Kritik an Ferrero wegen mutmaßlichen Pestizideinsatzes in Chile

Netzwerk kritisiert einen der weltgrößten Schokoladenhersteller und wirft ihm den Einsatz des Herbizids Paraquat beim Haselnussanbau vor

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Das Ferrero-Produkt Nutella hat bereits Einzug in die Kunstwelt gehalten, so in diesem Werk des Bildhauers Thomas Rentmeister: 
Ohne Titel, 2000, Nutella, ca. 25 x 270 x 180 cm
Das Ferrero-Produkt Nutella hat bereits Einzug in die Kunstwelt gehalten, so in diesem Werk des Bildhauers Thomas Rentmeister: Ohne Titel, 2000, Nutella, ca. 25 x 270 x 180 cm

Santiago de Chile. Laut dem Pestizid-Aktionsnetzwerk Chile (RAP) bezieht der Lebensmittelkonzern Ferrero in großen Mengen Haselnüsse aus dem südamerikanischen Land, die mit Hilfe des Herbizids Paraquat angebaut werden. RAP kritisiert, dass das neurotoxische Mittel immer noch legal gegen Haselstrauch-Nebentriebe und Unkraut gespritzt wird, zum Teil kombiniert mit dem wahrscheinlich krebserregenden Glyphosat. Paraquat ist in der Europäischen Union seit Jahren nicht mehr zugelassen.

Ferrero, einer der weltgrößten Schokoladenhersteller, der unter anderem die beliebten Produkte Nutella, Kinderschokolade, Rocher und Duplo vertreibt, hat seit rund 20 Jahren den Haselnussanbau in Chile mittels seiner Tochterfirma AgriChile über Vertragsbauern stark ausgeweitet. Die Ernte betrug 2017 rund 20.000 Tonnen, die auf 17.000 Hektar gewonnen werden. Bis zum Jahr 2020 soll die Produktionsfläche auf 30.000 Hektar ausgeweitet werden. AgriChile strebt an, das südamerikanische Land unter den weltgrößten Haselnuss-Produzentenstaaten zu konsolidieren. Ferrero erwirbt der Tageszeitung El Mercurio zufolge rund 98 Prozent der Haselnussproduktion Chiles, um seine Rohstoffversorgung zu sichern. Der Großteil wird in die EU, USA, Kanada und Hongkong exportiert. Die Ferrero-Tochter nahm 2016 mit rund 15.000 Tonnen Haselnussexporten fast 75 Millionen US-Dollar ein.

Das Herbizid Paraquat des Schweizer Agrarkonzerns Syngenta kann laut dem RAP-Netzwerk zu Gesundheitsschäden wie Nierenversagen, Atemnot, Lungenschmerzen, Seh- und Leberschäden, schweren Hautverletzungen, Todesfällen sowie Embryoschädigung führen. Paraquat hat zudem strukturelle Ähnlichkeit zu MPP+, einer Verbindung, die eine selektive Toxizität für dopaminerge Neurone aufweist und einen Morbus Parkinson verursachen kann. Das Herbizid ist in der EU und der Schweiz nicht mehr zugelassen, in Brasilien ist es nach einer dreijährigen Übergangszeit ab 2020 verboten. Die US-Umweltbehörde stufte es als möglicherweise schwach erbgutverändernd ein.

Chiles Agrarministerium klassifiziert Paraquat dagegen nur als "schädlich und moderat gefährlich" und erlaubt seine Anwendung im Haselnussanbau. Das großflächige Versprühen per Flugzeug wurde jedoch bereits 1998 auf Drängen von RAP verboten. Dass die von Ferrero bezogenen Nüsse mit dem umstrittenen Wirkstoff behandelt werden, legen auch Recherchen des Netzwerks nahe, bei dem betroffene Anwohner in der Hauptanbauregion Maule den Einsatz großer Paraquat-Mengen in benachbarten Haselnussplantagen angezeigt haben.

RAP-Chile zufolge belegten Statistiken gestiegene Krebserkrankungen in Regionen mit Pestizid-intensiven Monokulturen. Bis Ende September 2017 wurden bereits 442 Pestizid-Vergiftungen gemeldet, die Dunkelziffer wird auf das Fünffache geschätzt.

Die deutsche Ferrero-Pressestelle gab auf mehrmalige Nachfrage von amerika21 keine Auskunft zum Pestizideinsatz auf Haselnussplantagen in Chile. Ferrero ist sich laut unternehmenseigenem Nachhaltigkeitsbericht von 2016 seiner "wichtigen Rolle für das Gleichgewicht des Ökosystems bewusst". Der Firma zufolge sollen Haselnüsse bis 2020 zu 100 Prozent rückverfolgbar sein. Anders als bei Palmöl fordert der Konzern von seinen Haselnuss-Lieferanten jedoch keinen Paraquat-Verzicht.

Chiles Landwirtschaftsministerium initiierte zwar 2016 einen Prozess, um zusammen mit den Frucht-Produzenten und -Exporteuren ein Protokoll über nachhaltige Landwirtschaft auszuhandeln, darunter ein Monitoring des Wasserverbrauchs, der Respektierung der Menschenrechte und der sozialen Arbeitsbedingungen. Dieses Protokoll hat jedoch nur den Stellenwert eines freiwilligen Leitfadens, so RAP. Hinsichtlich Pestiziden empfehle es, Agrarchemikalien mit grüner Etikette zu bevorzugen, auch bezeichne es den Gebrauch mehrerer Pestizide als inakzeptabel, darunter Paraquat. RAP geht davon aus, dass die chilenischen Haselnussproduzenten trotz der Gefahr für die lokale Bevölkerung und die Umwelt durch Paraquat an der Verwendung des Herbizids festhalten.

Vor kurzem hat Chiles Regierung die Neuverhandlung des Freihandelsabkommens mit der EU angestoßen, das neue Klauseln zum Schutz von Investitionen durch ein internationales Streitschlichtungsgremium vorsieht. Im Falle der Annahme würde die ländliche Bevölkerung bestehende Rechte verlieren, da Maßnahmen zu ihrem Schutz – wie ein Verbot von Paraquat – als Handelsbarrieren eingestuft werden könnten. Syngenta oder Ferrero selbst könnten laut RAP hierfür die chilenische Regierung vor dem internationalen Schiedsgericht für Handelsstreitigkeiten der Weltbank anklagen, während umgekehrt weder die Regierung noch Betroffene sich bei Schädigung gegen die transnationalen Firmen zur Wehr setzen könnten.

Eine gekürzte Fassung dieses Beitrags erscheint heute in der "tageszeitung" (taz)