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Hexenjagd und Morddrohungen gegen Whistleblower beim Militär in Kolumbien

Einschüchterungskampagne gegen Militärs wegen Enthüllung der neuen Politik der "Falsos Positivos“. Militärgeheimdienst steckt dahinter

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Führung der kolumbianischen Sicherheitskräfte seit Dezember. In der Mitte Präsident Iván Duque, rechts von ihm Verteidigungsminister Guillermo Botero
Führung der kolumbianischen Sicherheitskräfte seit Dezember. In der Mitte Präsident Iván Duque, rechts von ihm Verteidigungsminister Guillermo Botero

Bogotá. Kurz nachdem ein Beitrag der New York Times (NYT) über die erneute Förderung illegaler Hinrichtungen durch die Armee einen Skandal ausgelöst hatte, hat das kolumbianische Militär "eine fürchterliche Jagd" auf die anonymen Quellen der US-Zeitung innerhalb der Streitkräfte gestartet. Dies berichtet die Wochenzeitung Semana. Auch Offiziere, die vor der Sonderjustiz für den Frieden (Jurisdicción Especial de la Paz, JEP) wegen früherer illegaler Tötungen von Zivilisten aussagen oder Mitstreiter wegen Korruption angezeigt haben, werden abgehört, beschattet und bekommen Morddrohungen gegen sich und ihre Familien. Die Journalisten des Wochenmagazins Semana, die zu diesem Thema arbeiten, und ihre Familienangehörigen sind ebenso Opfer von Beschattungen und einschüchternden Nachrichten geworden.

Das Magazin berichtet, wie das Militär sich auf der Suche nach den Whistleblowern gemacht hat. Demnach hat die 2. Division der Armee vier Tage nach den NYT- Enthüllungen 15 Soldaten aus dem ganzen Land nach Bogotá zitiert. Auf sie warteten dort Offiziere des Militärgeheimdienstes, um sie zu befragen und einem Lügendetektor-Test zu unterziehen. "Das alles ist ein Befehl des Armeekommandanten, meinem General Martínez, wegen der Ereignissen der letzten Tage und um zu erfahren, wer dahinter steckt", soll ein Feldwebel bei der Befragung einer der Semana-Quellen erklärt haben.

General Nicacio Martínez, der Oberbefehlshaber der Streitkräfte, stand nach dem Beitrag der NYT öffentlich im Zentrum der Kritik. Er war derjenige, der unter anderem die Verdoppelung der getöteten Feinde angewiesen und den Spielraum für Fehler bei der Bestimmung eines militärischen Ziels auf eine Quote von 30 Prozent erhöht hatte. Der direkte Verantwortliche für die Suche nach den NYT-Quellen sei laut einem Semana-Informanten jedoch General Eduardo Quirós, Kommandant des Militärgeheimdienstes.

Laut weiteren Quellen versucht das Militär, kritische Offiziere durch Beschattungen, Morddrohungen und Versetzungen mundtot zu machen. Beispielsweise bekam ein Befehlshaber über 4.000 Mann eine Begräbniskarte, auf der stand, dass er und seine ganze Familie demnächst ermordet werden, weil er "ein Petzer" sei. Ein weiterer Offizier versicherte Semana, dass die Telefonate von verdächtigen Militärs durch die Staatsanwaltschaft illegal abgehört werden. Als ein Informant von Semana seinen Beschatter damit konfrontierte, gestand dieser, er gehöre zu einer Sondereinheit des Geheimdienstes. Ein weiterer Einschüchterungsmechanismus sind Versetzungen.

Auch Militärs, die vor der Sonderjustiz aussagen, werden eingeschüchtert. Über 2.000 Militär- und Polizeiangehörige haben sich zu Aussagen bei der JEP verpflichtet. In 95 Prozent der Fälle, um Informationen zu den illegalen Hinrichtungen der Vergangenheit – sogenannten Falsos Positivos – preiszugeben. Elf Offiziere, die ausgesagt haben, werden aktuell bedroht. Die JEP hat einen Antrag auf Schutzmaßnahmen für sie stellen müssen.

Mehrere Offiziere haben in ihren bereits gemachten Aussagen den General Mario Montoya, Oberbefehlshaber der Armee unter der Regierung des ultrarechten Präsidenten Álvaro Uribe, als Hauptverantwortlichen der "Falsos Positivos" genannt. Während Uribes Amtszeit (2002 ‒ 2010) wurden in Kolumbien bis zu 10.000 Zivilisten von der Armee getötet und als Guerilla-Kämpfer ausgegeben. Dabei wurde vorgegaukelt, dass diese Personen in Kampfhandlungen mit der Armee ums Leben gekommen seien. Somit konnte die Armee "gute Resultate" vortäuschen. Montoya habe "Liter von Blut und Tote, egal wie, gefordert", sagte der Oberst im Ruhestand, Jesús Rincón. Andere Militärs enthüllten Beziehungen zwischen ihren Vorgesetzten und damaligen Kommandanten der Paramilitärs.

Nachdem Informationen über die internen Verfolgungen beim Militär Menschenrechtler wie José Vivanco von Human Rights Watch und kolumbianische Journalisten erreicht hatten, verlangten sie Erklärungen. Sowohl der Kommandant der 2. Division der Armee, Mauricio Moreno, als auch General Martínez versicherten, dass sie "nicht wahr sind". Laut Semana bestätigen jedoch ihr vorliegendes Video- und Audiomaterial sowie Fotos und Dokumente die internen Verhöre und die Verfolgung von Soldaten. Darüber hinaus dokumentiert die Wochenzeitung angezeigte Fälle neuer illegaler Hinrichtungen von Zivilisten, die in diesem Jahr passiert sein sollen.