Bombenanschlag in Kolumbien: Krieg des Militärs gegen Basisorganisationen in Arauca?

Farc-Dissidenten direkte Ausführende des Attentats. Verdacht auf Kooperation zwischen Ex-Farc-Strukturen und dem Militär

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Die soziale Bewegung Araucas hat eine lange Tradition des Widerstands gegen Megaprojekte und den Kokaanbau
Die soziale Bewegung Araucas hat eine lange Tradition des Widerstands gegen Megaprojekte und den Kokaanbau

Saravena. Die Gewalt im östlichen kolumbianischen Departamento de Arauca an der Grenze zu Venezuela setzt sich fort. In der Gemeinde Saravena ist eine Autobombe nah an den Büros mehrerer Basisorganisationen gezündet worden. Der Anschlag forderte einen Toten und 20 Verletzte. Die Gruppe der Farc-Dissidenten "Frente 28" bekannte sich zu dem Anschlag, der sich gegen "städtische Strukturen der ELN [der Guerilla Nationale Befreiungsarmee]" gerichtet habe. Der Kleinbauernverband "Nationale Landwirtschaftliche Koordination" (CNA) deutet an, der "kolumbianische Staat" sei der Anstifter.

Dank einer präventiven Straßensperrung, die die getroffenen Organisationen und Nachbar:innen angesichts der aktuellen Gewaltwelle in Arauca selbst eingerichtet hatten, gab es nicht noch mehr Opfer. Die Sperrung verhinderte, dass die Autobombe direkt an der Straße der Basisorganisationen platziert wurde. Zum Zeitpunkt des Attentats tagten siebzig Sozialaktive bei einem Menschenrechtsseminar im Haus der "politischen sozialen Volksbewegung des zentralen Ostens Kolumbiens".

Das Sprengstoffattentat hat trotzdem massive Gebäudeschäden beim Dachverband sowie bei mehreren lokalen Organisationen angerichtet: Unter anderen bei den Filialen der Verbände der Landbezirke-Bürgervertretung (Asojuntas), der indigenen Gemeinderäte von Arauca (Ascatidar), der Lehrerschaften (Asedar) sowie den Büros der alternativen Medien "Trochando Sin Fronteras" (Das Öffnen grenzenloser Wege) und Sarare FM Stereo.

Parallel zu dem Bombenanschlag wurde das Büro des selbstverwalteten Gemeindeunternehmens für Wasserversorgung, Müllabfuhr und Kanalisation Ecaaas mit Gewehrfeuer attackiert. Wenige Tage zuvor war Ecaaas bereits Opfer eines Sprengstoffattentats auf sein Büro (amerika21 berichtete).

Innerhalb von drei Tagen vor dem Anschlag hatten außerdem Unbekannte zwei Angehörige der sozialen Bewegungen von Arauca ermordert: den Sozialaktiven Miguel Alexi Amado Carrillo und den Menschenrechtler der "Stiftung Joel Sierra", José Abelino Pérez Ortiz.

Verschiedene lokale und landesweite Organisationen stimmen darin überein, dass das Attentat Teil einer systematischen Angriffsstrategie gegen die sozialen Bewegungen sei. Dahinter stecke eine Allianz zwischen dem Militär und paramilitärischen Strukturen, die aus Farc-Dissidenten bestünden. Der "kolumbianische Staat" habe "die perfekten Verbündeten für die Umsetzung" seiner "kriminellen" Strategie gefunden, so der CNA.

In einem Video erklärte Antonio Medina, Chef der Gruppe "Frente 28", die sich als Teil der Farc-Dissidenten versteht, der Bombenanschlag habe sich gegen die städtischen Strukturen der ELN-Einheit "Domingo Laín" gerichtet. Medina entschuldigte sich wegen der kollateralen Schäden. Die "Frente 28" bedauere, dass der Angriff die Zivilbevölkerung treffe. Gleichzeitig erklärte er den Angehörigen der ELN sowie ihren "Geschäften" und "Unternehmen" einen "Krieg ohne Rast und Gnade".

