Brasilien / Politik

Brasilien: Ankläger überzeugt von Verbrechen von Präsidentensohn Flávio Bolsonaro

Intercept-Leaks: Ankläger fürchteten politischen Druck des Präsidenten. Ex-Richter Moro blieb passiv. Bundesrichter unterbindet Korruptionsermittlungen

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Die Justiz auf der ihrer Seite: Brasiliens Staatsoberhaupt Jair Bolsonoro und sein Sohn, der Senator Flávio Bolsonoro.
Die Justiz auf der ihrer Seite: Brasiliens Staatsoberhaupt Jair Bolsonoro und sein Sohn, der Senator Flávio Bolsonoro.

Brasília. Der Leiter der Anti-Korruptionsbehörde Lava Jato, Deltan Dallagnol, hat sich von den Korruptionsvorwürfen gegen den Präsidentensohn und heutigen Senator, Flávio Bolsonaro, überzeugt gezeigt. Öffentlich dazu äußern wollte sich Dallagnol jedoch nicht, weil er die Reaktion des Staatschefs Jair Bolsonaro fürchtete. Ferner mutmaßte Dallagnol gegenüber Kollegen, dass der frühere Richter und heutige Justizminister, Sérgio Moro, Senator Bolsonaro vor Ermittlungen schützen werde, um seine Karriere sowie die Arbeit der Lava Jato nicht zu gefährden.

Dies geht aus Veröffentlichungen vom vergangenen Sonntag der geleakten Telegram-Kommunikation von Dallagnol mit Kollegen sowie Moro hervor, die das Investigativportal The Intercept Brasil in Zusammenarbeit mit Brasiliens größter Zeitung, Folha de São Paulo, schrittweise publiziert.

Demnach teilte Dallagnol Anfang Dezember 2018 über die Chatgruppe einen Zeitungsartikel über Korruptionsermittlungen gegen Bolsonaros Sohn sowie über dessen mögliche Verstrickungen mit der Mafia in Rio de Janeiro. "Es ist offensichtlich, was passiert ist", so Dallagnol. "In Interviews werden sie mich bestimmt danach fragen. Ich weiß nicht, wie ich der Frage ausweichen kann." Er werde ausloten, welche Allgemeinplätze die Presse als Antworten durchgehen lasse, versprach Dallagnol seinen Kollegen. Trotz seiner Überzeugung suchte Brasiliens erster Korruptionsermittler nach Auswegen, um sich nicht mit der Regierung Bolsonaro anlegen zu müssen. Man dürfe nicht untätig bleiben, so Dallagnol. "Aber zum derzeitigen Moment hängen wir von ihm [Moro als Justizminister] für Reformen ab." Darum sei er sich unsicher, ob man das an die große Glocke hängen solle – gemeint waren die Hinweise auf Korruption und Verwicklungen mit dem organisierten Verbrechen.

Im Dezember 2018 waren Hinweise bekannt geworden, wonach der Bolsonaro-Sohn in fragwürdige Immobiliengeschäfte sowie ungeklärte Finanztransfers involviert war, die er über Strohleute abwickelte. Im Januar 2019 wurde zudem bekannt, dass er als Abgeordneter von Rio de Janeiro bis Mitte November 2018 die Ehefrau und Mutter eines Auftragsmörders beschäftigt hatte, der für den Mord an der linken Stadträtin Marielle Franco im März 2018 verantwortlich gemacht wird.

Trotz ihrer Zurückhaltung zeigten sich die Staatsanwälte besorgt darüber, dass der frühere Lava Jato-Richter Moro und angehendes Mitglied im Kabinett zum damaligen Zeitpunkt die Ermittlungen wegen politischen Drucks des neuen Präsidenten nicht weiterverfolgen würde, schreibt The Intercept.

Dallagnol fabulierte an die Gruppe: "Moro muss auf die Ermittlungen warten und schauen, wer involviert ist. Der Sohn [Flávio Bolsonaro] auf jeden Fall. Das Problem ist: Wird der Vater das zulassen? Oder schlimmer, was wenn der Vater selbst involviert ist? […] Die Frage ist auch, wie lange er [Bolsonaro] noch auf das Thema Anti-Korruption setzt, wenn sein eigener Sohn das am eigenen Leib zu spüren bekommt?"

Auch das öffentlich bekannte Streben Moros nach einem Richterposten am Obersten Bundesgericht (STF) soll den Richter des Ex-Präsidenten Luiz Inávio Lula da Silva in diesem Fall zu besonderer Unauffälligkeit bewogen haben. Bei der Verfolgung Lula da Silvas zwei Jahre zuvor waren beide ganz anders verfahren und hatten selbst nicht bestätigte Vorwürfe an die Öffentlichkeit durchgestochen, um politischen Druck gegen Lula zu erzeugen.

Bis heute hat Moro, wie Dallagnol es damals befürchtete, nichts unternommen, um die Ermittlungen über die anrüchigen Finanztransfers und die Verbindungen zur Mafia zu unterstützen, fasst The Intercept zusammen. Zu dem Zeitpunkt hatte Moro den Richterstuhl bereits verlassen, um den Regierungsposten anzunehmen. Die Untersuchung gegen Bolsonaro in den Händen der Staatsanwaltschaft von Rio soll sich laut Intercept bedeutend langsamer als für Fälle dieser Dimension üblich gestalten. Moro urteilte, dass es "nichts Abschließendes über den Fall gebe".

Stattdessen hat ein Bundesrichter am STF, Dias Toffoli, die Ermittlungen gegen Flávio Bolsonaro Mitte Juli unterbunden. Der Bolsonaro nahestehende Richter begründete dies damit, dass die Ermittler ohne die notwendige richterliche Genehmigung Einsicht in Steuer- und Finanzunterlagen genommen hätten. Die Präsidentin der Bundesstaatsanwaltschaft, Raquel Dodge, zeigte sich besorgt über das Urteil. Schließlich lasse sich ohne geprüften Anfangsverdacht keine richterliche Bestätigung für eine Ausweitung der Ermittlung erreichen.