Gipfel für neuen Finanzpakt zeigt gestiegene Erwartungen des Globalen Südens

Keine verpflichtenden Vereinbarungen getroffen. Präsidenten aus Lateinamerika: Die bestehende internationale Finanzarchitektur ist überholt

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Lula: Westliche Industriestaaten müssen die historische Schuld gegenüber dem Planeten Erde bezahlen
Lula: Westliche Industriestaaten müssen die historische Schuld gegenüber dem Planeten Erde bezahlen

Paris. Der Gipfel in Paris über Wege zur Finanzierung der Abwendung katastrophaler Folgen des Klimawandels hat sich zwischen dem Wunsch nach Wiederherstellung der "Glaubwürdigkeit der reichen Länder" und der Forderung nach Überwindung der internationalen Finanzarchitektur von Bretton-Woods bewegt. Verpflichtende Vereinbarungen sind nicht zu vermelden. Teilnehmende und Beobachter begrüßten jedoch, dass auf hoher politischer Ebene die gestiegenen Erwartungen des Globalen Südens zum Ausdruck kamen.

Zu dem Treffen im Brongniart-Palast, der ehemaligen Pariser Börse, erschienen rund 40 Staats- und Regierungschefs von allen Kontinenten, Leiter internationaler Institutionen und Vertreter der Zivilgesellschaft.

Für Lateinamerika nahmen die Präsidenten Luiz Inacio Lula Da Silva (Brasilien), Gustavo Petro (Kolumbien), Miguel Díaz-Canel (Kuba) als derzeitiger Vorsitzender der G77+China, die Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, und Premierminister Ralph Gonsalves von St. Vincent und den Grenadinen teil. Gonsalves hat aktuell den Vorsitz der Gemeinschaft lateinamerikanischer und karibischer Staaten (Celac).

Mottley indes gilt als eine Wegbereiterin des Pariser Gipfels. Sie leitete seit der UN-Klimakonferenz 2021 Intiativen zur Schaffung wesentlicher Bedingungen für eine Umgestaltung der internationalen Finanzarchitektur mit dem Ziel, den Bedürfnissen der vom Klimawandel am stärksten betroffenen Länder gerecht zu werden.

Mit der Aussage, "Kein Land sollte sich zwischen der Armutsbekämpfung und dem Schutz des Planeten entscheiden müssen", steuerte der französische Staatspräsident Manuel Macron einen konsensfähigen Grundsatz bei. Ein weiterer Grundsatz des Gipfels lautete, dass es kein einheitliches Modell für die Bewältigung der aktuellen Probleme gebe und jedes Land selbst entscheiden sollte, welchen Weg es einschlägt.

Macron sprach sich auch für eine stärkere Mobilisierung der öffentlichen Finanzen der Staaten und der Mittel internationaler Institutionen wie Weltbank und IWF aus, um den Auswirkungen des Klimawandels zu begegnen.

Der brasilianische Präsident Lula da Silva betonte, "es waren nicht die Afrikaner, die die Welt verschmutzt haben, es sind nicht die Lateinamerikaner, die die Welt verschmutzt haben, sondern diejenigen, die den Planeten in den letzten zweihundert Jahren verschmutzt haben, waren diejenigen, die die industrielle Revolution gemacht haben, und deshalb müssen sie die historische Schuld gegenüber dem Planeten Erde bezahlen".

Für sein Land reklamierte Lula, dass dessen Energieverbrauch zu 87 Prozent aus sauberer und erneuerbarer Energie bestehe, im Gegensatz zum Weltdurchschnitt von nur 27 Prozent.

Zum Umsteuern des globalen Finanzsystems forderte er eine "starke Global Governance", die das als Bretton Woods-Institutionen geschaffene System ersetzen solle, das "nicht mehr funktioniert".

Die Finanzinstitutionen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffene internationale Währungsordnung mit Wechselkursbandbreiten, die den US-Dollar als Ankerwährung bestimmte, entsprächen nicht mehr den heutigen Bestrebungen und Interessen der Gesellschaften, sondern verursachten manchmal sogar den Bankrott von Staaten. Lula machte dies am Beispiel von Argentinien und dem Handeln des IWF konkret.

Im Rahmen des Gipfels kam der brasilianische Präsident mit seinem südafrikanischen Amtskollegen Cyril Ramaphosa zu einem persönlichen Gespräch zusammen.

