Falsos Positivos: Soldaten in Kolumbien sagen vor Sonderjustiz für den Frieden aus

"Wer gab den Befehl?" Opferverbände fordern die Namen der Verantwortlichen auf höchster Ebene. Im Juli Abschlussbericht und Urteilsverkündung

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Die Mütter der Falsos Positivos (Mafapo) fordern Gerechtigkeit für ihre vom Militär ermordeten Söhne
Die Mütter der Falsos Positivos (Mafapo) fordern Gerechtigkeit für ihre vom Militär ermordeten Söhne

Ocaña. Militärangehörige haben vor der Sonderjustiz für den Frieden (Justicia Especial para la Paz, JEP) in Kolumbien zugegeben, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Sie werden für den Tod von insgesamt 120 Zivilist:innen in den Jahren 2007 und 2008 in der Region Catatumbo verantwortlich gemacht und sagten während einer zweitägigen Anhörung im Beisein von Angehörigen der Getöteten vor Gericht aus.

Unter der Regierung von Álvaro Uribe (2002-2010) ermordeten Soldaten der kolumbianischen Streitkräfte während des bewaffneten Konflikts Zivilpersonen, die sie als im Kampf gefallene Guerillaangehörige ausgaben, um "Erfolge im Kampf gegen die Terroristen" zu präsentieren, Quoten zu erfüllen und Prämien zu erhalten. Einem veröffentlichten Untersuchungsbericht des Gerichts zufolge ist die Armee im Zuge der sogenannten Falsos Positivos (übersetzt: Falsche Positive) für den Tod von 6.402 Zivilist:innen verantwortlich. Mit dieser Praxis einher geht die Stigmatisierung der Opfer als Kriminelle und Terrorist:innen, unter der ihre Familien leiden und retraumatisiert werden können.

Die Sonderjustiz für den Frieden wurde im Rahmen des 2016 zwischen der Regierung und der Guerillaorganisation Farc-EP geschlossenen Friedensabkommens geschaffen und ist seit März 2018 aktiv. Als Instrument der Übergangsjustiz, der auch eine Wahrheitskommission angehört, ist sie verantwortlich für die juristische Aufarbeitung von im Konflikt begangenen Verbrechen und für die Verurteilung von (in)direkt beteiligten Akteur:innen von Guerillagruppen, des Militärs, der paramilitärischen Organisationen und von Zivilist:innen.

Die Anhörung zu den Falsos Positivos ist die erste dieser Art. Nie zuvor haben in Kolumbien Militärangehörige vor Gericht Kriegsverbrechen an Zivilist:innen zugegeben.

Insgesamt sagten zehn Soldaten ‒ alle Mitglieder der 15. Mobilen Brigade Santiago Herrera Fajardo ‒ sowie eine Zivilperson zu den von ihnen verübten Verbrechen in der Region Catatumbo aus. Das ländliche Gebiet liegt im Nordosten der Provinz Norte de Santander an der Grenze zu Venezuela und ist nach wie vor besonders stark vom bewaffneten Konflikt betroffen.

Der Unteroffizier Néstor Guillermo Gutiérrez gab in der fast zehnstündigen Anhörung zu, dass sie in seiner Einheit gezielt Zivilist:innen rekrutierten, um sie dann zu töten und als gefallene Guerilleros zu präsentieren. Er gab der Regierung von Präsident Uribe eine Mitschuld, da diese Ergebnisse habe sehen wollen und Druck gemacht habe.

Gutiérrez sprach von einer durch ihn geschaffenen kriminellen Struktur innerhalb der Einheit. Er habe sich gegenüber seinen Vorgesetzten – den Generälen Mario Montoya Uribe und Carlos Ovidio Saavedra Sáenz – rechtfertigen müssen. Durch Druck auf seine Untergebenen und finanzielle Anreize oder Sonderurlaub für besonders hohe "Fallzahlen im Kampf" habe er "die Kriegsdynamik umgesetzt, die von der damaligen Armeeführung vorgegeben wurde".

Das Dilemma bei Sondergerichten wie dem JEP besteht indes darin, dass die Täter auf eine Amnestie hoffen, während die Opferverbände das Strafmaß für die begangenen Kriegsverbrechen oft als viel zu gering ansehen. Im Fall von Catatumbo sollen die Täter nicht zu Gefängnisstrafen verurteilt werden, sondern Wiedergutmachungsmaßnahmen wie Hausarrest oder Arbeit leisten.

Die Opferverbände fordern indes die Offenlegung der Identitäten der auf höchster politischer Ebene Verantwortlichen für diese Verbrechen. "Ich bin nicht hier, um für meinen Sohn zu sprechen, sondern für Tausende von Opfern. Wir wissen, dass hinter ihnen (dem Militär) sehr große Persönlichkeiten stehen. Wir brauchen Namen", sagte Carmenza Gómez, deren Sohn Victor im Jahr 2008 in Ocaña von der 15. Mobilen Brigade getötet wurde.

Unter den anwesenden Angehörigen der Ermordeten befand sich auch Claudia Barrientos, die ihren Bruder Javier im Jahr 2007 verlor. Sie setzte sich im Vorfeld zusammen mit Anderen vergebens dafür ein, dass die Angeklagten in Militäruniform anstatt Zivilkleidung erscheinen, "damit das Land und die Welt erkennen, wer diese Verbrechen begangen hat".

Der Präsident der JEP, Eduardo Cifuentes, wandte sich zu Beginn der historischen Anhörung an die Öffentlichkeit: "Noch nie waren wir der Wahrheit und der Möglichkeit der Gerechtigkeit so nahe. Die Tragödie, in die uns der Krieg hineingezogen hat, darf sich nicht wiederholen, wenn die Gerechtigkeit leuchtet und wenn ihr Glanz die Wahrheit ist".

Im Juli veröffentlicht die JEP die Abschlussberichte zu den Anhörungen und Aussagen der Ex-Militärs. Dann soll ein Friedenstribunal die ersten Urteile sprechen.