche als Gefahr für den globalen Wettbewerb und Wachstum gelten. Der Markt gilt als Lösung angesichts des (sehr wahrscheinlichen) Scheiterns einer politischen globalen Einigung zu verbindlichen Emissionsreduktionen. Im Rahmen der Green Economy soll "grünes" Wirtschaftswachstum vorangetrieben werden. Dafür braucht es Anreize: Umweltschutz muss profitabel sein, neue "grüne" Märkte müssen geschaffen werden. Doch ein Markt braucht Waren. Für ihn werden derzeit die Bereiche der Natur, die bisher noch nicht für die Ökonomie sichtbar waren, marktkonform oder gar finanzmarktkonform gemacht. Es wird versucht, "Dienstleistungen" der Ökosysteme inwertzusetzen und zu finanzialisieren. So werden beispielsweise die Senkenfunktion (die CO2-Speicherung) von Wäldern, Böden und Meeressystemen, die Bestäubungsleistung von Bienen oder die Wasserfiltrationsfunktion gemessen, mit einen Geldwert versehen und Märkte für diese geschaffen. Pavan Sukhdev, ehemaliger Manager der Deutschen Bank und Koordinator der einflussreichen TEEB-Studie (The Economics of Ecosystems and Biodiversity), erklärt das Ziel dahinter: "Derzeit bezahlt niemand für die Leistungen, die uns Ökosysteme bieten. Deshalb erhalten die Menschen, die diese Systeme erhalten sollen, auch kein Geld dafür. Es fehlt also ein wirtschaftlicher Anreiz, das Richtige zu tun. Deshalb müssen wir erst einmal einen Markt schaffen."

Die Prämisse der Green Economy lautet: Natur muss verkauft werden, um sie zu retten. Letztendlich bedeutet dies eine umfassende Ökonomisierung der Welt und der gesellschaftlichen Naturverhältnisse. Dies hat insbesondere ein wachsendes Interesse an Land und natürlichen Ressourcen zur Folge. Green Grabbing umschreibt also diesen neuen Schub an Land Grabbing: die Aneignung von Land und Ressourcen, die "von energie-, klima- und entwicklungspolitischen Maßnahmen ausgelöst und legitimiert werden"2 und im Kontext der Green Economy steht. 

"Grüner" Kolonialismus

Die honduranische indigene Bewegung Copinh (Ziviler Rat der Volks- und indigenen Organisationen von Honduras - Consejo Cívico de Organizaciones Populares e Indígenas de Honduras) stellt sich gegen die Green Economy und die koloniale Logik, die hinter den "grünen" Entwicklungsprojekten steckt. REDD+ ist in Honduras das größte Projekt, bei dem derzeit versucht wird, es flächendeckend umzusetzen. Das von Weltbank, UNO, Entwicklungsagenturen wie der deutschen GIZ, Privatwirtschaft und Naturschutzorganisationen vorangetriebene Programm sieht vor, einen Markt für Waldschutzzertifikate zu schaffen. Beispiele aus aller Welt haben verdeutlicht, dass REDD+ dazu führen kann, dass Wälder privatisiert, Nutzungsrechte eingeschränkt und lokale Gemeinden gar vertrieben werden. Copinh schreibt: "Die REDD-Projekte sind eine andere Form, unsere Gemeingüter der Natur zu konzessionieren/zu privatisieren. Sie setzen einen Preis auf unsere Wälder ... . Die REDD-Projekte sind vergleichbar mit den genehmigten Bergbaukonzessionen, die dazu führen, die wirtschaftliche, ernährungsspezifische, politische, soziale und kulturelle Souveränität weiter einzuschränken." Das klassische Abhängigkeitsverhältnis zwischen Nord und Süd wird mit "grünen" Projekten wie REDD+ auf den neuen Bereich des Klima- und Waldschutzes übertragen: Es wird gewissermaßen die Senkenleistung extrahiert und in den Globalen Norden exportiert, um dort die Fortführung einer imperialen Lebensweise zu ermöglichen. 

Die Inwertsetzung und mögliche Finanzialisierung der "Dienstleistungen" der Natur sind eng verknüpft mit Fragen um Kontrolle und Herrschaft über die Natur. Sie reduziert die Kontrolle lokaler Gemeinden über ihre Territorien und verschiebt diese hin zu denjenigen "Experten", die die Management-Sprache und bürokratischen Abläufe beherrschen. Indigene werden damit je nachdem, welche Politiken legitimiert werden müssen, entweder als Bedrohung erkannt oder zu "grünen" Subjekten stilisiert und in Umweltmanager verwandelt. Das Verhältnis zur natürlichen Umgebung verändert sich dadurch gravierend, immer mehr lautet die Logik: Wir schützen Natur, weil – und wenn – wir dafür bezahlt werden. Dies ist insbesondere bei schwankenden Marktpreisen nicht ungefährlich. Wird Klima- und Umweltschutz auf den Markt reduziert, führt dies unweigerlich zur verstärkten Naturzerstörung und sozialer Ungleichheit. Klimawandel und ökologische Krise werden durch die Green Economy nicht gelöst, sondern räumlich und zeitlich ausgelagert. 


Die Autorin koordiniert das österreichische Netzwerk Finance & Trade Watch und begleitet seit Jahren innerhalb der Honduras-Delegation soziale und indigene Bewegungen in Honduras. Sie ist Autorin des Buches "Grüner Kolonialismus in Honduras. Land Grabbing im Namen des Klimaschutzes und die Verteidigung der Commons".

Mehr Informationen zum Buch: http://www.ftwatch.at/gruener-kolonialismus/
Zu bestellen bei: magdalena.heuwieser@ftwatch.at 

Der Artikel erschien leicht verändert im "Rundbrief IV/2014" des Forums Umwelt & Entwicklung.

  • 1. Fairhead, James/Leach, Melissa/Scoones, Ian (2012): Green Grabbing: A New Appropriation of Nature? In: The Journal of Peasant Studies 39/2, 237-261.
  • 2. Backhouse, Maria/Gerlach, Olaf/Kamring, Stefan et al. (2013, Hg.): Die globale Einhegung – Krise, Ursprüngliche Akkumulation und Landnahmen im Kapitalismus. Münster: Westfälisches Dampfboot, S. 279.