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Díaz-Canel: "Wir sollten die Warnungen nicht ignorieren und die Dringlichkeit nicht unterschätzen"
Díaz-Canel: "Wir sollten die Warnungen nicht ignorieren und die Dringlichkeit nicht unterschätzen"

Kubas Präsident Díaz-Canel eröffnete seine Rede mit dem Hinweis auf seine Funktion in der G77+China. Er sehe die "enorme Verantwortung", die es für Kuba bedeute, den Vorsitz in "der repräsentativsten Gruppierung der Entwicklungsländer" innezuhaben, "die seit jeher die Fahne und das Sprachrohr für die Forderungen ist, die uns heute zusammenführen".

Díaz-Canel sagte zu Beginn, "dass die schädlichsten Folgen der derzeitigen internationalen Wirtschafts- und Finanzordnung, die zutiefst ungerecht, antidemokratisch, spekulativ und ausgrenzend ist, die Entwicklungsländer am stärksten treffen". Auch er stellte die "veralteten Institutionen aus der Zeit des Kalten Krieges und von Bretton Woods" infrage, die darauf ausgelegt seien, "von den Ressourcen des Südens zu profitieren, das Ungleichgewicht aufrechtzuerhalten und kurzfristige Rezepte anzuwenden, um ein modernes kolonialistisches Schema zu reproduzieren".

Eine Reform der internationalen Finanzinstitutionen müsse "sowohl in Bezug auf die Leitung und Vertretung als auch auf den Zugang zu Finanzmitteln den legitimen Interessen der Entwicklungsländer gebührend Rechnung tragen und ihre Entscheidungsbefugnis in den Finanzinstitutionen ausweiten", so der kubanische Präsident.

Weitere Vorschläge waren unter anderem: Rekapitalisierung der multilateralen Entwicklungsbanken und verbesserte Kreditkonditionen, um den Finanzbedarf des Südens zu decken, Erhöhung öffentlicher Kreditvergabe für Investitionen in nachhaltige Entwicklung, konkrete Maßnahmen zur Unterstützung von Marktzugang, Kapazitätsaufbau und Technologietransfer.

Díaz-Canel schloss seine Rede mit dem Appell: "Lassen Sie uns nicht als die Anführer in die Geschichte eingehen, die unser gemeinsames Schicksal hätten verändern können, es aber nicht taten."

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Gustavo Petro und Mia Mottley beim Gipfel in Paris
Gustavo Petro und Mia Mottley beim Gipfel in Paris

Kolumbiens Präsident Gustavo Petro steuerte einen weiteren Vorschlag bei. Die "Finanzierung eines Marshall-Plans gegen die Klimakrise" solle über eine große weltweite Ausgabe von Sonderziehungsrechten beim IWF erhoben und diese einem Klimafonds zugewiesen werden.

Petro zufolge würden diese Sonderziehungsrechte die Verschuldungen, "die heute die Pensionsfonds der reichsten Länder sind, stoppen und Haushaltsmittel freisetzen, die ausschließlich für die Bekämpfung der Klimakrise verwendet werden könnten". Sein Vorschlag würde zu einer Erhöhung der monetären Liquidität in der Welt führen, weder die Preise erhöhen oder eine globale Inflation auslösen, "sondern vielmehr zu produktiven Investitionen" führen. Nur in einer solchen Größenordnung könnten "die Zahlen zum Laufen gebracht werden", so der kolumbianische Präsident.

Während seines Besuchs in Paris traf Petro auch mit seinem kenianischen Amtskollegen Ewilliam Ruto zusammen.

Das Pariser Treffen stand auch unter dem Eindruck des Berichts des UN-Entwicklungsprogramms für 2022, nach dem im vergangenen Jahr in neun von zehn Ländern der Welt ein Rückgang der menschlichen Entwicklung zu verzeichnen war, wozu eine sinkende Lebenserwartung und zunehmende Armut gehören. Auf der anderen Seite haben die wohlhabendsten ein Prozent der Welt zwei Drittel des in den letzten zwei Jahren neu geschaffenen weltweiten Reichtums für sich beansprucht. Ungleichheit und Armut haben global so stark wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr zugenommen.

Nach Oxfam-Zahlen sind neun von zehn Ländern, die am meisten durch klimabedingte Katastrophen gefährdet sind, so verschuldet oder stehen kurz davor, dass sie nicht mehr in öffentliche Dienstleistungen oder in den Kampf gegen den Klimawandel investieren können.

Spätestens in Paris wurde die Behauptung, dass die öffentlichen Finanzen knapp sind, zum Mythos: Die Billionen-Aufwendungen für Unternehmen im Zuge der Finanzkrise oder der Corona-Pandemie sowie die riesigen Summen, die für Militär und Rüstung jedes Jahr ausgegeben werden, waren präsent.