Bereits vor dem ersten Anschlag gegen die selbstverwalteten Stadtwerke Ecaaas wurde ein WhatsApp-Audio von Medina bekannt, in dem er Asojuntas, eine der Führungsorganisationen von Ecaaas, zum militärischen Ziel erklärte.

Laut der "politischen sozialen Volksbewegung des zentralen Ostens Kolumbiens" setzen die neuen Farc-Gruppen die Stigmatisierung, Verfolgung und Ermordung fort, die der Staat seit Jahrzehnten gegen die Angehörigen der Basisorganisationen führe. Dies rechtfertigten die Farc-Dissidenten mit dem gleichen Diskurs der Geheimdienste und der Paramilitärs.

Grund der systematischen Verfolgung der sozialen Organisationen in Arauca sei ihre lange Tradition des Widerstands zum einen gegen die Megaprojekte des Bergbaus und der Erdölförderung und zum anderen gegen den Kokaanbau. Dies erklärte Luis Carlos Mejía, Mitglied der "politischen sozialen Volksbewegung". Seit 2005 haben die selbstorganisierten Bewohner:innen den Drogenanbau aus Arauca verbannt. Nun bleibe die Region aber ein wichtiger Exportkorridor des fertigen Kokains, den die neuen paramilitärischen Strukturen kontrollieren wollen.

Der Krieg in Arauca sei nicht ein Krieg zwischen mafiösen bewaffneten Gruppen, wie sogar progressive Kreise gerade verbreiten, so Mejía. Es sei ein Krieg von narco-paramilitärischen Strukturen gegen die soziale Bewegung, die ihnen im Weg steht.

Eine Aussage des Deserteurs der "Frente 10" der Farc, Nelson Sánchez, bestätigt die Kooperation zwischen Farc-Dissidenten und dem Staat. Sánchez habe mitbekommen, wie die Befehlshaber des "Frente 10", Arturo Ruiz und Jaime Chucula, direkt mit dem Verteidigungsministerium kommunizierten. Sánchez war Zeuge der Ankunft von 26 Söldnern, unter denen sich zwei US-Amerikaner befanden, die unter dem Befehl von Ruiz und Chucula die wiederbewaffneten Farc-Anführer "Romaña" und "El Paisa" in Venezuela töteten. Der Ex-Farc-Kämpfer ist jetzt bei der ELN.

Die Chefs der "Frente 10" sollen ihre Truppe angewiesen haben, Vorsitzende der Bürgervertretung der Landbezirke in Kolumbien zu töten und die Taten der ELN in die Schuhe zu schieben. Ebenso gab es den Befehl, in Venezuela Vertreter der Kommunalräte hinzurichten und der venezolanischen Regierung die Schuld dafür zu geben, sagt Sánchez.

Die Struktur "Frente Oriental" der ELN hat außerdem ein Video veröffentlicht, in dem ein anderer Ex-Angehöriger der Farc-Dissidenten erzählt, dass Ruiz, Chucula und andere Chefs der Struktur Kokainlabore betreiben und "mit der Regierung arbeiten". Der Armeeoberst Pedro Enrique Arciniégas, der als von der "Frente 10" entführt galt, soll in Wirklichkeit die Gruppe militärisch trainiert haben.

Die Basisorganisationen Araucas bekräftigen inzwischen ihren Willen zum Widerstand. "Der Regierung Duque und der Farc will ich folgende Nachricht schicken", sagte der soziale Anführer José Vicente Tobo gegenüber dem Verteidigungsminister Diego Molano bei seinem Besuch in Saravena. "Weder die Schüsse noch das Gefängnis noch die Autobomben werden uns zum Zurückweichen bringen. Sie müssen es klar haben: Dies alles ängstigt uns nicht, sondern ermutigt uns in unseren Kämpfen."