Wahrheitskommission in Venezuela soll Gewalt bei Protesten untersuchen

Gremium von Verfassungsversammlung mandatiert. Kommission tagt zunächst zwei Monate. Opposition stellt drei von 14 Mitgliedern

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Sitzung der Wahrheitskommission in Venezuela
Sitzung der Wahrheitskommission in Venezuela

Caracas. In Venezuela hat eine Wahrheitskommission ihre Arbeit aufgenommen, um Ursachen und Konsequenzen der gewalttätigen Proteste der vergangenen Monate zu untersuchen. Die "Kommission für Wahrheit, Gerechtigkeit, Frieden und öffentliche Ordnung" war auf Initiative von Präsident Nicolás Maduro von der verfassunggebenden Versammlung am 8. August einberufen worden. Dem Gremium gehören 14 Mitglieder an, die – wie das Nachrichtenportal aporrea.org berichtet – verschiedene gesellschaftliche Gruppen repräsentieren. Elf Mitglieder der Wahrheitskommission gehören zum chavistischen Lager, drei gehören Parteien der Opposition an.

Nach der entsprechenden Regelung, die von der verfassunggebende Versammlung erlassen worden war, setzt sich das Gremium aus drei ihrer Mitglieder zusammen und drei weitere kommen aus Organisationen von Opfern politischer Gewalt zwischen 1999 und 2017. Eine Person vertritt venezolanische Menschenrechtsorganisationen, zwei hätten  "entsprechende berufliche, ethische oder persönliche Voraussetzungen". Weiterhin gehören der Kommission der Generalstaatsanwalt, der  Menschenrechtsbeauftragte der Regierung sowie drei Mitglieder an, die von der Nationalversammlung nominiert wurden.

Die Wahrheitskommission wird zunächst zwei Monate tagen und hat am Mittwoch dieser Woche ihre Arbeit aufgenommen.

Bei der ersten Sitzung wurden laut Medienberichten Erklärungen, Fotos und Videos führender Oppositionspolitiker gesichtet, die meist in den Sozialen Netzwerken verbreitet wurden und mit denen zu Protesten aufgerufen und diese organisiert wurden. Die Kommission werde aufklären, inwieweit bestimmte Politiker "geistige Urheber" von Gewaltaktionen gewesen seien oder direkt dazu aufgefodert hätten. Konkret genannt wurde Parlamentsvizepräsident Freddy Guevara von der rechtspopulistischen Partei Voluntad Popular.

Auch gegen Parlamentspräsident Julio Borges solle ermittelt werden. Ihm wird vorgeworfen, eine Wirtschafts- und Finanzblockade gegen das Land gefördert zu haben. Damit solle der Kauf von Nahrungsmitteln und Medikamenten sowie ausländische Investitionen beeinträchtigt werden, um "Gewalt zu schüren und die Regierung zu destabilsiieren". Borges hatte im Mai einen offenen Brief an Goldman Sachs-Chef Lloyd Blankfein gerichtet, in dem er ihm vorwarf, "die Diktatur und die Repression" finanziell zu unterstützen. Die US-Investmentbank Goldman Sachs hatte Schuldscheine des staatlichen Ölkonzerns PDVSA zum Preis von 865 Millionen Dollar erworben, deren Nennwert 2,8 Milliarden Dollar beträgt. Das Parlament werde diese Schulden nicht anerkennen und jeder künftigen Regierung empfehlen, sie bei Fälligkeit im Jahr 2022 nicht zu bedienen, drohte Borges. Zuvor hatte er bereits die Deutsche Bank davor "gewarnt", mit der Zentralbank des südamerikanischen Landes Goldgeschäfte einzugehen. Die Fraktion des Oppositionsbündnisses Tisch der Demokratischen Einheit (MUD), das im Parlament die Mehrheit stellt, habe "vom ersten Tag unserer parlamentarischen Arbeit" in großem Umfang "Briefe an Botschaften, Regierungen und Finanzinstitutionen" verschickt habe, um internationale Finanz- und Wirtschaftsvereinbarungen der sozialistischen Regierung zu verhindern, informierte der Parlamentspräsident bei diesem Anlass.

Wie andere führende Parteien des MUD lehnte auch die Abgeordnete der rechtspopulistischen Partei Primero Justicia, Marialbert Barrios, das Gremium ab. In einem Kommentar beim Kurznachrichtendienst Twitter verglich Barrios die Wahrheitskommission mit dem Wohlfahrtsausschuss, der nach der Französischen Revolution 1793 gegründet worden war und maßgebliches Instrument zur Machtsicherung der Jakobiner wurde. Man sei in Venezuela Zeuge der "Einführung der Justiz als Mittel des Terrors", so die Abgeordnete, deren Partei die Proteste massiv unterstützt hat.

Am Dienstag hatte der Verfassungskonvent auf Ersuchen von Präsident Maduro die Justizbehörden des Landes aufgeordert, die Fälle inhaftierter Demonstranten von Militärgerichten wieder an zivile Gerichte zu übergeben. Dies gab die Vorsitzende des Konvents, Delcy Rodríguez, bekannt. Im Mai waren im venezolanischen Bundesstaat Carabobo erste Anklagen im Zusammenhang mit den Unruhen, die seit Anfang April das Karibikland in Atem halten, vor Militärgerichten verhandelt worden. Rodríguez erklärte, diese im Land sehr umstrittene Maßnahme sei wegen der "Untätigkeit der Generalstaatsanwaltschaft notwendig gewesen." Deren Chefin, Luisa Ortega Díaz, war in einer der ersten Handlungen der Versammlung am 5. August entlassen worden.

Die venezolanische Nichtregierungsorganisation Foro Penal schätzt, dass in den gut vier Monaten der Oppositionsproteste mindestens 120 Demonstranten vor Militärgerichte gebracht wurden. Bei den Protesten waren rund 130 Menschen getötet worden.

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